Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlust des Ablehnungsrechts durch Stellung eines Sachantrags
Leitsatz (NV)
§ 43 ZPO macht den Verlust des Ablehnungsrechts nicht davon abhängig, daß der Partei die Rechtsfolge des § 43 ZPO bekannt ist.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 43
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte beim ... Senat des Finanzgerichts (FG) einen Rechtsstreit wegen Einkommen- und Umsatzsteuer 1987. Streitig war die Höhe der Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die der Kläger als ... erzielt hatte, und die Höhe der abzuziehenden Vorsteuer. Durch Beschluß vom 31. März 1993 übertrug der ... Senat des FG die Sache gemäß § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Senatsmitglied A als Einzelrichter zur Entscheidung.
Am 21. Juni 1993 fand in dem Rechtsstreit eine mündliche Verhandlung statt. In dem von A als Verhandlungsleiter angefertigten Protokoll wird der Ablauf der Verhandlung wie folgt geschildert:
Nach Aufruf der Sache eröffnete A die mündliche Verhandlung und stellte fest, daß der Kläger und sein damaliger Prozeßbevollmächtigter Steuerberater B, Frau Oberregierungsrätin C für den Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) und zwei vom Kläger gestellte Zeugen erschienen waren. Nachdem die beiden Zeugen den Sitzungssaal verlassen hatten, trug A den wesentlichen Inhalt der Akten vor und erteilte den Beteiligten das Wort. Sodann wurde die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit den Beteiligten erörtert. Danach stellten diese ihre Sachanträge. Sodann schloß A die mündliche Verhandlung und verkündete den Beschluß, daß eine Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. Nach Verkündung des Beschlusses lehnte der Kläger A wegen Besorgnis der Befangenheit ab und entzog B das Mandat.
Durch Urteil vom 21. Juni 1993 wies A die Klage ab. Mit Beschluß vom gleichen Tag lehnte er das Ablehnungsgesuch ab, da es rechtsmißbräuchlich sei.
Gegen den dem Kläger am 19. August 1993 zugestellten Beschluß legte der Kläger am 2. September 1993 Beschwerde ein, der das FG nicht abhalf.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG vom 21. Juni 1993 aufzuheben und das Ablehnungsgesuch für begründet zu erklären. Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Es geht aufgrund des Vortrags des Klägers in der Beschwerdeschrift davon aus, daß der angegriffene Beschluß dem Kläger bereits am 18. August 1993 zugestellt und die Beschwerde daher verspätet eingelegt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde war zurückzuweisen. Sie ist zwar zulässig. Der Kläger hat die Beschwerde rechtzeitig erhoben. Der angegriffene Beschluß wurde ihm erst am 19. August 1993 zugestellt. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das Ablehnungsgesuch ist offenbar unzulässig. Der Kläger hatte in dem Zeitpunkt, in dem er A wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte, das Ablehnungsrecht bereits nach § 43 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 51 FGO verloren.
1. Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.
2. Der Kläger hat schon vor dem Ablehnungsantrag einen Sachantrag gestellt. Dies ergibt sich aus dem von A während der Verhandlung angefertigten Protokoll. A durfte nach § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO i. V. m. § 94 FGO von der Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle absehen und das Protokoll selbst führen. Das von ihm gefertigte Protokoll enthält die nach § 160 ZPO i. V. m. § 94 FGO erforderlichen Angaben, ist von A unterschrieben und beweist die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 165 ZPO i. V. m. § 94 FGO). Der Kläger hat keine Berichtigung des Protokolls beantragt und eine Fälschung des Protokolls weder behauptet noch gar nachgewiesen.
3. Sämtliche vom Kläger geltend gemachten Ablehnungsgründe waren ihm bereits vor der Stellung des Sachantrags in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 1993 bekannt.
Soweit sich nach Ansicht des Klägers Ablehnungsgründe aus den vor dem 21. Juni 1993 geführten Telefongesprächen zwischen A und dem Kläger bzw. B ergaben, waren sie dem Kläger bereits vor Beginn der mündlichen Verhandlung bekannt. Da der Kläger sich dennoch am 21. Juni 1993 auf eine Verhandlung bei A eingelassen hat, kann er ihn wegen dieser telefonischen Äußerungen nicht mehr ablehnen.
Die anderen Vorgänge, die nach Auffassung des Klägers geeignet sind, Mißtrauen gegen A's Unparteilichkeit zu rechtfertigen, haben sich während der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 1993 und vor der im Protokoll vermerkten Stellung der Sachanträge ereignet. Da der Kläger an der Verhandlung teilgenommen hat, waren ihm diese Vorgänge schon bekannt, bevor für ihn der Antrag aus der Klageschrift gestellt wurde.
4. Unbeachtlich ist, daß dem Kläger seinerzeit der Verlust des Ablehnungsrechts aufgrund der Stellung des Sachantrags nicht bekannt war. § 43 ZPO macht den Verlust des Ablehnungsrechts nicht davon abhängig, daß der Partei die Rechtsfolge des § 43 ZPO bekannt ist.
5. Da das Ablehnungsgesuch offenbar unzulässig war, durfte A selbst über das Gesuch entscheiden (s. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 27. März 1992 VIII B 31/91, BFH/NV 1992, 619 m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 420261 |
BFH/NV 1995, 979 |