2.3.1 Schätz- und Bewertungsmaßstab

 

Rz. 33

§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB enthält einen Schätzmaßstab und einen Bewertungsmaßstab für Rückstellungen. Alle passivierungspflichtigen Außen- und Innenverpflichtungen des Unt sind mit dem aus Sicht des Abschlussstichtags zu schätzenden notwendigen Erfüllungsbetrag anzusetzen. Das ist bei Schuldrückstellungen der zur Begleichung der ungewissen Verbindlichkeit bzw. zum Ausgleich eines Verpflichtungsüberschusses aus einem schwebenden Geschäft voraussichtlich aufzubringende Betrag. Aufwandsrückstellungen sind mit dem Geldbetrag bzw. mit dem Geldwert der Aufwendungen anzusetzen, den das Unt zur Erfüllung der ihnen zugrunde liegenden Innenverpflichtung im kommenden Gj wird aufwenden müssen (zum Ansatz von Innenverpflichtungen vgl. § 249 Rz 9).

Der Wortlaut in § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB legt den Schluss nahe, dass der "nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag" den bereits abgezinsten Nominalbetrag der Verpflichtung darstellt. Dieses Begriffsverständnis wird im Folgenden zugrunde gelegt, d. h., unter dem notwendigen Erfüllungsbetrag wird der Buchwert der Rückstellung verstanden.[1]

 

Rz. 34

Der notwendige Erfüllungsbetrag ist nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung zu schätzen. Dieser Schätzmaßstab schränkt das subjektive Ermessen des Bilanzierenden ein. Er fordert eine nachvollziehbare Rückstellungsbemessung, die im Einklang mit den am Abschlussstichtag vorliegenden Tatsachen sowie den stichtagsnachgelagerten wertaufhellenden Entwicklungen steht. Eine bewusste Über- oder Unterbewertung von Rückstellungen ist unzulässig.

[1] So auch IDW RS HFA 34.17.

2.3.2 Bewertungsobjekt

 

Rz. 35

Nach dem Einzelbewertungsgrundsatz (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB) sind "Schulden … zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten". Diese Anweisung gilt auch für Rückstellungen. Die Schätzung des notwendigen Erfüllungsbetrags ist an den individuellen Merkmalen der zu passivierenden Verpflichtung auszurichten. Eine verpflichtungskompensierende Berücksichtigung von Vorteilserwartungen aus anderen Geschäften, Ereignissen oder sonstigen Umständen erlaubt der Einzelbewertungsgrundsatz nicht (zur gesetzlichen Ausnahmeregelung bei Bewertungseinheiten vgl. § 254 Rz 3).

 

Rz. 36

Nach § 252 Abs. 2 HGB ist in begründeten Ausnahmefällen vom Einzelbewertungsgrundsatz abzuweichen. Anlass können Risiken aus einer Vielzahl gleichartiger Geschäftsvorfälle geben. Ist der daraus zu erwartende künftige Ausgabenanfall nur durch eine Sammelbewertung zuverlässig zu schätzen, ist die Rückstellung auf dieser Grundlage zu bemessen. § 240 Abs. 4 HGB lässt auch für Schulden eine Gruppenbewertung zu (§ 240 Rz 70).

 
Praxis-Beispiel

Ein Bauträger hat in einem Neubaugebiet 30 Eigenheime errichtet. Bis zur Aufstellung des Jahresabschlusses haben fünf Bauherren Mängel angezeigt und Nachbesserung verlangt.

Fall 1: Nach den Erfahrungen der Vergangenheit machen rund 30 % der Bauherren innerhalb der Gewährleistungsfrist Ansprüche wegen teils größerer, teils kleinerer Baumängel geltend.

Fall 2: Die Errichtung privater Eigenheime stellt ein neues Geschäftsfeld des Bauträgers dar. Verlässliche betriebliche Erfahrungen zur Höhe der zu erwartenden Aufwendungen für Nacharbeiten, Minderungen und Schadensersatzleistungen liegen nicht vor. Erhebungen für die Baubranche gehen von durchschnittlichen Gewährleistungsaufwendungen i. H. v. 5 % der Umsätze aus.

Für die bis zum Abschlussstichtag geltend gemachten Mängel sind Einzelrückstellungen zu bilden. Das darüber hinausgehende Risiko, aus abgenommenen und abgerechneten Bauleistungen in Anspruch genommen zu werden, ist durch eine pauschale Gewährleistungsrückstellung zu erfassen.

Die Grundlage für die Bemessung dieser Rückstellung bilden in Fall 1 die betrieblichen Erfahrungen der Vergangenheit. Zurückzustellen ist der Betrag der in Zukunft voraussichtlich noch zu erbringenden Gewährleistungsaufwendungen. Ausgangspunkt kann ein Prozentsatz der getätigten Umsätze sein. Der danach insgesamt zu erwartende Aufwand ist zu kürzen um die bereits angefallenen Gewährleistungsaufwendungen.[1] In Fall 2 kommt die Bildung einer Rückstellung auf Basis der branchenmäßigen Erfahrungen in Betracht. Das setzt deren Übertragbarkeit auf die betrieblichen Verhältnisse beim Bauträger voraus. Das ist u. a. anhand der Art der Bauleistungen sowie der Gewährleistungszeiträume zu beurteilen.

 

Rz. 37

Vom Einzelbewertungsgrundsatz kann auch abzuweichen sein, wenn eine ungewisse Verpflichtung durch einen Vermögensvorteil aus einer anderen Rechtsbeziehung kompensiert wird. Diese Voraussetzung ist bei Rückgriffsansprüchen erfüllt, „wenn

  • sie derart in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der drohenden Inanspruchnahme stehen, dass sie dieser wenigstens tw. spiegelbildlich entsprechen,
  • sie in rechtlich verbindlicher Weise der Entstehung oder Erfüllung der Verbindlichkeit zwangsläufig nachfolgen; die rechtliche Verbindlichkeit kann sich aus einer vorweg abgeschlossenen Vereinbarung (z. B. einem Versicherungsvertrag) oder aus gesetzlichen Haftungstatbeständen (z. B. einer unerlaubten Handlun...

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