Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung des Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung

 

Leitsatz (NV)

1. Auch gegen Vollstreckungsersuchen gem. § 250 AO 1977 kann eine einstweilige Anordnung auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO beantragt werden.

2. Einwendungen gegen den Steuerbescheid können im Verfahren wegen einstweiliger Einstellung der Vollstreckung nicht geltend gemacht werden.

3. Zu den Anforderungen an die schlüssige Darlegung der Unbilligkeit.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 250, 256, 258; FGO § 114 Abs. 1, 3; ZPO § 920 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hat seinen Wohnsitz in Österreich. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) richtete wegen einer Forderung aus einem bestandskräftigen Rückforderungsbescheid und Säumniszuschlägen im Januar 1984 ein Vollstreckungsersuchen an die österreichischen Finanzbehörden.

Der Antragsteller beantragte nach erfolglosem Beschwerdeverfahren gegen das Vollstreckungsersuchen und Erhebung einer noch dagegen anhängigen Klage beim Finanzgericht (FG) den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Er machte geltend, die vom österreichischen Finanzamt angedrohten Vollstreckungsmaßnahmen (Zwangsversteigerung einer Liegenschaft, Eröffnung des Konkursverfahrens) gefährdeten seine Existenz.

Das FG lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:

Es fehle an einer schlüssigen Darlegung des Anordnungsanspruchs. Anspruch in diesem Sinne sei das in der Hauptsache verfolgte Begehren, das Vollstreckungsersuchen vom Januar 1984 zu beseitigen. Ein solcher im Klagewege verfolgbarer selbständiger Anspruch bestehe nicht, da das nach § 250 AO 1977 ergangene Vollstreckungsersuchen als behördeninterne Maßnahme dem Vollstreckungsschuldner nicht bekanntgegeben werde. Deshalb sei das Vollstreckungsersuchen nicht mit der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage anfechtbar. Auch eine Anfechtung im Wege einer sonstigen Leistungsklage scheide aus, weil das Vollstreckungsersuchen nicht in die Rechte des Antragstellers eingreife. Das Vollstreckungsersuchen regele nur die gegenseitigen Amtsverpflichtungen im Verhältnis der Finanzbehörden zueinander und berühre nicht rechtlich geschützte Interessen Außenstehender. Der Antragsteller sei auch nicht rechtlos gestellt, weil er Rechtsbehelfe gegen die nach außen gerichteten Vollstreckungshandlungen der Vollstreckungsbehörde geltend machen könne.

Der Antragsteller begründete seine Beschwerde wie folgt:

Durch Maßnahmen des österreichischen Finanzamts werde seine Existenz vernichtet, wie sich aus den vorgelegten Unterlagen (Androhung der Eröffnung des Konkursverfahrens und der Versteigerung der Wohnung mit den Büroräumen) ergebe, auch wenn beide Maßnahmen nicht durchgeführt worden seien. Das Vollstreckungsersuchen sei keine interne Maßnahme, weil es ihm von den österreichischen Finanzbehörden bekanntgegeben worden sei. Somit sei auch in seine Rechte eingegriffen worden. Außerdem habe er den Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil die Eröffnung des Konkurses keiner weiteren Ausführungen bedürfe. Im übrigen schulde er überhaupt keine Steuern. Er wehre sich auch nur gegen das Vollstreckungsersuchen und nicht gegen einzelne Maßnahmen des ersuchten Finanzamts.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Vom ersuchten Finanzamt sei nur eine Sicherungshypothek eingetragen worden; im übrigen sei weder ein Konkursverfahren eröffnet noch eine Versteigerung des Grundstücks eingeleitet worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Senat sieht das Begehren des Antragstellers als gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung überhaupt gerichtet an, weil der Antragsteller vorträgt, überhaupt keine Steuern zu schulden, und sich nicht gegen einzelne Vollstreckungsmaßnahmen des ersuchten FA, sondern gegen das Vollstreckungsersuchen wendet.

Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen. Voraussetzung einer solchen Anordnung ist, daß ein (Anordnungs-)Anspruch und die Notwendigkeit einer Regelung - Anordnungsgrund - bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 ZPO).

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß es im Streitfall bereits am Bestehen eines Anordnungsanspruchs fehlt.

Als Rechtsgrundlage kommt dafür allein § 258 AO 1977 in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann die Vollstreckungsbehörde - das FA - die Vollstreckung, wenn sie im Einzelfall unbillig ist, einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben. Streitgegenstand ist nur die in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung vorläufigen Vollstreckungsaufschubs.

Da ein Antrag gem. § 258 AO 1977 auch schon gestellt werden kann, bevor eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme getroffen worden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. August 1976 VII R 111/74, BFHE 120, 13, BStBl II 1977, 104, das zu dem inhaltlich dem § 258 AO 1977 entsprechenden § 333 der Reichsabgabenordnung ergangen ist), kommt es entgegen der Ansicht der Vorinstanz und des Antragstellers für die Anwendbarkeit des § 258 AO 1977 nicht darauf an, ob die Einleitung der Vollstreckung oder ein Vollstreckungsersuchen selbständig angreifbar sind. (vgl. dazu Tipke / Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 249 AO 1977 Tz. 6 und § 250 AO 1977 Tz. 3).

Es ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen vorläufiger Rechtsschutz durch das Gericht erlangt werden kann, wenn der Anordnungsanspruch eine behördliche Ermessensentscheidung betrifft. (vgl. Beschluß des Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, 30, BStBl II 1977, 587 f.) Es bedarf keiner Entscheidung, welcher der hierzu vertretenen Auffassungen zu folgen ist. Auch wenn der für den Antragsteller günstigsten Auffassung gefolgt wird, nämlich der, daß das Gericht die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen (,,Interims"-)Ermessens zu treffen befugt ist, wäre die Anordnung zu versagen, weil ihre Voraussetzungen - die Unbilligkeit der Vollstreckung - nicht schlüssig dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht sind.

a) Soweit der Antragsteller geltend macht, das Vollstreckungsersuchen sei nicht gerechtfertigt, weil er überhaupt keine Steuern schulde, kann er damit im vorliegenden Verfahren nicht durchdringen. Nach § 256 AO 1977 sind Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt außerhalbs des Vollstreckungsverfahrens zu verfolgen. Der Antragsteller kann deshalb mit Einwendungen gegen Steuerbescheide (und Rückforderungsbescheide) im Vollstreckungsverfahren und damit auch im Verfahren gemäß § 258 AO 1977 nicht gehört werden. Im übrigen ist der der Vollstreckung und dem dazu ergangenen Vollstreckungsersuchen zugrunde liegende Rückforderungsbescheid bestandskräftig.

b) Der Antragsteller hat auch nicht dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht, daß die Vollstreckung als solche unbillig ist und deshalb nicht vollstreckt und auch kein Vollstreckungsersuchen gestellt werden durfte.

Eine schlüssige Darlegung der Unbilligkeit kann insbesondere nicht den allgemeinen Ausführungen des Antragstellers darüber entnommen werden, daß seine Existenz durch das Konkursverfahren und die Versteigerung der Wohnung und Büroräume vernichtet werde. Zur Darlegung einer Unbilligkeit reicht es nicht aus, auf diese im gegenwärtigen Stadium allenfalls möglichen Folgen hinzuweisen. Grundsätzlich ist eine Vollstreckung nicht schon dann unbillig, wenn sie für den Vollstreckungsschuldner nachteilige Folgen hat. Erforderlich ist vielmehr, daß die nachteiligen Folgen durch ein anderes Vorgehen vermieden werden könnten. Das hat der Antragsteller jedoch nicht aufgezeigt.

Es ist auch nicht glaubhaft gemacht worden, daß durch kurzfristiges Zuwarten ein unangemessener Nachteil, wäre er überhaupt anzunehmen, vermieden werden könnte. Selbst der Antragsteller behauptet nicht, daß er die Steuerrückstände kurzfristig tilgen könne und werde.

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 222

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