Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers zu dem Verfahren des Kindergeldberechtigten gegen einen Abrechnungsbescheid

 

Leitsatz (NV)

Zahlt die Familienkasse das Kindergeld aufgrund eines geltend gemachten Erstattungsanspruchs an den Sozialhilfeträger aus und teilt dem Kindergeldberechtigten durch Abrechnungsbescheid mit, sein Anspruch auf Kindergeld gelte als erfüllt, so ist der Sozialhilfeträger im finanzgerichtlichen Verfahren des Kindergeldberechtigten gegen den Abrechnungsbescheid notwendig beizuladen, da die Entscheidung über die Auszahlung des Kindergeldes auch die Rechtsposition des Sozialhilfeträgers beeinflusst.

 

Normenkette

EStG § 74 Abs. 2-3; FGO § 60 Abs. 3 S. 1, § 123 Abs. 1 S. 2; SGB X § 104 Abs. 2, §§ 107, 112

 

Tatbestand

I. Stand des Verfahrens

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte auf Antrag des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) mit Bescheid vom 4. Juli 2002 gegenüber dem Kläger rückwirkend für den Zeitraum ab Dezember 1999 bis Juni 2002 Kindergeld für seinen im April 1962 geborenen, zu 100 % behinderten, nicht im Haushalt der Eltern lebenden Sohn in Höhe von 4 365 € fest. Mit Abrechnungsbescheid gleichen Datums teilte sie mit, dass der Zahlungsanspruch in Höhe von 4 088,90 € aufgrund eines Erstattungsanspruchs der Stadt Y nach § 74 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 107 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) als erfüllt gelte. Das Kindergeld überwies die Familienkasse in Höhe des Erstattungsanspruchs an die Stadt Y, die für den entsprechenden Zeitraum dem Sohn des Klägers u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung von Kindergeld gewährt hatte, im Übrigen in Höhe eines Nachzahlungsbetrags von 276,10 € an den Kläger.

Einspruch und Klage gegen den Abrechnungsbescheid blieben ohne Erfolg.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

II. Grund der Beiladung

Das Finanzgericht (FG) hat es versäumt, die Stadt Y zu dem Verfahren notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 123 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte, die an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, zu dem Verfahren beizuladen (notwendige Beiladung). Das ist der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 III R 33/05, BFH/NV 2007, 720).

Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO vor. Nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X gilt der Anspruch des Klägers gegen die Familienkasse auf Kindergeld als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch der beigeladenen Stadt Y nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 2 SGB X besteht. Der Erfolg der Klage ist somit davon abhängig, ob die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch vorliegen. Kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass kein Erstattungsanspruch besteht, hat die Beigeladene die von der Familienkasse gezahlten Beträge gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 112 SGB X zurückzuerstatten. Deshalb beeinflusst die Entscheidung über die Auszahlung des Kindergeldanspruchs auch die Rechtsposition der Beigeladenen. Zwar handelt es sich bei dem Kindergeldanspruch nach §§ 62 ff. EStG und dem Erstattungsanspruch bzw. dem Rückerstattungsanspruch um eigenständige Ansprüche. Sie hängen aber so eng miteinander zusammen, dass eine gerichtliche Entscheidung gegenüber dem Kindergeldberechtigten und dem Erstattungsberechtigten nur einheitlich ergehen kann (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 720, m.w.N.).

2. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung begründet einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2007, 720). Da die Beiladung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO in der Revisionsinstanz nachgeholt werden kann, macht der Senat von dem ihm in dieser Vorschrift eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass er von einer Zurückverweisung der Sache an das FG absieht und die Beiladung selbst vornimmt.

III. Hinweise

1. Durch den Beiladungsbeschluss erhält die Beigeladene die Stellung einer Beteiligten (vgl. § 57 Nr. 3 FGO). Die Rechtskraft einer Entscheidung in diesem Verfahren wirkt für und gegen die Beigeladene (§ 110 Abs. 1 FGO).

2. Die Beigeladene kann Verfahrensmängel nur innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses rügen (§ 123 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Frist kann nach Maßgabe des § 123 Abs. 2 Satz 2 FGO verlängert werden. Jeder Beteiligte, also auch die Beigeladene, muss sich vor dem BFH durch eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes vertreten lassen (§ 62a Abs. 1 Satz 1 FGO). Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen (§ 62a Abs. 1 Satz 3 FGO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2002849

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