Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Frage, ob ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, kommt es darauf an, ob der betreffende Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei Anlegung eines objektiven Maßstabs Anlaß hat, eine Voreingenommenheit des Richters zu befürchten.

2. Soweit der Berichterstatter beim FG bei der Aufbereitung des Streitstoffs Maßnahmen für den Fall einer auf Verschulden beruhenden verzögerlichen prozessualen Mitwirkung in Aussicht stellt, liegt darin kein Grund zu Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters, wenn die Maßnahmen durch das Gesetz gedeckt sind.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42; VGFGEntlG Art. 1 § 3

 

Tatbestand

Die Verfahren VI B 31/92 (betreffend Einkommensteuer 1987) und VI B 32/92 (betreffend Einkommensteuer 1988) werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 73 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) haben gegen den Einkommensteuerbescheid 1987 vom 22. August 1990 am 14. September 1990 und gegen den Einkommensteuerbescheid 1988 vom 17. August 1990 ebenfalls am 14. September 1990 Einspruch eingelegt. Da die Einsprüche trotz Aufforderung nicht begründet worden sind, hat sie der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) durch Einspruchsentscheidungen vom 15. Februar 1991 (Einkommensteuer 1987) bzw. vom 14. Dezember 1990 (Einkommensteuer 1988) zurückgewiesen.

Mit den am 18. März 1991 (Einkommensteuer 1987) bzw. am 11. Januar 1991 (Einkommensteuer 1988) beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Klagen haben die Kläger lediglich beantragt, die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Weiter haben sie in beiden Klageschriften nur noch ausgeführt: ,,Zur Begründung und zu Beweiszwecken beantragen wir vorab die Steuerakten des Beklagten zuzuziehen, auf deren Inhalt wir Bezug nehmen; eine schriftliche Vollmacht wird nachgereicht. Weiterer Vortrag und Beweisantritt bleibt vorbehalten."

Mit Verfügung vom 28. März 1991 forderte das FG in der Einkommensteuersache 1987 die Klagebegründung zum 15. Mai 1991 an. Mit weiterer Verfügung vom 3. Juni 1991 (mittels Postzustellungsurkunde - PZU - am 10. Juni 1991 zugestellt) gab das FG den Klägern gemäß Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) u.a. auf, die entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb von drei Wochen nach Zustellung anzugeben. Auf die am 27. Juni 1991 beim FG eingegangene Klagebegründung nahm das FA in einem fünfseitigen Schriftsatz vom 1. August 1991 (beim FG eingegangen am 6. August 1991) ausführlich Stellung, wobei es u.a. ausführte, es bleibe den Klägern unbenommen, entsprechende Nachweise für ihr Vorbringen einzureichen. Diese Stellungnahme wurde den Klägern zur Gegenäußerung bis zum 5. September zugesandt und am 23. September 1991 an die Erledigung erinnert. Mit weiterer Verfügung vom 11. Oktober 1991 wurden die Kläger gemäß Art.3 § 3 VGFGEntlG mit durch PZU am 16. Oktober 1991 zugestellter Verfügung aufgefordert, innerhalb eines Monats nach der Zustellung die im Schriftsatz des FA vom 1. August 1991 gestellten Fragen, die sich das Gericht zu eigen mache, zu beantworten und die dort bezeichneten noch fehlenden Unterlagen vorzulegen.

In der Einkommensteuersache 1988 wurden die Kläger durch Verfügung vom 22. Januar 1991 gebeten, die Klagebegründung innerhalb eines Monats zu übersenden. Mit Verfügung vom 1. März 1991 erinnerte das FG die Kläger an die Übersendung der Klagebegründung innerhalb von zwei Wochen. Durch mit PZU übersandter Verfügung vom 8. April 1991, zugestellt am 10. April 1991, wurden die Kläger unter Hinweis auf Art. 3 § 3 VGFGEntlG aufgefordert, innerhalb von drei Wochen nach Zugang die Tatsachen im einzelnen genau anzugeben, die den Streitgegenstand bezeichneten und die ihrer Ansicht nach bei der Entscheidung zu berücksichtigen seien. Die bloße Bezugnahme auf den Inhalt der Steuerakten genüge nicht. Zugleich mit der Klagebegründung vom 2. Mai 1991 haben sich die Kläger gegen die Verfügung des FG gewendet, da die Verfügung nach Art und Intention des Art. 3 § 3 VGFGEntlG durch diese Vorschrift nicht gedeckt sei. Die Abweichungen von der Steuererklärung 1988 seien nirgendwo vom FA dargelegt worden. In seiner Klageerwiderung wies das FA u.a. darauf hin, daß die Abweichungen von der Steuererklärung im Einkommensteuerbescheid 1988 erläutert worden seien. Nach einem weiteren Schriftsatz der Kläger vom 25. Juni 1991 hat das FA in seiner Erwiderung vom 1. August 1991 die Auffassung vertreten, es seien weitere Nachweise und Erläuterungen der Kläger erforderlich. Mit Verfügungen des FG vom 8. August 1991 und 20. September 1991 wurden die Kläger zur Gegenäußerung aufgefordert bzw. daran erinnert. Am 11. Oktober 1991 erging eine inhaltsgleiche Verfügung wie im Verfahren betreffend die Einkommensteuer 1987.

Mit in beiden Verfahren eingereichten Schriftsätzen vom 18. November 1991 beantragen die Kläger, den als Berichterstatter tätig gewordenen Richter am FG, Dr. X, wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung haben sie im wesentlichen ausgeführt: Anlaß des Ablehnungsgesuchs sei letzlich die Verfügung des Berichterstatters vom 11. Oktober 1991. Im gesamten Verfahren sei ziemlich einseitig Druck auf sie, die Kläger, ausgeübt worden. Dabei sei die Vorschrift des Art.3 § 3 VGFGEntlG mißbräuchlich angewendet worden; es seien Fristen gesetzt worden, die um die Hälfte dessen lägen, was § 46 FGO als Mindestzeitraum zur Unterstellung von Untätigkeit normiert habe. Der Berichterstatter habe ihnen, den Klägern, befohlen, genau das zu tun, was das FA verlange. Dies sei erkennbar in der Absicht geschehen, sie ,,mangels Mitwirkungspflicht abwimmeln" zu können. Dabei würden Vorträge bzw. Beweisantritte der Klägerseite faktisch vom Tisch gefegt; denn käme man kommentarlos dem Beklagtenverlangen nach, so müsse man auf eigene Beweisantritte verzichten. Es würden faktisch Verletzungen von Mitwirkungspflichten eingeräumt und es würde dem FA ohne weiteres ermöglicht, prozessual an eigenen Amtspflichtverletzungen vorbei die Kostenlast abzuwälzen. Der Berichterstatter habe den Eindruck vermittelt, sich das prozessuale bzw. außerprozessuale Wollen des FA zu eigen zu machen und zu versuchen, dieses ohne Berücksichtigung des Klägervortrags unter Zwang durchzusetzen. Der Berichterstatter nehme damit der Klägerseite ein ,,wesentliches Standbein" ihres Vortrags; von der Klägerseite vorgetragene Rechtsmängel des Verwaltungsaktes würden kommentarlos durch einen ,,Akt der Willkür" übergangen.

In seinen dienstlichen Äußerungen zu den Ablehnungsgesuchen der Kläger hat der Berichterstatter u.a. ausgeführt, er sehe keinen Grund für eine Befangenheit. Die Klagen seien erst nach Setzen von Ausschlußfristen gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG begründet worden. Die umfangreichen Klageerwiderungen des FA vom 1. August 1991 hätten substantiierte Sachvorträge enthalten und es seien ergänzende Auskünfte erbeten sowie verschiedene Unterlagen angefordert worden. Dazu sei eine Gegenäußerung der Kläger erforderlich gewesen. Da die Gegenäußerungen auch nach Erinnerung nicht eingegangen seien, seien die Verfügungen vom 11. Oktober 1991 das angemessene Mittel gewesen, um die Klägerseite zur Erfüllung ihrer prozessualen Mitwirkungspflichten anzuhalten.

Das FG hat die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Für die Annahme der Ausübung einseitigen prozessualen Zwanges durch den Berichterstatter zur Begünstigung des FA bestehe kein Anhaltspunkt. Der Berichterstatter habe nicht versucht, verfahrens- und materiell-rechtlich den Standpunkt des FA unter Zwang durchzusetzen. Die Kläger hätten trotz Aufforderung des Berichterstatters zunächst nicht dargetan, daß sie durch die Entscheidung des FA in ihren Rechten verletzt seien und daß die Klagen zulässig seien. Die Weiterleitung von Schriftsätzen eines Prozeßbeteiligten an die andere Partei gehöre im finanzgerichtlichen Verfahren zu den prozeßleitenden Maßnahmen, die der Erfassung und Aufbereitung des Streitstoffes dienten und zugleich den Beteiligten Gelegenheit gäben, über den Streitgegenstand zu disponieren, etwa durch Einschränkung oder Erweiterung oder auch durch Rücknahme der Klage oder durch Änderung des Steuerbescheides auf seiten des FA. In Wahrnehmung dieser gerichtlichen Vermittlerfunktion durch den Berichterstatter liege sachlich nichts anderes als eine konkretisierte Bitte um Gegenäußerung. Soweit der Berichterstatter bei der Aufbereitung des Streitstoffes Maßnahmen für den Fall einer auf Verschulden beruhenden verzögerlichen prozessualen Mitwirkung in Aussicht gestellt habe, seien diese nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters zu rechtfertigen. Die durch die angegriffenen Verfügungen vom 11. Oktober 1991 angekündigten Maßnahmen seien durch Art.3 § 3 VGFGEntlG gedeckt und hätten der Beschleunigung des Gerichtsverfahrens gedient. Zudem seien die Kläger mit eigenen Beweisantritten nicht ausgeschlossen worden. Die vom Berichterstatter verfügte Einmonatsfrist zur Gegenäußerung sei auch nicht unangemessen kurz gewesen. Seit Weiterleitung der Klageerwiderungen des FA vom 1. August 1991 hätten die Kläger über zwei Monate Zeit zu einer eigenen Stellungnahme gehabt, bevor sie, allerdings jetzt unter Androhung einer Ausschlußfrist gemäß Art.3 § 3 VGFGEntlG, durch die Verfügung vom 11. Oktober 1991 zu einer innerhalb eines Monats abzugebenden Gegenäußerung aufgefordert worden seien. Aus verfahrensrechtlicher Sicht könne darin keine Ausübung unzulässigen Drucks auf die Kläger gesehen werden. Auch könne aus der Anwendung der Vorschriften des VGFGEntlG kein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters hergeleitet werden. Auch sei aus prozeßleitenden Verfügungen des Berichterstatters nichts für die materiell-rechtliche Beurteilung des Streitfalles durch den Berichterstatter herzuleiten. Einer prozeßleitenden Verfügung könne der Berichterstatter eine Äußerung anfügen, die seine derzeitige Beurteilung des Streitfalles erkennen lasse, was aber hier durch die Verfügung vom 11. Oktober 1991 nicht geschehen sei. Es fehle daher an jeglichen Anhaltspunkten, die eine Voreingenommenheit gegenüber den Klägern rechtfertigen könnten.

Mit ihren Beschwerden begehren die Kläger, die Beschlüsse des FG aufzuheben und den Berichterstatter Dr. X wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung beziehen sie sich auf ihren Vortrag vor dem FG.

Das FA tritt den Beschwerden entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerden sind unbegründet. Das FG hat zu Recht die Ablehnungsgesuche der Kläger zurückgewiesen.

Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist hierbei nicht, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung eines objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit des Richters zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Anm. 37, m.w.N.).

Das Vorbringen der Kläger rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters Dr. X. Das FG hat zutreffend dargelegt, daß die von den Klägern beanstandete Prozeßführung bei objektiver Beurteilung nicht Anlaß geben konnte, an der Unvoreingenommenheit des Berichterstatters zu zweifeln. Der Senat hält die Begründung des FG insgesamt für zutreffend und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die überzeugenden Gründe der Beschlüsse des FG.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 44

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