Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Auswahl bei Wiedereinstellung nach Kündigung

 

Orientierungssatz

Bei der Einstellung sind die Grundsätze der sozialen Auswahl vom Arbeitgeber nicht zu beachten. (Festhaltung BAG Urteil vom 15.3.1984 2 AZR 24/83 = BB 1985, 57).

 

Normenkette

BGB § 242; KSchG § 5 Fassung 1969-08-25, § 4 Fassung 1969-08-25, § 7 Fassung 1969-08-25, § 1 Abs. 3 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 23.03.1984; Aktenzeichen 6 Sa 144/84)

ArbG Bonn (Entscheidung vom 10.11.1983; Aktenzeichen 5 Ca 2114/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Bestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers bei der Beklagten.

Der Kläger, der verheiratet ist und für ein minderjähriges Kind zu sorgen hat, war bei der Beklagten seit rund fünf Jahren als Gerüstbauer beschäftigt. Die Beklagte hatte in der letzten Zeit ihren Personalbestand von 22 auf neun Mitarbeiter reduziert und Kurzarbeit durchführen müssen. Mit Kündigungsschreiben vom 26. August 1983, das dem Kläger am gleichen Tag übergeben wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 9. September 1983 mit der Begründung, es fehlten weitere Aufträge der einzigen Auftraggeberin. Zusammen mit dem Kläger wurde den Arbeitnehmern S und K gekündigt; letzterer lebt unverheiratet mit einer Frau und einem gemeinsamen, unterhaltsberechtigten Kind zusammen; er ist seit dem 10. Februar 1980 für die Beklagte tätig. Vom 5. September 1983 bis zum Ende der Kündigungsfrist nahmen der Kläger und der Arbeitnehmer S ihren Resturlaub. Der Arbeitnehmer K arbeitete ununterbrochen über den 9. September 1983 hinaus auf unbestimmte Zeit weiter für die Beklagte.

Mit seiner am 21. September 1983 bei Gericht eingegangenen Klage wandte sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 26. August 1983.

Er hat bestritten, daß eine Kündigung aus betrieblichen Gründen erforderlich gewesen sei und gerügt, die Beklagte habe an seiner Stelle einen anderen unverheirateten Arbeitnehmer, der kürzer bei ihr beschäftigt gewesen sei, entlassen müssen. Er hat vorgetragen, er habe erst Anlaß für die Klage gehabt, als er erfahren habe, daß der Zeuge K weiterbeschäftigt werde und andere Mitarbeiter Abfindungszahlungen erhalten hätten. Jedenfalls habe die Beklagte ihn anstelle des Zeugen K wieder einstellen müssen, als sich am 10. September 1983 die Auftragslage verbessert habe. Dies ergebe sich aus seiner größeren sozialen Schutzbedürftigkeit. Immer dann, wenn noch während des Ablaufs der Kündigungsfrist die Umstände, die die Kündigung gerechtfertigt hätten, wegfielen, sei dem entlassenen Arbeitnehmer ein Wiedereinstellungsanspruch zuzubilligen. Bei der Wiedereinstellung habe der Arbeitgeber den Grundgedanken der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG zu beachten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß die Kündigung vom 26. August

1983 zum 9. September 1983 unwirksam ist und

das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fort-

besteht;

hilfsweise:

die Beklagte zu verurteilen, mit dem Kläger einen

neuen Arbeitsvertrag mit unveränderten Bedingungen

abzuschließen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der erste neue Auftrag nach der Kündigung des Klägers sei am 9. September 1983 eingegangen. Da sich zu dieser Zeit nur der Arbeiter K im Betrieb befunden habe, sei dieser wieder eingestellt worden. Wäre der Kläger im Betrieb gewesen, so hätte sie möglicherweise ihn statt des Zeugen K wieder eingestellt. Der Kläger habe sich aber seit dem 5. September 1983 in Urlaub befunden, so daß sie ihn nicht habe erreichen können. Einen Wiedereinstellungs a n s p r u c h habe der Kläger nicht. Dieser sei in der Rechtsprechung nur in besonderen Ausnahmefällen anerkannt worden, z.B. wenn sich nach einer Verdachtskündigung erweise, daß der Verdacht nicht begründet gewesen sei. Ein solcher Ausnahmefall liege indessen nicht vor. Sie habe eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, die der Kläger verspätet angegriffen habe. Die Versagung der Weiterbeschäftigung führe auch zu keiner großen Härte oder Unbilligkeit gegenüber dem Kläger. Dieser habe sich gegen die Kündigung im Rahmen der Möglichkeiten des KSchG wehren können und müssen. Halte der Arbeitnehmer jedoch die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG nicht ein, so sei die Kündigung gemäß § 7 KSchG wirksam.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage mit dem Hinweis auf § 7 KSchG abgewiesen und die Beklagte aufgrund des Hilfsantrags des Klägers verurteilt, mit diesem einen Arbeitsvertrag zu den Bedingungen des gekündigten Arbeitsverhältnisses abzuschließen. Gegen dieses Urteil hat nur die Beklagte Berufung eingelegt, so daß der Hauptantrag des Klägers rechtskräftig abgewiesen ist. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und auch den Hilfsantrag abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin, die Beklagte zu verurteilen, ihn wieder einzustellen, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat es dahinstehen lassen, ob ein Wiedereinstellungsanspruch besteht, wenn die Kündigung nach den bei ihrem Zugang gegebenen Verhältnissen betriebsbedingt und damit sozial gerechtfertigt war und vor Ablauf der Kündigungsfrist eine Veränderung eintritt, aufgrund derer eine Weiterbeschäftigung des entlassenen Arbeitnehmers möglich ist. Es hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, es stelle jedenfalls eine zu weitgehende Ausdehnung dieses Wiedereinstellungsanspruchs dar, wenn gefordert werde, der Arbeitgeber - nehme er Wiedereinstellungen aus dem Kreis der zunächst entlassenen Arbeitnehmer vor - sei zur strikten Beachtung der in § 1 Abs. 3 KSchG niedergelegten Grundsätze zur richtigen Sozialauswahl verpflichtet. Zunächst müßte der Arbeitgeber sonst bei der Wiedereinstellung prüfen, welcher der entlassenen Arbeitnehmer von der Kündigung sozial am härtesten betroffen war. Müßte er dann den schutzwürdigsten Arbeitnehmer vorrangig wieder einstellen, so würde ihn dies vor erhebliche praktische Schwierigkeiten stellen, weil er von sich aus die sämtlichen entlassenen Arbeitnehmer ansprechen, ihre gegenwärtige soziale Lage, die allein entscheidend sein könnte, überprüfen und erst anhand der dabei getroffenen Feststellungen über eine Wiedereinstellung entscheiden könnte. Für eine solche Überprüfungspflicht sei eine gesetzliche Grundlage nicht vorhanden. Es könne dahinstehen, ob bei Bejahung eines Wiedereinstellungsanspruches Mißbrauchstatbestände zu berücksichtigen seien, wenn z.B. der Arbeitgeber ohne jede Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse die Auswahl der wiedereinzustellenden Arbeitnehmer ausschließlich nach Leistungsgesichtspunkten treffe. Davon könne im Streitfall nämlich keine Rede sein. Die Berufungskammer halte, anders als das Arbeitsgericht, die soziale Lage des Klägers nicht für so erheblich schlechter als die des Arbeitnehmers K.

B. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts wird im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung gefolgt.

I. Die Revision geht unzutreffenderweise zunächst davon aus, das Berufungsgericht habe einen Wiedereinstellungsanspruch bei Wegfall des Kündigungsgrundes nach Ausspruch der Kündigung grundsätzlich abgelehnt. Insoweit verwechselt sie die Ausführungen der Beklagten mit denen des Landesarbeitsgerichts. Aus diesem Grunde gehen die Ausführungen der Revision auf den Seiten 1 bis 5 der Revisionsbegründung ins Leere.

II. Der vorliegende Fall bietet auch dem Senat keinen Anlaß, grundsätzlich zu der Frage Stellung zu nehmen, ob ein Wiedereinstellungsanspruch bestehen kann, wenn bei einer betriebsbedingten Kündigung der zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorgelegene Kündigungsgrund später entfallen ist. Ein solcher Wiedereinstellungsanspruch könnte sich aus einer nachwirkenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ergeben. Bejaht worden ist er in Rechtsprechung und Literatur bisher für den Fall, daß die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung angenommen wurde, sich später indessen die Unschuld des Arbeitnehmers herausstellte (Urteil des BGH vom 13. Juli 1956 - VI ZR 88/55 - und Urteil des BAG vom 14. Dezember 1956 - 1 AZR 29/55 - AP Nr. 2 und 3 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; MünchKomm-Schwerdtner, § 626 BGB Rz 115 ff.; Söllner, Arbeitsrecht, 8. Aufl., 1984, S. 284; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 435 m.w.N.). Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von dieser Fallgestaltung dadurch, daß die Kündigung zunächst einmal nach § 7 KSchG schon deshalb wirksam geworden ist, weil der Kläger sie nicht rechtzeitig angegriffen hat. Die Bejahung eines Wiedereinstellungsanspruchs in einem solchen Falle wäre mit der gesetzgeberischen Entscheidung in den §§ 4, 5 KSchG kaum vereinbar. Das braucht vorliegend jedoch nicht abschließend geklärt zu werden.

III. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage nämlich zutreffend deshalb abgewiesen, weil bei der Einstellung die Grundsätze der sozialen Auswahl vom Arbeitgeber nicht zu beachten sind. Dies hat der Senat bereits im Urteil vom 15. März 1984 - 2 AZR 24/83 - (NZA 1984, 226 = BB 1985, 57) entschieden. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, das geltende Arbeitsrecht kenne weder eine "sozialwidrige Einstellung" noch eine "sozial ungerechtfertigte Nichteinstellung". Anders als bei der Beendigung habe bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses der Grundsatz der Vertragsfreiheit den Vorrang vor der Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte. Bei der Einstellung müsse der Arbeitgeber Bewerber nicht nach sozialen Gesichtspunkten auswählen. Selbst bei einer betriebsbedingten Kündigung seien zudem soziale Gesichtspunkte, die sich erst nach Zugang der Kündigung ergeben, nicht mehr zu berücksichtigen. Das verbiete die modifizierte Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes bei einer späteren Neu- oder Wiedereinstellung auch dann, wenn sie in sachlichem Zusammenhang mit einer früheren Beschäftigung und in einem nicht zu langen zeitlichen Abstand nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses begehrt werde. Die entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 3 KSchG bei Einstellungen ist nach der Überzeugung des Senats (Urteil vom 15. März 1984, aaO) eine Rechtsfortbildung, für die es im geltenden Recht keine erweiterungsfähigen Ansätze gibt. Hieran wird festgehalten.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller

Jansen Dr. Bächle

 

Fundstellen

RzK, I 15 Nr 2 (ST1)

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