Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen die Ablehnung eines PKH-Antrages

 

Leitsatz (NV)

Bei der Prüfung der Frage, ob ein Steuerverwaltungsakt der früheren DDR-Finanzbehörden nach Art. 19 Satz 2 des Einigungsvertrages (EVertr) aufgehoben werden kann, ist vor allem darauf abzustellen, ob er auch bei Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens und unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze in der Sache so ausgefallen wäre.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO § 114ff; EVertr Art. 19 S. 2

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war seit Juli 1982 im Besitze eines Sammelscheines für metallische Rohstoffe, nach dem das nebenberufliche Sammeln von Altrohstoffen von der Steuer befreit war. Nach der auf eigenen Wunsch zum 31. Dezember 1982 erfolgten Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis mit ... war der Antragsteller nur noch in geringem Umfange als ... tätig. Daneben betreute er den eigenen Haushalt, dem zwei minderjährige Kinder angehörten. Auch ging er weiterhin seiner Sammeltätigkeit nach. Spätestens im September 1985 wurde ihm vom Rat des Bezirks X mitgeteilt, daß mit seiner Kündigung des Arbeitsverhältnisses als ... der Anspruch auf Erteilung eines Sammelscheines erloschen sei und seine bisherige Sammeltätigkeit wegen des großen Umfanges als Hauptberuf der Besteuerung unterliege. Der Aufforderung, zu den im Zusammenhang mit der Sammeltätigkeit stehenden Einnahmen und Ausgaben Stellung zu nehmen, kam der Antragsteller nicht nach. Im Anschluß an eine Steuerfahndungprüfung ermittelte der Prüfer für die Jahre 1983 und 1984 folgende Gewinne aus der gewerblichen Sammeltätigkeit: ... M

Für 1985 wurden Abschlagszahlungen in Höhe von ... M (50% des Umsatzes von ... M zuzüglich der eigenen Sozialversicherungsbeiträge) ermittelt.

Gegen die entsprechend den Feststellungen der Steuerfahndung ergangenen Steuerbescheide über Einkommensteuer und Vermögensteuer sowie den Bescheid über die Abschlagszahlung für 1985 legte der Antragsteller Beschwerde ein. Nachdem mehrere, auch hohe staatliche Stellen mit der Angelegenheit befaßt waren, wurde die Beschwerde im Mai 1986 durch den Rat des Bezirks X abgelehnt, weil wegen des großen Umfanges der Sammeltätigkeit eine nebenberufliche und damit steuerfreie Tätigkeit nicht anzunehmen sei. Auch eine Eingabe ... blieb ohne Erfolg. Die Steuerrückstände wurden in der Folgezeit beigetrieben.

Im März 1991 beantragte der Antragsteller beim Beklagten (dem Finanzamt - FA -) die Aufhebung der Bescheide für 1983 bis 1985, weil sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar seien (Art. 19 Satz 2 des Einigungsvertrages - EVertr -). Die gegen die Ablehnung des Antrags eingelegte Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Die daraufhin erhobene Klage begründete der Kläger erneut mit einem Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze, vor allem mit einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Sein Hauptberuf als Hausfrau sei von den damaligen Staatsorganen der DDR kontra legem nicht anerkannt worden. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung der damaligen DDR seien jedoch Mann und Frau gleichberechtigt gewesen. Der Beruf als Hausfrau hätte also anerkannt werden müssen. Weiterhin macht der Antragsteller geltend, die Besteuerung der Gewinne aus den Metallverkäufen sei nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft der Y und des Kaufs eines für DDR-Verhältnisse luxuriösen Kfz erfolgt und deshalb willkürlich. Er belegte dies mit eigenen Steuerberechnungen. Über die Klage hat das Bezirksgericht (BG) noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom ... März 1992 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren. Das BG lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach Art. 19 Satz 1 EVertr blieben Verwaltungsakte der DDR, die vor dem Beitritt ergangen seien, wirksam. Um solche Verwaltungsakte handele es sich im Streitfall; denn für ihre Unwirksamkeit seien keine Anhaltspunkte gegeben. Eine Aufhebung nach Art. 19 Satz 2 EVertr komme wohl ebenfalls nicht in Betracht. Da der EVertr in Kenntnis des in der ehemaligen DDR nicht ausreichenden gerichtlichen Rechtsschutzes i.S. des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) geschlossen worden sei, müsse davon ausgegangen werden, daß sich die Vertragsparteien bei der Abwägung der verschiedenen Rechtsstaatskriterien wie Rechtsschutz, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit durch Einfügung des Art. 19 Satz 1 eindeutig für ein Überwiegen der Rechtssicherheit entschieden hätten. Daraus folge, daß der nicht ausreichende Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte in der ehemaligen DDR nicht zu einer Rechtsstaatswidrigkeit i.S. des Art. 19 Satz 2 EVertr führen könne. Im übrigen müsse der Begriff der Rechtsstaatswidrigkeit im Sinne der Regelung des EVertr unter Beachtung des von den Vertragsparteien festgelegten Vorrangs der Rechtssicherheit wohl dahingehend ausgelegt werden, daß nur grobe Verstöße gegen das Postulat der materiellen Gerechtigkeit, insbesondere gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Anwendung sachfremder Entscheidungskriterien zur Aufhebung der Bestandskraft führen dürften. Der Vortrag des Antragstellers, die Besteuerung sei nur wegen seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen Organisation und des Besitzes eines außergewöhnlichen Kfz erfolgt, fände in den beigezogenen Verwaltungsakten keine Stütze. Beweise für diese Aussage seien nicht angeboten worden.

Ob die Maßnahme, dem Antragsteller rückwirkend den Sammelschein für nebenberufliches Sammeln von metallischen Sekundärstoffen abzuerkennen und damit die Steuerpflicht dieser Sammeltätigkeit zu begründen, richtig gewesen sei, brauche nicht entschieden zu werden, weil sie zumindestens nicht grob falsch, willkürlich oder von sachfremden Erwägungen geleitet gewesen sei. Im übrigen könne auch in einem demokratischen Rechtsstaat das nachträgliche Bekanntwerden neuer Tatsachen in engen gesetzlichen Grenzen zu Änderungen in der Besteuerung führen. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz sei nicht zu erkennen, denn der Kläger sei nicht als Hausmann anders beurteilt worden als eine Hausfrau. Vielmehr sei wegen des Umfangs der Sammeltätigkeit diese zu einer Haupttätigkeit geworden.

Auch die von der Steuerfahndung vorgenommenen Ermittlungen, die zu der festgesetzten Steuer geführt hätten, seien nicht zu beanstanden. Die Umsätze seien nach den Angaben der Abnehmer errechnet worden. Die im Schätzungswege mit 32% der Betriebseinnahmen ermittelten Betriebsausgaben seien nicht unverhältnismäßig niedrig. Auch der mit 51% sehr hohe Steuersatz stelle noch keinen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum dar, weil keine der Enteignung gleiche Wirkung zu verzeichnen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 142 i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten eines Rechtsstreits nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, nur dann PKH gewährt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Beschwerde ist schon deshalb erfolglos, weil davon ausgegangen werden muß, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung - wie vom BG zutreffend entschieden - keine Aussicht auf Erfolg bietet. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens gegen die Ablehnung der PKH nicht in Betracht kommt (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 52. Aufl., § 114 Rdnrn.80, 81).

1. Die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Bescheide nach § 173 der Abgabenordnung (AO 1977) liegen im Streitfall nicht vor. Diese Vorschrift findet trotz des Umstandes Anwendung, daß die zu berichtigenden Bescheide vor dem 1. Juli 1990, dem Tag des Inkrafttretens der AO 1990 der DDR vom 22. Juni 1990 (AO DDR), von den Finanzbehörden der ehemaligen DDR erlassen worden sind, wie sich aus Art. 97a § 2 Nr. 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) ergibt. Doch sind die vom Antragsteller vorgebrachten Tatsachen nicht nachträglich bekanntgeworden. Sie waren schon z.Z. des Ergehens der Steuerbescheide bekannt.

2. Das BG hat rechtsfehlerfrei hinreichende Erfolgsaussichten der Klage auch insoweit verneint, als eine Aufhebung der Bescheide nach Art. 19 Satz 2 EVertr erstrebt wird.

Nach dieser Vorschrift können vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR u.a. dann aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind. Das Merkmal rechtsstaatliche Grundsätze kann nicht dahin verstanden werden, daß die Verwaltungsentscheidungen am Maßstab des Rechtsstaates in der rechtlichen Ausgestaltung gemessen werden, die der Rechtsstaatsbegriff durch die Bestimmungen des GG und die auf ihm beruhenden Institutionen gefunden hat (vgl. Dürr, Die Aufhebung von Steuerverwaltungsakten der früheren DDR-Steuerbehörden, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1991, 651, 652, Die Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 1993, 408, Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 8. August 1991 IV A 5-S 0350-22/91, BStBl I 1991, 793). Es kann sich vor allem nicht auf das eingehaltene Verfahren oder rechtsstaatliche Grundsätze wie den Gesetzesvorbehalt beziehen, denn die früheren Entscheidungen konnten wegen der Andersartigkeit der staatlichen Ordnung der ehemaligen DDR nicht aufgrund eines nach westlichen Vorstellungen gestalteten rechtsstaatlichen Verfahrens und der Beachtung des Grundsatzes, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, in den grundlegenden normativen Bereichen alle Entscheidungen selbst zu treffen, ergehen. Es ist vielmehr vor allem darauf abzustellen, ob der Steuerverwaltungsakt auch bei Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens und unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze in der Sache so ausgefallen wäre, z.B. ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, des Rechts auf Gehör oder aber gegen das Willkürverbot nicht gegeben ist.

An Mängeln dieser Art leiden die vom Antragsteller angegriffenen Steuerbescheide nicht. Anzeichen für ein willkürliches Verhalten der Finanzbehörden der ehemaligen DDR sind im Streitfall nicht ersichtlich. Der Vortrag des Klägers, die Besteuerung der Einkünfte aus seiner Sammeltätigkeit sei nur wegen seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen Organisation und des Besitzes eines außergewöhnlichen Kfz erfolgt, findet in den Akten keine Bestätigung. Nachweise darüber hat der Antragsteller bisher nicht geführt.

Auch nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) vor Herstellung der deutschen Einheit unterlagen Einkünfte aus dem Verkauf von gesammelten Altmaterialien nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) der Besteuerung (§§ 2, 15 EStG; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Februar 1992 I R 149/90, BFHE 167, 147, BStBl II 1992, 693). Wenn die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen erkennbar nicht in Zweifel gezogen wurde, kann die entsprechende Regelung der ehemaligen DDR für ihr Gebiet nicht nachträglich als rechtsstaatswidrig angesehen werden.

Die DDR-Behörden haben die Sammeltätigkeit des Antragstellers - für ihn erkennbar - wegen ihres Umfangs in den Streitjahren als seine Haupttätigkeit angesehen und ihn deshalb mit den Einkünften hieraus zur Einkommensteuer herangezogen. Eine Diskriminierung seiner Aufgaben als ... und zur Betreuung seines eigenen Haushalts oder gar eine Ungleichbehandlung gegenüber Frauen mit ähnlichen Tätigkeiten sind hierin nicht zu sehen.

Das in das Jahr 1983 hineinwirkende Aberkennen der Berechtigung zu einer nebenberuflichen Sammeltätigkeit in der zweiten Hälfte des Jahres 1985, das zu der Besteuerung der strittigen Einkünfte führte, stellt sich nicht als eine rechtsstaatswidrige Maßnahme dar. Auch die AO 1977 kennt die Änderung oder Aufhebung früherer Verwaltungsakte aufgrund von nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen und Beweismitteln (§ 173 AO 1977) oder rückwirkenden Ereignissen (§ 175 AO 1977).

Die von den Finanzbehörden anhand der Ermittlungen der Steuerfahndung vorgenommenen Schätzungen der Einkünfte lassen ebenfalls keine nicht hinnehmbaren Fehler wie etwa willkürliche Zuschätzungen erkennen. Den Einwand, die von der Steuerfahndung nach den Angaben der Abnehmer der Materialien ermittelten Umsätze seien zu hoch angesetzt worden, hat der Antragsteller nicht belegen können. Ebenso ist der geschätzte Anteil der Betriebsausgaben mit ca. 30% der Betriebseinnahmen nicht unverhältnismäßig niedrig, berücksichtigt man, daß der Antragsteller offensichtlich ohne Mitarbeiter tätig war, also ein Lohnaufwand nicht entstanden ist. Auch die Grenzen einer zulässigen Besteuerung sind bei den angewandten Steuersätzen noch nicht überschritten. Eine enteignende Wirkung, die dann gegeben ist, wenn die Gewinne vollständig weggesteuert oder aufgezehrt werden (BFH-Urteil vom 19. April 1968 III R 78/67, BFHE 92, 495, BStBl II 1968, 620), ist im Streitfall nicht anzunehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419699

BFH/NV 1994, 602

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