Orientierungssatz

Urlaubsabgeltung - Erwerbsunfähigkeit, Arbeitsunfähigkeit)

1. Im Anschluß an die Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 30.11.1977 (5 AZR 667/76 = AP Nr 4 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit) ua, denen sich insoweit der erkennende Senat in inzwischen ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat, ist davon auszugehen, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht als Abfindungsanspruch entsteht, für den es auf weitere Merkmale nicht ankommt, sondern als Ersatz für den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht, der damit aber an die gleichen Voraussetzungen gebunden ist wie im übrigen vorher der Urlaubsanspruch. Daraus ergibt sich, daß der als Abgeltung zu zahlende Geldbetrag einem Arbeitnehmer nur dann zusteht, wenn in seiner Person nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, abgesehen vom Bestand der Arbeitspflicht, die gleichen Voraussetzungen gegeben sind wie während des Arbeitsverhältnisses. Auch der Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt, wenn er nicht vorher erfüllt wird, spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraums.

2. Rückläufer zu BAG Urteil vom 14.5.1986 8 AZR 604/ 84 = BAGE 52, 67.

 

Normenkette

TVG § 1; RVO § 183; BUrlG §§ 4, 7, 5; RVO §§ 1246-1247; SchwbG § 44

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 26.01.1987; Aktenzeichen 11 Sa 1392/86)

ArbG Kassel (Entscheidung vom 12.01.1984; Aktenzeichen 1 Ca 489/83)

 

Tatbestand

Der am 18. Oktober 1924 geborene Kläger war schwerbehindert und bei der Beklagten seit 1. Januar 1973 entsprechend dem Arbeitsvertrag vom 30. November 1972 als Andrucker und Fertigmacher für Buch- und Offsetdruck in deren Repro-Abteilung beschäftigt. Er ist am 30. November 1988 verstorben. Auf das Arbeitsverhältnis war der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich Berlin-West), zuletzt i.d.F. vom 1. Januar 1979 (MTV) anzuwenden.

Seit August 1982 war der Kläger arbeitsunfähig krank, stellte Ende 1982 einen Antrag auf Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und kündigte zum 30. September 1983 das Arbeitsverhältnis.

Seit 1. Oktober 1983 war er arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld. Er war von diesem Zeitpunkt an zwar nicht mehr krankgeschrieben, wäre aber gesundheitlich nicht in der Lage gewesen, seine früher der Beklagten geschuldete Tätigkeit als Andrucker und Fertigmacher auszuüben. Ab 13. Dezember 1983 war der Kläger als erwerbsunfähig anerkannt und erhielt ab 1. Januar 1984 Erwerbsunfähigkeitsrente.

Am 25. Oktober 1983 verlangte der Kläger von der Beklagten ohne Erfolg die Abgeltung von 9/12 seines Jahresurlaubs für 1983 (= 27 Urlaubstage), der insgesamt aus 30 Tagen Tarifurlaub und sechs Tagen Schwerbehindertenzusatzurlaub bestand. Mit der Klage vom 4. November 1983 hat der Kläger deswegen Zahlung in rechnerisch unstreitiger Höhe von 3.101,76 DM begehrt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.101,76 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1983 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, u. a. um dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben festzustellen, ob der Kläger nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten Tätigkeiten hätte verrichten können, die sie bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses verpflichtet gewesen wäre, als vertragsgemäß anzunehmen.

Der Kläger hat nunmehr beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.101,76 DM brutto abzüglich 1.560,09 DM netto zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen geänderten Klagantrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 1983 ein Abgeltungsanspruch für insgesamt 27 Urlaubstage entstanden ist, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Kläger nicht gewährt werden konnten (vgl. die Entscheidung des Senats in dieser Sache vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung).

1. Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch steht dem Kläger nicht mehr zu, weil er vor Ablauf des Urlaubsjahres 1983 bzw. des anschließenden Übertragungszeitraums nicht erfüllbar war.

Nach den nunmehr vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§ 561 Abs. 1 ZPO), war der Kläger auch nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30. September 1983 nicht in der Lage, eine Tätigkeit auszuüben, die seiner gegenüber der Beklagten geschuldeten Arbeitsleistung entsprochen hätte. Daran hat sich bis zum Ende des Übertragungszeitraums am 31. März 1984 nichts geändert.

Der Kläger war entsprechend dem Arbeitsvertrag mit der Beklagten während der gesamten Dauer seines Arbeitsverhältnisses ausschließlich als Andrucker und Fertigmacher für Buch- und Offsetdruck in der Repro-Abteilung der Beklagten tätig. Diese Aufgabe konnte er unstreitig aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit nicht mehr erfüllen. Sie war auch der Grund dafür, daß der Kläger bei der Beklagten ausgeschieden ist. Der Kläger hat keine Tatsachen dafür vorgetragen, daß er etwa bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums wieder in der Lage gewesen wäre, als Andrucker wie zuvor bei der Beklagten zu arbeiten. Damit war der Urlaubsabgeltungsanspruch bis zum Ablauf der Befristung jedenfalls am 31. März 1984 nicht erfüllbar.

Daran ändert nichts, daß der Kläger vom 1. Oktober 1983 bis 31. Dezember 1983 Arbeitslosengeld bezogen hat. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1986 (aaO) darauf hingewiesen, daß es für die Erfüllbarkeit des Abgeltungsanspruchs nicht darauf ankommen kann, daß der Kläger in der Lage war, für andere Tätigkeiten seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anzubieten, weil dies bedeuten würde, daß der Abgeltungsanspruch gegenüber dem Urlaubsanspruch erweitert werden würde.

2. Dies hat auch das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt (§ 565 Abs. 2 ZPO). An die vom Landesarbeitsgericht gleichwohl ausgesprochene Zulassung der Revision ist der erkennende Senat zwar nach § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden. Das hierauf vom Kläger erneut eingelegte Rechtsmittel kann jedoch keinen Erfolg haben.

Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob der erkennende Senat bei der Beurteilung des Rechtsstreits an seine Rechtsauffassung in der Entscheidung vom 14. Mai 1986 (aaO) gebunden ist (vgl. dazu BAGE 36, 1 = AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Provision, mit Anm. von Schulze-Osterloh, jeweils m. w. N.), weil die Angriffe der Revision nicht geeignet sind, gegenüber dem Urteil vom 14. Mai 1986 ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen.

a) Zu Unrecht meint die Revision, daß es auf die vom erkennenden Senat geforderten Merkmale für die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht ankomme. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

Die Revision verwechselt mit ihren Ausführungen die Erfüllbarkeit des Abgeltungsanspruchs mit der Verpflichtung bzw. der Fähigkeit des Arbeitgebers, den aufgrund eines erfüllbaren Abgeltungsanspruchs geschuldeten Geldbetrag zu zahlen, der dem während des Urlaubs fortzuzahlenden Lohn, dem Urlaubsentgelt, entspricht.

Im Anschluß an die Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 30. November 1977 (- 5 AZR 667/76 - AP Nr. 4 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit) und die Urteile des Sechsten Senats vom 18. Juni 1980 (- 6 AZR 328/78 - AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit), vom 26. Mai 1983 (- 6 AZR 273/82 - AP Nr. 12 zu § 7 BUrlG Abgeltung), vom 7. März 1985 (BAGE 48, 186 = AP Nr. 21 zu § 7 BUrlG Abgeltung), vom 7. November 1985 (BAGE 50, 107 = AP Nr. 24 zu § 7 BUrlG Abgeltung) sowie vom 7. November 1985 (BAGE 50, 118 = AP Nr. 25 zu § 7 BUrlG Abgeltung), denen sich insoweit der erkennende Senat in inzwischen ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 14. Mai 1986, BAGE 52, 67 = AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zuletzt Urteil vom 24. November 1987 - 8 AZR 140/87 - AP Nr. 41 zu § 7 BUrlG Abgeltung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen), ist davon auszugehen, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht als Abfindungsanspruch entsteht, für den es auf weitere Merkmale nicht ankommt, sondern als Ersatz für den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht, der damit aber an die gleichen Voraussetzungen gebunden ist wie im übrigen vorher der Urlaubsanspruch. Daraus ergibt sich, daß der als Abgeltung zu zahlende Geldbetrag einem Arbeitnehmer nur dann zusteht, wenn in seiner Person nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, abgesehen vom Bestand der Arbeitspflicht, die gleichen Voraussetzungen gegeben sind wie während des Arbeitsverhältnisses. Auch der Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt, wenn er nicht vorher erfüllt wird, spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraums.

b) Soweit die Revision schließlich im Anschluß an Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Zulassung der Revision meint, der Arbeitgeber müsse jedenfalls prüfen, ob er dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsplatz zuweisen könne, kann dies ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung führen.

Gegenstand des Rechtsstreits ist nicht, ob der Arbeitgeber vor einer Kündigung prüfen müßte, ob dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsplatz zuzuweisen wäre, sondern lediglich, ob der Arbeitgeber verpflichtet wäre, Arbeitsleistungen, die der Arbeitnehmer ihm anbieten kann, aufgrund des Arbeitsverhältnisses anzunehmen. Das Arbeitsverhältnis ist vorliegend im übrigen durch die Kündigung des Klägers, nicht durch eine Kündigung der Beklagten beendet worden.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Wittek

Schmidt Schömburg

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441595

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