Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit einer Vollstreckungsgegenklage im steuerlichen Vollstreckungsverfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Merkmalen einer Vollstreckungsgegenklage.

2. Die Vollstreckungsgegenklage ist im steuerlichen Vollstreckungsverfahren nicht zulässig.

3. Zur Geltendmachung der Rechte nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 kann nur eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage in Betracht kommen.

 

Normenkette

FGO § 155; ZPO § 767; AO 1977 § 257 Abs. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) wandte sich gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -), mit der das FA wegen Abgabenschulden des Beschwerdeführers im Gesamtbetrag von . . . DM dessen ,,Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, Provisionsansprüche" gegen die B-Versicherung gepfändet hatte. Der Beschwerdeführer machte geltend, er erhebe gegen die Abgabenschulden bis auf die darin enthaltene Einkommensteuer in Höhe von . . . DM die ,,Einrede der Verjährung". Die Verfügung des FA sei als Knebelung anzusehen. Der Beschwerdeführer beantragte, die Pfändungsverfügung aufzuheben.

Nachdem das FA diesen Antrag - mit Bescheid vom . . . - abgelehnt hatte, erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom Mai 1989 ,,Zwangsvollstreckungsabwehrklage" mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus der Pfändungs- und Einziehungsverfügung für unzulässig zu erklären, soweit ,,Steuerrückstände aus den Jahren . . . nebst Säumniszuschlägen und Steuerzinsen geltend gemacht" würden. Gleichzeitig beantragte er Prozeßkostenhilfe (PKH). Zur Begründung berief er sich - erneut - auf Verjährung.

Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf PKH ab und führte in den Gründen aus, der Beschwerdeführer habe dem Antrag nicht die erforderliche Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach Vordruck beigefügt. Außerdem habe die Klage keine Aussicht auf Erfolg, da es an dem nach § 44 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlichen Vorverfahren fehle.

Seiner Beschwerde gegen den Beschluß des FG fügte der Beschwerdeführer eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach Vordruck bei. Zur Begründung der Beschwerde führt er aus: Eine derartige Erklärung sei bereits dem Antrag auf PKH beigefügt gewesen. Mit dem Schriftsatz vom . . . an das FA sei Beschwerde - gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung - erhoben worden; über diese Beschwerde sei nicht entschieden worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG ist nicht begründet.

Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bereits seinem Antrag auf PKH an das FG die erforderliche Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt hat, welche Folgerungen sich aus einem Verlust der Erklärung während der Beförderung oder nach Eingang bei dem FG ergeben und ob eine Versäumung der Vorlage dieser Erklärung im Verfahren vor dem FG überhaupt noch rechtliche Bedeutung haben kann, nachdem im Beschwerdeverfahren eine solche Erklärung vorgelegt worden ist. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom . . . gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung als außergerichtlicher Rechtsbehelf oder nur als Antrag auf Aufhebung dieser Verfügung anzusehen ist und ob der Bescheid des FA vom . . . als Rechtsbehelfsentscheidung oder als Ablehnung der Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts i. S. des § 130 der Abgabenordnung (AO 1977) zu behandeln ist.

Auch wenn der Senat zugunsten des Beschwerdeführers davon ausgeht, daß dieser die erforderliche Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorschriftsmäßig vorgelegt hat, daß sein Schriftsatz vom . . . als Rechtsbehelf gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu werten ist (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Juni 1988 X R 59/82, BFH / NV 1989, 184) und daß entweder der Bescheid des FA vom . . . als für die Zulässigkeit einer Klage ausreichende - möglicherweise isoliert anfechtbare (vgl. Urteile des Senats vom 20. November 1979 VII R 82/77, BFHE 129, 100, 103, BStBl II 1980, 82; BFH / NV 1989, 184) - Entscheidung über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf anzusehen oder eine Anfechtungsklage gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung wegen inzwischen eingetretenen Fristablaufs i. S. des § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO zulässig ist, kann dem Antrag des Beschwerdeführers auf PKH nicht entsprochen werden, weil die Rechtsverfolgung mit der aufgezeigten Klage keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 142 Abs. 1 FGO, § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Denn aus der - von einem Rechtsanwalt verfaßten und eingereichten - Klageschrift ergibt sich unmißverständlich, daß der Beschwerdeführer die PKH für eine sog. Vollstreckungsgegenklage (Vollstreckungsabwehrklage) i. S. des § 767 ZPO beantragt. Zu dieser Schlußfolgerung gibt nicht nur die ausdrückliche Bezeichnung der Klage als ,,Zwangsvollstreckungsabwehrklage" Anlaß. Sie findet vielmehr auch in dem Antrag und der Begründung der Klage ihre Bestätigung. Der Klageantrag ist entsprechend dem Erfordernis nach § 767 ZPO (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 47. Aufl., § 767 Anm. 3 E) darauf gerichtet, die Vollstreckung aus der Pfändungs- und Einziehungsverfügung in dem genannten Umfang für unzulässig zu erklären. Wäre eine Anfechtungsklage beabsichtigt gewesen, so hätte mit dem Antrag die Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung angestrebt werden müssen. Die Abweichung des Klageantrags des Beschwerdeführers vom Ziel einer Anfechtungsklage kann, zumal der Antrag von einem Rechtsanwalt verfaßt und gestellt worden ist, nicht als unerheblich angesehen werden. Denn der Klageantrag läßt - anders als der Antrag einer Anfechtungsklage - den Fortbestand der Pfändungs- und Einziehungsverfügung unberührt.

Die Begründung des Klageantrags spricht deshalb für den Willen, eine Vollstreckungsgegenklage i. S. des § 767 ZPO zu erheben, weil mit ihr die Verjährung der der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugrunde liegenden, vom Beschwerdeführer bezeichneten Steueransprüche und damit ein Einwand gegen den ,,Anspruch selbst" (§ 767 Abs. 1 ZPO) geltend gemacht worden ist.

Die Vollstreckungsgegenklage ist aber, wie der Senat wiederholt entschieden hat (vgl. Beschluß vom 14. Juni 1988 VII B 15/88, BFH / NV 1989, 75), im steuerlichen Vollstreckungsverfahren nicht zulässig.

Eine Zulässigkeit kann, wie bereits den Ausführungen in dem vorgenannten Beschluß des Senats in BFH / NV 1989, 75 zu entnehmen ist, nicht daraus hergeleitet werden, daß das FA nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 die Vollstreckung einzustellen oder zu beschränken hat, sobald ein Steueranspruch erloschen ist. Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß diese Voraussetzung im Streitfall durch Verjährung von Steueransprüchen erfüllt ist, kann eine Klage, mit der die Erklärung der Unzulässigkeit der Vollstreckung unmittelbar durch das Gericht angestrebt wird, keinen Erfolg haben. Zur Geltendmachung der Rechte nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 kann nur eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage in Betracht kommen. Denn über die Einstellung der Vollstreckung nach § 257 AO 1977 hat die Behörde zu entscheiden (vgl. Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 257 Anm. 6; Koch / Szymcak, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 257 Rz. 6). Die Anfechtung einer solchen Entscheidung kann nur nach den Grundsätzen über die Anfechtung eines Verwaltungsakts erfolgen. Das bedeutet, daß eine Klage wie die Vollstreckungsgegenklage, mit der Rechte losgelöst von einer vorangegangenen Verwaltungsentscheidung geltend gemacht werden können, für die Geltendmachung der Rechte nach § 257 Abs. 1 AO 1977 nicht geeignet ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416634

BFH/NV 1990, 212

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