Leitsatz

1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige, die jeweils rechtskräftig entschieden haben, dass der zu ihnen beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, kann § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO entsprechend angewendet werden, wenn ein FG beteiligt ist und der BFH als oberstes Bundesgericht zuerst angerufen wird. Der BFH bestimmt hiernach das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs, sofern dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist.

2. Ein Verweisungsbeschluss nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG entfaltet Bindungswirkung hinsichtlich des Rechtswegs, wenn er nicht offensichtlich unhaltbar ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren, willkürlichen Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt und damit unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Grundsätze nicht mehr verständlich erscheint. In einem solchen Fall muss die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses hinter dem Rechtsgedanken des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zurücktreten.

3. Betrifft die Streitigkeit ausschließlich Fragen, die sich gerade im Zusammenhang oder anlässlich der Einstellung eines Steuerstrafverfahrens stellen, handelt es sich um eine Angelegenheit des Steuerstrafverfahrens, für die die Zuständigkeit der FG nach § 33 Abs. 3 FGO ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG , § 33 Abs. 3 FGO , § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO , § 155 FGO , § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG , § 153a Abs. 1 StPO , § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO

 

Sachverhalt

Gegen den Kläger wurde vom beklagten FA ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung geführt. Ihm wurde die Einstellung des Verfahrens nach Zahlung einer Geldbuße angeboten. Der Kläger kam dieser Auflage "unter dem Vorbehalt einer rechtlichen Nachprüfung" nach und bat dabei um Erläuterung des Schuldvorwurfs. Ohne dieser Bitte zu entsprechen, wurde jedoch das Verfahren gegen ihn eingestellt.

Nunmehr erhob der Kläger beim FG Klage mit dem Begehren, die Geldauflage zu mindern und das FA zu verpflichten, die zu der Geldauflage führenden Gründe offen zu legen. Das FG erklärte mit unanfechtbarem Beschluss den Rechtsweg zu den Finanzgerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht. Dieses verwies ihn an das FG zurück mit der Begründung, der Verweisungsbeschluss des FG entbehre jeglicher Rechtsgrundlage.

Das FG begehrte daraufhin vom BFH die Bestimmung des zuständigen Gerichts.

 

Entscheidung

Der BFH hat das Amtsgericht als zuständiges Gericht bestimmt. Der Verweisungsbeschluss des FG sei nicht offensichtlich unhaltbar gewesen. Selbst Maßnahmen der Steuerfahndung zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen (§ 208 Abs. 1 Nr. 2 AO) seien jedenfalls dann keine Abgabenangelegenheiten, wenn sie nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens vorgenommen werden.

Das Gleiche müsse gelten, wenn eine Streitigkeit – wie hier – ausschließlich Fragen betrifft, die sich im Zusammenhang oder anlässlich der Einstellung des Strafverfahrens stellen wie die Frage nach der Höhe der Geldauflage oder nach der Begründung des Schuldvorwurfs. Überdies könne sich sogar die vom AG zu entscheidende Frage stellen, ob das Verfahren wirksam beendet worden ist, obwohl der Kläger der Geldauflage nicht vorbehaltlos nachgekommen ist.

 

Hinweis

1. Für die Bestimmung des richtigen Rechtswegs im Fall unterschiedlicher Auffassungen der mit der Sache befaßten Gerichte über ihre (Un-) Zuständigkeit der jeweiligen Rechtswege enthält das Gesetz keine ausdrückliche Vorkehrung und kein Verfahren; § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO betrifft nur den Fall, dass innerhalb der Finanzgerichtsbarkeit verschiedene Finanzgerichte sich für unzuständig erklärt haben. Das macht in der Regel keine Probleme und entspricht der Konzeption des Gesetzes, welches einen Rechtswegekonflikt ausschließe.

§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG will einen Rechtswegekonflikt von vornherein dadurch ausschließen, dass er auch einem zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss Bindungswirkung beilegt. Die Rechtsprechung hat indes hiervon Ausnahmen zugelassen, weil sie diese strenge Bindungswirkung für mit der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters nicht vereinbar hielt: grob rechtswidrige, objektiv willkürliche Verweisungsbeschlüsse sollen demnach keine Bindungswirkung entfalten.

Das hat zur Folge, dass es zu dem Kompetenzkonflikt, den das Gesetz gerade vermeiden wollte, wie im Streitfall doch kommen kann; denn die Auffassungen auch darüber, was grob rechtswidrig ist, pflegen mitunter auseinander zu gehen. Dann gibt es keinen anderen Weg, als durch ein Obergericht den Konflikt zu schlichten, wenn anders man auf eine funktionierende Rechtspflege nicht ganz verzichten will.

Da bei einem Streit von Gerichten unterschiedlichen Rechtswegs ein gemeinsames, im Rechtszug zunächst höheres Gericht nicht existiert, fragt sich allerdings, welches Obergericht in einem solchen Fal...

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