Entscheidungsstichwort (Thema)

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei Kurzarbeitergeld

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, im Interesse seines Arbeitnehmers Widerspruch und Klage gegen den Kurzarbeitergeld-Festsetzungsbescheid des Arbeitsamtes zu erheben, wenn er die einer ständigen Verwaltungspraxis entsprechende Rechtsauffassung der Arbeitsverwaltung teilt.

 

Normenkette

AFG §§ 72, 68; BGB §§ 282, 615

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 21.02.1991; Aktenzeichen 16 Sa 1441/90)

ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 06.09.1990; Aktenzeichen 6 Ca 1393/90)

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 9. Januar 1957 bei der Beklagten als Fliesenleger im Leistungslohn beschäftigt. In den Monaten Februar und März 1990 befand er sich in Kurzarbeit und erhielt Kurzarbeitergeld nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes.

Bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes berücksichtigte die Bundesanstalt für Arbeit in ihrem Festsetzungsbescheid vom 19. März 1990 die dem Kläger nach § 3 des "Tarifvertrages zur Förderung der Aufrechterhaltung der Beschäftigungsverhältnisse im Baugewerbe während der Winterperiode (TV Lohnausgleich) vom 8. Dezember 1987" für die Zeit zwischen Weihnachten 1989 und Neujahr 1990 gewährten Beträge als Arbeitsentgelt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der tarifliche Lohnausgleich für die Zeit zwischen Weihnachten 1989 und Neujahr 1990 sei nicht als Arbeitsentgelt i. S. von § 68 AFG zu bewerten. Da die Beklagte versäumt habe, gegen den Bescheid der Bundesanstalt für Arbeit Widerspruch einzulegen und Klage zu erheben, müsse sie für den ihm entstandenen Schaden einstehen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 215,76 DM

nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1990 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes sei auch der tarifliche Lohnausgleich als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Er meint, im Falle der Kurzarbeit bleibe der Arbeitgeber in Höhe des Kurzarbeitergeldes unmittelbar zur Lohnzahlung verpflichtet, solange nicht die Bundesanstalt für Arbeit den Arbeitnehmer in gesetzlicher Höhe befriedige. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers komme es dabei nicht an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 215,76 DM (netto) nebst Zinsen.

I.Die Beklagte schuldet dem Kläger keinen Schadenersatz in entsprechender Höhe. Die Voraussetzungen einer positiven Vertragsverletzung liegen nicht vor. Die Beklagte hat bei Durchführung der Kurzarbeit in den Monaten Februar und März 1990 keine im Verhältnis zum Kläger bestehende Pflicht verletzt. Die Beklagte war insbesondere nicht gehalten, den Bescheid des Arbeitsamtes mit Widerspruch und Klage anzufechten. Im Verfahren der Kurzarbeitergeldgewährung mag der Arbeitgeber in Ausnahmefällen aus Gründen der Fürsorgepflicht gehalten sein, ein sozialgerichtliches Verfahren einzuleiten, um weitergehende Ansprüche des Arbeitnehmers durchzusetzen (so zum Schlechtwettergeld Neumann-Duesberg, SGb. 1967, 527, 528). Ein solcher Ausnahmefall ist jedoch nicht anzunehmen, wenn der Arbeitgeber selbst in Übereinstimmung mit seinem Arbeitgeberverband die vom Arbeitsamt aufgrund unmißverständlicher Richtlinien vertretene Rechtsauffassung teilt und der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit auf besondere Anfrage deren Richtigkeit bestätigt hat. Eine arbeitsvertragliche Pflicht, einen auf die Abänderung einer weitgehend anerkannten Verwaltungspraxis gerichteten Prozeß zu führen, besteht nicht. Will der Arbeitnehmer eine von der gefestigten Verwaltungspraxis abweichende günstigere Auslegung des Arbeitsförderungsgesetzes erreichen, hat er selbst den sozialgerichtlichen und gegebenenfalls verfassungsgerichtlichen Rechtsweg zu beschreiten (vgl. Gagel/Bieback, AFG § 72 Rz 75).

II.Der Kläger hat mangels Vereinbarung keinen vertraglichen Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 215,76 DM. Eine vor oder bei Einführung der Kurzarbeit oder später getroffene Vereinbarung der Parteien über eine subsidiäre Zahlungsverpflichtung der Beklagten hat der Kläger nicht vorgetragen. Sie ergibt sich auch nicht aus anderen Rechtsgründen. Soweit der Kläger sich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juli 1990 (- 5 AZR 557/89 - EzA Nr. 11 zu § 615 BGB Betriebsrisiko) beruft, hat er diese mißverstanden. Der Fünfte Senat hat danach nur einen Anspruch des Arbeitnehmers auf "Verdienstausfall" anerkannt, wenn das Kurzarbeitergeld nicht gewährt wird, weil das Arbeitsamt für eine mit dem Betriebsrat vereinbarte Kurzarbeitsperiode das Kurzarbeitergeld rückwirkend widerrufen hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

III.Der Zahlungsanspruch folgt auch nicht aus § 615 BGB, denn die wirksame Einführung der Kurzarbeit suspendierte die Arbeitspflicht des Klägers und die korrespondierende Lohnzahlungspflicht der Beklagten.

Michels-Holl Dr. Ascheid Dr. Müller-Glöge

Harnack Hickler

 

Fundstellen

BAGE 70, 71-73 (LT1)

BB 1992, 2222

BB 1992, 2222 (LT1)

DB 1992, 2040 (LT1)

ARST 1993, 51-52 (LT1)

NZA 1992, 1031

NZA 1992, 1031-1032 (LT1)

RdA 1992, 351

SAE 1993, 173-174 (LT1)

ZAP, EN-Nr 934/92 (S)

AP § 611 BGB Fürsorgepflicht (LT1), Nr 110

AR-Blattei, ES 1040 Nr 9 (LT1)

EzA § 611 BGB Arbeitgeberhaftung, Nr 3 (LT1)

MDR 1993, 359 (LT1)

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