Entscheidungsstichwort (Thema)

Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs zur Erlangung einer einstweiligen Anordnung in Vollstreckungsfällen

 

Leitsatz (NV)

1. Eine einstweilige Anordnung, durch die eine Vollstreckung nach § 258 AO 1977 einstweilen eingestellt werden soll, kann allenfalls dann gewährt werden, wenn den Darlegungen des Antragstellers zu entnehmen ist, daß nur eine vorläufige Maßnahme in bezug auf die Einstellung der Vollstreckung begehrt wird, und wenn Gründe vorgebracht werden, die eine Unbilligkeit schlüssig ergeben.

2. Zur Einstellung der Vollstreckung nach § 257 AO 1977.

3. Wird die Aufhebung einer getroffenen Vollstreckungsmaßnahme durch einstweilige Anordnung mit der Begründung begehrt, das Ansehen des Antragstellers sei durch die getroffene Vollstreckungsmaßnahme geschädigt worden, ist aber nicht ersichtlich, wie die behauptete Schädigung hätte vermieden werden können, so kann das Begehren schon deshalb keinen Erfolg haben, weil es an einer schlüssigen Darlegung der Unbilligkeit fehlt.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1, 3; ZPO § 920 Abs. 2; AO 1977 §§ 257-258

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin), eine GmbH, betreibt den Verlag, die Herausgabe und den Vertrieb von Druckwerken und gibt sog. Stadtteilzeitungen heraus.

Mit Verfügung vom März 1983 pfändete der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) wegen rückständiger Lohn- und Umsatzsteuer für das Jahr 1982 Forderungen der Beschwerdeführerin gegen zehn Kunden für Anzeigen in den Stadtteilzeitungen (Anzeigenkunden). Am selben Tag pfändete der Vollziehungsbeamte in den Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin u.a. eine Kugelkopf-Schreibmaschine, eine Kamera mit Objektiv und einen Pkw. Am 31. März 1983 pfändete das FA weitere fünf Forderungen der Beschwerdeführerin gegen Anzeigenkunden. Die Pfändung der Kamera hob das FA alsbald wieder auf.

Mit Schriftsatz vom April 1983 beantragte die Beschwerdeführerin beim Finanzgericht (FG) eine einstweilige Anordnung, mit der dem FA aufgegeben werden sollte, alle Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Beschwerdeführerin aufzuheben und von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Zur Begründung führte sie im wesentlichen folgendes aus:

Die Vollstreckungsmaßnahmen seien nicht gerechtfertigt und gefährdeten ihre Existenz. Durch die Pfändungen seien ihr auch bereits unersetzliche Nachteile entstanden. Das FA habe insoweit gegen die Pflicht verstoßen, eine unnötige Schädigung des Vollstreckungsschuldners zu vermeiden und mit Vollstreckungshandlungen möglichst wenig Aufsehen zu erregen.

Das FA legte dem FG die Ablichtung eines Abrechnungsbescheids an die Beschwerdeführerin vom Februar 1984 vor, der einen Rückstand von insgesamt . . . DM ausweist, und zwar . . . DM an Steuern, . . . DM an Verspätungszuschlägen und . . . DM an Säumniszuschlägen. Die Beschwerdeführerin hat gegen den Bescheid nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben, die beim FG anhängig ist.

Das FG hat den Antrag auf einstweilige Anordnung aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

Seit Anfang 1977 müßten die Steuerforderungen gegen die Beschwerdeführerin beigetrieben werden, da diese nicht mehr pünktlich zahle. Am 28. April 1982 hätten die Gesamtrückstände der Beschwerdeführerin - ohne Säumniszuschläge in Höhe von . . . DM - . . . DM betragen. Für eine einstweilige Anordnung fehle ein Anordnungsanspruch. Bei summarischer Prüfung sei eine Unbilligkeit der Vollstreckung als Voraussetzung einer Maßnahme nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht zu erkennen. Die Forderungen, die das FA beitreibe, seien fällig und vollstreckbar. Soweit die Beschwerdeführerin geltend mache, die Forderungen, die das FA beitreibe, bestünden nicht mehr in der geltend gemachten Höhe, sei ihr Vorbringen zu unbestimmt.

Die Beschwerdeführerin legte mit folgender Begründung Beschwerde ein:

Sie habe ihr eingeräumte Ratenzahlungen eingehalten. Bei der Vollstreckung seien dadurch Fehler entstanden, daß die Finanzkasse infolge von Umstellungsmaßnahmen kein Bargeld mehr angenommen habe. Das FA habe bereits im Jahre 1981 vereinbarungswidrig Vollstreckungsmaßnahmen bei Anzeigenkunden durchgeführt. Dieses Verfahren sei noch anhängig. Über die zu zahlenden Beträge herrsche nach wie vor Unklarheit. Ein Betrag von . . . DM, der mit Forderungen, die der streitbefangenen Vollstreckung zugrunde lägen, habe verrechnet werden sollen, sei vom FA vereinbarungswidrig mit Umsatzsteuerforderungen für die Jahre 1978, 1979 und 1980 sowie mit Verspätungs- und Säumniszuschlägen verrechnet worden.

Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung des FG aufzuheben.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Es macht geltend, die Beschwerdeführerin habe von den im Abrechnungsbescheid angegebenen Hauptschulden . . . DM anerkannt und deren Stundung beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Der Senat geht davon aus, daß die Beschwerdeführerin weiterhin den Erlaß einer einstweiligen Anordnung und nicht nur die Aufhebung der Vorentscheidung begehrt, wie sie im Beschwerdeverfahren beantragt hat. Das entnimmt der Senat den Ausführungen zur Begründung der Beschwerde und dem Umstand, daß die Beschwerdeführerin den in der Vorinstanz gestellten Antrag auf einstweilige Anordnung aufrechterhält.

2. Dem Begehren auf einstweilige Anordnung kann jedoch nicht entsprochen werden, weil die Beschwerdeführerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Von der Erfüllung dieser Voraussetzung ist in sinngemäßer Anwendung des § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) aufgrund von § 114 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aber die Erlangung einer einstweiligen Anordnung abhängig.

Den Anordnungsanspruch bildet das Recht oder das Rechtsverhältnis i.S. des § 114 Abs. 1 FGO (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 114 Anm. 10). Ein Recht auf Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen und auf Einstellung der Vollstreckung, wie sie die Beschwerdeführerin begehrt, kann sich aus den §§ 257, 258 AO 1977 ergeben. Zur Glaubhaftmachung eines solchen Rechts ist erforderlich, daß die Beschwerdeführerin schlüssig darlegt, ihr stehe ein solches Recht zu (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, 421, BStBl II 1985, 194). Daran fehlt es im Streitfall jedoch.

a) Soweit die Beschwerdeführerin eine Einstellung der Zwangsvollstreckung begehrt, kann dem Begehren unter Anwendung des § 258 AO 1977 schon deshalb nicht entsprochen werden, weil diese Vorschrift - wie schon § 333 der Reichsabgabenordnung (AO) - nur ein Recht auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gewährt. Sie rechtfertigt hinsichtlich der Einstellung der Vollstreckung also nur eine vorläufige Maßnahme (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 18. April 1975 VII C 15.73, BStBl II 1975, 679, 684). Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht dargelegt, daß sie nur eine vorläufige Maßnahme in bezug auf die Einstellung der Vollstreckung anstrebt. Ihren Darlegungen ist vor allem nicht zu entnehmen, von welchen Umständen die Beendigung der Einstellung der Vollstreckung abhängig gemacht werden soll. Eine Maßnahme, durch die die Vollstreckung unbegrenzt eingestellt würde, kann auf § 258 AO 1977 nicht gestützt werden.

b) Aber auch wenn der Senat davon ausgeht, daß nur eine - etwa bis zum Abschluß des Rechtsstreits über den Abrechnungsbescheid - zeitlich begrenzte Einstellung der Vollstreckung angestrebt wird, fehlt es an schlüssigen Darlegungen, die eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO 1977 rechtfertigen könnten, und zwar zumindest deshalb, weil den Darlegungen der Beschwerdeführerin nicht entnommen werden kann, daß eine Vollstreckung unbillig wäre, was für eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO 1977 erforderlich wäre.

Gründe, die die Annahme einer Unbilligkeit i.S. dieser Vorschrift rechtfertigen, können nur die Art und Weise, den Umfang oder den Zeitpunkt der Vollstreckung betreffen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 258 AO 1977 Tz. 3; BVerwG-Urteil in BStBl II 1975, 679, 684). Derartige Gründe, die eine Unbilligkeit schlüssig ergeben, hat die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.

aa) Wird den Darlegungen der Beschwerdeführerin entnommen, daß sie die Vollstreckung im gegenwärtigen Zeitpunkt etwa aus der Erwägung für unbillig hält, es sei ungewiß, in welchem Umfang Forderungen des FA bestünden, solange der Streit über den Abrechnungsbescheid andauere, so reicht das für die schlüssige Darlegung einer Unbilligkeit deshalb nicht aus, weil ins einzelne gehende Ausführungen dazu fehlen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß das FA in dem Abrechnungsbescheid genaue Angaben über die Forderungen gemacht hat, die nach seiner Auffassung gegenüber der Beschwerdeführerin bestehen. Bei dieser Sachlage muß für eine schlüssige Darlegung der Unbilligkeit gefordert werden, daß genaue Ausführungen darüber gemacht werden, welche in dem Abrechnungsbescheid enthaltene Forderungen nicht als gerechtfertigt angesehen werden und aus welchem Grunde die Berechtigung der Forderungen in Abrede gestellt werde. Daran fehlt es im Streitfall.

bb) Sollte die Beschwerdeführerin der Auffassung sein, eine Vollstreckung im gegenwärtigen Zeitpunkt sei deshalb unbillig, weil ihr Ratenzahlungen bewilligt worden seien und sie die Raten entsprechend der Bewilligung gezahlt habe, so fehlt es auch insoweit an einer schlüssigen Darlegung. Die Beschwerdeführerin hat zwar ausgeführt, sie habe die ihr eingeräumten Ratenzahlungen eingehalten. Es fehlen aber Ausführungen darüber, durch welche Maßnahmen Ratenzahlungen gewährt worden sind, welche Forderungen davon betroffen sind und in welchem Umfang Raten zu zahlen waren und auch gezahlt worden sind. Allein die Angabe, daß eingeräumte Ratenzahlungen eingehalten worden seien, reicht zu einer Überzeugungsbildung dahin, daß das auch zutrifft und eine Vollstreckung deshalb nicht billig erscheint, nicht aus.

cc) Sollte die Beschwerdeführerin eine Vollstreckung aus der Erwägung für unbillig halten, daß in Anbetracht der geleisteten Zahlungen eine Vollstreckung im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt sei, so reicht auch das für eine schlüssige Darlegung der Unbilligkeit nicht aus. Die Beschwerdeführerin führt zwar aus, daß sie einen Betrag von . . . DM gezahlt habe, und macht geltend, daß dieser Betrag anders hätte verrechnet werden müssen, als er tatsächlich verrechnet worden sei. Eine Unbilligkeit der Vollstreckung kann daraus aber schon deshalb nicht entnommen werden, weil die Beschwerdeführerin keine Ausführungen darüber macht, in welchem Verhältnis der gezahlte Betrag zu den Forderungen des FA ihr gegenüber stehe. Auf die Steuerschulden geleistete Zahlungen könnten aber allenfalls dann zu dem Ergebnis führen, daß eine Vollstreckung unbillig wäre, wenn durch diese Zahlungen der wesentliche Teil der Steuerschulden getilgt worden wäre.

dd) Eine schlüssige Darlegung der Unbilligkeit kann auch nicht den in der Vorinstanz gemachten Ausführungen der Beschwerdeführerin darüber entnommen werden, daß die Vollstreckung ihre Existenz gefährde. Diesen Ausführungen der Beschwerdeführerin muß entnommen werden, daß sie ihre Existenz deshalb für gefährdet hält, weil, wie sie darlegt, die Vollstreckung bei Anzeigenkunden ihren Ruf schädige. Zur Darlegung einer Unbilligkeit reicht aber nicht aus, auf diese Folgen hinzuweisen. Grundsätzlich ist eine Vollstreckung nicht schon unbillig, weil sie für den Vollstreckungsschuldner nachteilige Folgen hat. Erforderlich ist vielmehr, daß die nachteiligen Folgen durch ein anderes Vorgehen vermieden werden könnten. Das hat die Beschwerdeführerin jedoch nicht aufgezeigt.

c) Eine Einstellung der Vollstreckung unter Anwendung des § 257 AO 1977 kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil den Darlegungen der Beschwerdeführerin nicht entnommen werden kann, daß die Voraussetzungen nach dieser Vorschrift für eine Einstellung der Vollstreckung vorliegen. Nach den Ausführungen der Klägerin ist zwar nicht auszuschließen, daß sie der Auffassung ist, ihre Schulden gegenüber dem FA seien gestundet worden. Es fehlen aber genaue Angaben, die eine entsprechende Überzeugungsbildung ermöglichen.

d) Auch soweit die Beschwerdeführerin eine Aufhebung der vom FA getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen anstrebt, hat die Beschwerdeführerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Den Ausführungen der Beschwerdeführerin - auch in der Vorinstanz - ist zu entnehmen, daß sie eine Aufhebung dieser Vollstreckungsmaßnahmen aus der Erwägung anstrebt, die Vollstreckungsmaßnahmen hätten zu einer unnötigen Schädigung ihres Ansehens geführt und seien vereinbarungswidrig gewesen. Dieses Vorbringen deutet darauf hin, daß die Beschwerdeführerin auch die getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen für unbillig hält und deshalb ihre Aufhebung anstrebt.

In § 258 AO 1977 ist zwar auch die Aufhebung getroffener Vollstreckungsmaßnahmen für den Fall vorgesehen, daß sie unbillig sind. In den Ausführungen der Beschwerdeführerin fehlen aber auch Angaben, die zu einer schlüssigen Darlegung der Unbilligkeit getroffener Vollstreckungsmaßnahmen erforderlich wären. So kann den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht entnommen werden, daß die von ihr behauptete Schädigung ihres Ansehens infolge der getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen - wie sie meint - unnötig gewesen sei. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wie die behauptete Schädigung hätte vermieden werden können. Wie bereits ausgeführt, müssen unvermeidbare Nachteile einer Vollstreckung hingenommen werden.

Die Ausführungen der Beschwerdeführerin lassen nicht den Schluß zu, daß das FA etwa aufgrund einer Vereinbarung gehindert gewesen wäre, die Vollstreckungsmaßnahmen zu treffen. Um das beurteilen zu können, hätten zumindest Angaben über Inhalt und Zeitpunkt der Vereinbarung gemacht werden müssen.

3. Da die Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben kann, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden ist, braucht nicht entschieden zu werden, ob eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung und eine Aufhebung getroffener Vollstreckungsmaßnahmen nach § 258 AO 1977 durch eine einstweilige Anordnung deshalb zu versagen wäre, weil diese Maßnahmen in das Ermessen der Behörde gestellt sind (vgl. dazu Beschluß des erkennenden Senats vom 5./13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414047

BFH/NV 1986, 139

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