Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassene Beweisaufnahme als Verfahrensfehler

 

Leitsatz (NV)

Eine Entscheidung des FG kann auf dem Verfahrensmangel der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen, wenn das FG aus dem Beweisantrag, ohne diesem nachzukommen, das Gegenteil dessen folgert, was durch die beantragte Beweiserhebung hätte nachgewiesen werden sollen. Der Vorsitzende des FG-Senats muß ggf. darauf hinwirken, daß Unklarheiten hinschtlich der Beweisthemen beseitigt und Anträge näher erläutert werden.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3; AO 1977 § 130 Abs. 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war persönlich haftende Gesellschafterin einer KG. Über die Vermögen der KG und der Klägerin sind Konkursverfahren eröffnet worden. Gegen die Klägerin waren Haftungsbescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) wegen rückständiger Umsatzsteuer und Lohnsteuer der KG in Höhe von mehr als 1,1 Mio. DM ergangen. Mit Hilfe ihres Lebensgefährten und späteren Ehemannes bot die Klägerin den Gläubigern der KG, darunter dem FA, Zahlungen in Höhe von insgesamt 1 Mio. DM für einen Sanierungsvergleich zugunsten der KG gegen Erlaß der überschießenden Verbindlichkeiten an. Der Sanierungsvergleich kam zustande, und das FA erließ am 16. August 1990 nach Erhalt einer Zahlung in Höhe von 250 496 DM die gegen die Klägerin geltend gemachten Haftungsansprüche in vollem Umfang.

Am 30. August 1993 nahm das FA den der Klägerin gewährten Erlaß von Haftungsansprüchen für Steuerschulden der KG nach §130 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 der Abgabenordnung (AO 1977) mit der Begründung zurück, daß die Klägerin ihre Einkommensverhältnisse im Erlaßverfahren unzutreffend dargestellt habe. Die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage gegen die Rücknahme des Erlasses wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen.

Nach Auffassung des FG war der Erlaß der Haftungsschulden durch arglistige Täuschung des FA durch die Klägerin bzw. ihren Steuerberater erwirkt worden (§130 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Die Klägerin habe dem FA gegenüber verschwiegen,--

daß ihr aus dem Ehevertrag vom ... 1989 ein schuldrechtlicher Anspruch gegen ihren Ehemann auf die Hälfte des erwarteten Einkommensteuererstattungsanspruchs für das Jahr 1989 zustand (Wert ca. 0,5 Mio. DM),--

daß ihre Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht nur ca. 20 000 DM -- wie zunächst erklärt --, sondern nach dem später ergangenen Einkommensteuerbescheid 1989 54 000 DM betragen haben,--

daß ihre Einkünfte aus Gewerbebetrieb in 1989 213 238 DM betragen haben.

Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, den Steuerberater der Klägerin als Zeugen dazu zu vernehmen, daß

a) die mit Hilfe des Ehemannes bereitgestellten Mittel für den Sanierungsvergleich zweckbestimmt waren und nicht als frei verfügbares Vermögen (der Klägerin) angesehen wurden,

b) in den Gesprächen mit der Klägerin zu keiner Zeit erwogen wurde, dem FA bleibe eine wesentliche wirtschaftliche Information vorenthalten,

c) die gesamte Abwicklung so stattfand, daß sich daraus -- über die Sanierung hinaus -- kein wirtschaftlicher Vorteil für die Klägerin und deren Ehemann ergeben sollte,

ist das FG nicht nachgekommen, weil es die Beweisthemen als für die Entscheidung unerheblich angesehen hat.

 

Entscheidungsgründe

Die in zahlreichen Einzelpunkten auf Verfahrensfehler (§115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist jedenfalls deshalb zulässig und begründet, weil das FG die beantragte Beweisaufnahme mit der von ihm gegebenen Begründung nicht hätte unterlassen dürfen (§76 Abs. 1 FGO); ggf. hätte der Vorsitzende -- wie die Beschwerde zutreffend ausführt -- darauf hinwirken müssen, daß Unklarheiten hinsichtlich der Beweisthemen beseitigt und die Anträge näher erläutert würden (§76 Abs. 2 FGO).

Der Beweisantrag auf Vernehmung des Steuerberaters der Klägerin als Zeugen diente insgesamt ersichtlich dem Ziel, den Nachweis darüber zu führen, daß seitens der Klägerin und ihres Beraters keine arglistige Täuschung des FA zur Erlangung des Steuererlasses vorgenommen worden war. Die angegebenen Beweisthemen sind im Zusammenhang zu sehen mit dem sonstigen Vorbringen im Klageverfahren, wonach die Klägerin und ihr Berater keine Veran lassung und Verpflichtung dazu gesehen haben, das FA vor dem Ausspruch des Erlasses auf die ihm angeblich unbekannten Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Klägerin hinzuweisen, weil sich aus dem Ehevertrag kein klagbarer Anspruch auf Auszahlung eines Einkommensteuerguthabens gegen ihren künftigen Ehemann ergeben habe und die Einkünfte der Klägerin aus dem -- im übrigen zum 31. Juli 1989 aufgegebenen - Gewerbebetrieb dem FA vor dem Steuererlaß bekannt gewesen seien (Gewinn lt. Gewerbesteuer-Vorauszahlungsbescheid des FA 180 000 DM, lt. Erklärung der Klägerin 90 000 DM). Wenn auch das FG die Kenntnis der Veranlagungsstelle des FA als der Erlaßstelle nicht zurechenbar beurteilt hat, so war doch die gegenteilige Ansicht der Klägerin bei der Beurteilung des Schuldvorwurfs, der Erlaß sei durch arglistige Täuschung erwirkt worden, zu berücksichtigen. Das FG durfte deshalb den Beweisantrag, mit dem dargetan werden sollte, daß von der Klägerin und ihrem Berater zu keiner Zeit eine Täuschung des FA beabsichtigt war und somit der für den Rücknahmetatbestand des §130 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 notwendige Vorsatz fehlte, nicht als entscheidungsunerheblich über gehen.

Wenn das FG den Beweisantrag nicht in dem vorstehenden Sinne gedeutet haben sollte, so bestand Anlaß, gemäß §76 Abs. 2 FGO auf eine Erläuterung und Klarstellung des Antrags hinzuwirken. Das gilt insbesondere deshalb, weil eigenständige Feststellungen des FG und eine nähere Begründung zu der vom Gericht angenommenen Arglist in dem Verhalten der Klägerin bzw. ihres Steuerberaters fehlen. In dem Urteil wird insoweit im Anschluß an die Ablehnung der Beweiserhebung lediglich ausgeführt, aus diesem Vortrag (d. h. dem Beweisantrag) ergebe sich "zwanglos" der Vorsatz der Klägerin, ihre tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht während des Erlaßverfahrens darzulegen. Das FG hat damit aus dem Beweisantrag, ohne diesem nachzukommen, das Gegenteil dessen gefolgert, was durch die beantragte Beweiserhebung hätte nachgewiesen werden sollen. Daraus ergibt sich, daß die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel (unterlassene Beweisaufnahme) beruhen kann (§115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Die Revision gegen das FG-Urteil war deshalb zuzulassen.

Im übrigen ergeht der Beschluß nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66935

BFH/NV 1998, 337

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