Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsanspruch. Kürzung bei Mutterschaftsurlaub
Orientierungssatz
Nach § 2.9 des Urlaubsabkommens für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie in Südwürttemberg/ Hohenzollern verringert sich der Urlaubsanspruch, wenn das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung zusammenhängend über drei Monate reicht, für jeden weiteren Monat um 1/12 des Jahresurlaubs. Damit erlischt kraft Tarifrechts, beginnend mit dem Ablauf des vierten Monats nach Beginn der Fehlzeit des Arbeitnehmers, der Urlaubsanspruch jeweils um diesen Bruchteil.
Normenkette
TVG § 1; MuSchG § 8d
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin war seit 17. September 1979 als Arbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft Tarifbindung das Urlaubsabkommen für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie in Südwürttemberg/Hohenzollern, gültig ab 1. Januar 1979, (UA) anzuwenden.
§ 2.6 UA lautet:
"Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens
einen halben Tag ergeben, sind auf volle
Urlaubstage aufzurunden."
§ 2.8 und 2.9 UA lauten:
"2.8 Zeiten einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen
Krankheit sowie Zeiten einer von einem Träger
der Sozialversicherung, einer Verwaltungsbehörde,
der Kriegsopferversorgung oder von einem sonstigen
Sozialleistungsträger bewilligten Vorbeugungs-,
Heil- oder Genesungskur und ärztlich verordneter
Schonungszeit, auch wenn keine Arbeitsunfähigkeit
vorliegt, dürfen nicht auf den Urlaub angerechnet
werden.
Bei anderweitig ärztlich verordnetem Erholungsaufenthalt
bleibt die teilweise oder volle Anrechnung
auf den Urlaub der vorherigen Vereinbarung
mit der Geschäftsleitung unter Hinzuziehung des
Betriebsrats überlassen.
2.9 Die in 2.8 genannten Zeiten mindern den Urlaubsanspruch
grundsätzlich nicht.
Der Urlaubsanspruch verringert sich jedoch für
jeden weiteren vollen Monat um 1/12 des Jahresurlaubs,
- wenn das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder
Vereinbarung zusammenhängend über 3 Monate ruht
oder
- bei einer Krankheitsdauer von über 9 Monaten
im Urlaubsjahr.
Bei Arbeitsunfähigkeit als Folge einer Berufskrankheit
oder eines nicht durch grobe Fahrlässigkeit
verschuldeten Arbeitsunfalles wird der Urlaub
nicht gekürzt.
Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so
werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen
Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub
nicht angerechnet."
In § 3.5 UA ist bestimmt:
"Bei Ableistung des Wehrdienstes oder Ersatzdienstes
oder bei Teilnahme an Eignungsübungen
gelten die gesetzlichen Bestimmungen (Arbeitsplatzschutzgesetz
vom 30.3.1957 - hier besonders
§§ 4, 6, 10, 11 -; das Eignungsübungsgesetz vom
20.1.1956 - hier besonders § 6 - nebst zugehöriger
Verordnung vom 15.2.1956 - hier besonders
§§ 1, 2 und 3 -)."
Nach der Geburt ihres Kindes am 28. Dezember 1981 und nach Ablauf der Mutterschutzfrist hatte die Klägerin bis 27. Juni 1982 Mutterschaftsurlaub. Vom 28. Juni bis 31. Juli 1982 hatte sie vereinbarungsgemäß unbezahlten Urlaub. Danach arbeitete die Klägerin bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 1. Oktober 1982. Die Klägerin, der für das Urlaubsjahr 1982 insgesamt 30 Tage Urlaub zustanden, hat insgesamt sechs Tage Urlaub unter Zahlung des Urlaubsentgelts erhalten.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage als Abgeltung weiterer 24 Urlaubstage für 1982 einen in der Höhe unstreitigen Betrag von 2.508,48 DM (brutto). Sie hat vorgetragen, die Beklagte habe wegen § 2.8 und § 2.9 UA keine Befugnis, nach § 8 d MuSchG ihren Urlaubsanspruch zu kürzen.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 2.508,48 DM (brutto) nebst 4 % Zinsen ab 11. Dezember 1982 zu verurteilen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag nur noch in Höhe von 1.358,76 DM weiter. Sie ist der Auffassung, daß sie wirksam den Urlaubsanspruch um 13 Tage gekürzt habe. Die Klägerin ist, obgleich ordnungsgemäß geladen, im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen. Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet.
Mit der Revision macht die Beklagte nur noch geltend, daß sie den Urlaubsanspruch der Klägerin um 13 Urlaubstage wirksam gekürzt habe. Über den Anspruch der Klägerin in Höhe von weiteren 11 Urlaubstagen bedarf es damit keiner Entscheidung des Senats, da dies nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.
Der Beklagten steht nur eine Kürzungsbefugnis für sieben Urlaubstage gegenüber der Klägerin zu, nicht wie sie meint, für 13 Urlaubstage. Im übrigen ist die Revision nicht begründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, § 2.9 UA stehe der Kürzungsmöglichkeit nach § 8 d MuSchG entgegen, weil das am 1. Januar 1979 in Kraft getretene Urlaubsabkommen für seinen Geltungsbereich abschließend regele, wie sich im Laufe eines Urlaubsjahres auftretende Fehlzeiten eines Arbeitnehmers auf seinen Urlaubsanspruch auswirken, und weil es aufgrund dessen weitergehende Kürzungsmöglichkeiten ausschließe. § 8 d MuSchG gehe dieser Regelung nicht vor. Zwar enthalte das Urlaubsabkommen seit 1. Juli 1979 in bezug auf den Jahresurlaubsanspruch mit Inkrafttreten der Regelungen in §§ 8 a ff. MuSchG eine unbewußte Regelungslücke. Diese Lücke bedürfe der Schließung mit dem Ergebnis, daß die Tarifvertragsparteien für den Fall der Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub eine Kürzung des Jahresurlaubs ebenfalls ausgeschlossen hätten.
2. Diesen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts kann schon im Ansatz nicht gefolgt werden. Der erkennende Senat hat dies bereits im Urteil vom 27. November 1986 (- 8 AZR 221/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt) dargelegt, dem ein vergleichbarer Rechtsstreit zugrunde lag. Daran ist festzuhalten.
a) Gegen die Auffassung, bei § 2.9 UA handele es sich um eine abschließende Regelung, spricht, daß in § 3.5 UA u. a. für die Ausübung des Wehr- und Ersatzdienstes auf die gesetzlichen Regelungen (u. a. § 4 und § 10 ArbPlSchG) verwiesen wird, also hierauf nicht die nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts abschließende Regelung nach § 2.9 UA anzuwenden ist. Den Tarifvertragsparteien bekannte gesetzliche Regelungen sollten also, wie sich aus dem für die Auslegung in erster Linie maßgebenden Tarifwortlaut ergibt, nicht ausgeschlossen werden.
§ 8 d MuSchG ist an § 4 ArbPlSchG orientiert (vgl. dazu die Senatsentscheidung vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 498/84 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Aus welchen Gründen die Tarifparteien für § 8 d MuSchG nicht ebenso verfahren wären wie für die ihnen bekannte Regelung in § 4 ArbPlSchG, erläutert das Landesarbeitsgericht nicht. Es weist nur darauf hin, daß im Regelfall die Dauer des Grundwehrdienstes die Dauer des Mutterschaftsurlaubs bei weitem übersteige. Damit läßt es unbeachtet, daß die Kürzungsbefugnis nach § 4 ArbPlSchG auch für Wehrübungen nach § 10 ArbPlSchG besteht, wenn sie länger als sechs Wochen dauern. Außerdem ist aus der unterschiedlichen Dauer von Wehrdienst und Mutterschaftsurlaub für die Auffassung des Landesarbeitsgerichts deshalb kein Anhaltspunkt zu gewinnen, weil nach der vom Landesarbeitsgericht als "abschließend" angenommenen Regelung in § 2.9 UA jeweils nach drei Monaten der Urlaubsanspruch sich verringert, gleichgültig wie lange die Fehlzeit des Arbeitnehmers andauert.
b) Das Landesarbeitsgericht unterscheidet nicht zwischen dem Inhalt von § 2.9 UA und dem von § 8 d MuSchG und erkennt damit nicht, daß § 8 d MuSchG ein Recht des Arbeitgebers zum Inhalt hat, einen Urlaubsanspruch einer Arbeitnehmerin zu kürzen, § 2.9 UA dagegen einen tariflichen Ausschlußgrund für den Urlaubsanspruch enthält, dessen Wirkungen unabhängig von einer Erklärung des Schuldners des Urlaubsanspruchs, hier also der Beklagten, eintreten.
Nach § 2.9 UA verringert sich der Urlaubsanspruch, wenn das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung zusammenhängend über drei Monate ruht, für jeden weiteren Monat um 1/12 des Jahresurlaubs. Damit erlischt kraft Tarifrechts, beginnend mit dem Ablauf des vierten Monats nach Beginn der Fehlzeit des Arbeitnehmers, der Urlaubsanspruch jeweils um diesen Bruchteil. Ob gegen diese Vorschrift rechtliche Bedenken bestehen, soweit hierdurch in den gesetzlich garantierten Mindesturlaub eingegriffen werden kann (vgl. dazu BAGE 45, 199 = AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG), bedarf keiner Entscheidung des Senats. Die nach dieser Vorschrift denkbare Kürzung des Urlaubsanspruchs würde hier nicht zu einer Verringerung des gesetzlichen Urlaubs der Klägerin führen. Ebenso braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob im Sinne von § 2.9 Satz 2 UA das Arbeitsverhältnis der Klägerin während des Mutterschaftsurlaubs als ruhend anzunehmen ist, weil - auch wenn hiervon ausgegangen wird - § 2.9 UA keine Regelung über das Kürzungsrecht des Arbeitgebers nach § 8 d MuSchG entnommen werden kann, durch die dieses ausgeschlossen oder eingeschränkt wird.
Nach § 8 d MuSchG kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub der Mutter für jeden vollen Kalendermonat, für den sie Mutterschaftsurlaub nimmt, um 1/12 kürzen. Es ist also eine Handlung des Arbeitgebers erforderlich, um die Verringerung des Urlaubsanspruchs zu bewirken. Gibt der Arbeitgeber gegenüber der Arbeitnehmerin eine solche Erklärung nicht ab, steht dieser der Urlaubsanspruch ungeschmälert zu.
c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wird daher die Befugnis des Arbeitgebers zur Kürzung des Urlaubsanspruchs nach § 8 d MuSchG nicht durch § 2.9 UA eingeschränkt. Dabei kann dahinstehen, ob die Befugnis nach § 8 d MuSchG tarifvertraglich einschränkbar ist (vgl. BAG Urteil vom 14. November 1963 - 5 AZR 498/62 - AP Nr. 2 zu § 4 ArbPlSchG und die Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. April 1986 - 8 AZR 326/82 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen), weil § 2.9 UA eine solche Regelung nicht enthält. § 2.9 UA kann nur entnommen werden, daß sich der Urlaubsanspruch unter den dort genannten Voraussetzungen von selbst verringert, nicht aber, daß der Arbeitgeber in seiner Befugnis nach § 8 d MuSchG eingeschränkt ist. Dazu hätte es jedenfalls einer weiteren ausdrücklichen Regelung bedurft, die dies ausspricht (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. April 1986, aaO).
d) Damit erledigt sich auch die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, § 2.9 UA enthalte eine Lücke, die entsprechend den Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu schließen sei: Weder kann von einer abschließenden Tarifregelung zur Kürzung von Urlaubsansprüchen ausgegangen werden noch kann angenommen werden, daß die Tarifvertragsparteien bei Kenntnis des erst später gesetzlich geregelten Rechts nach § 8 d MuSchG diese Befugnis im Gegensatz zu der in § 3.5 UA getroffenen Regelung einvernehmlich ausgeschlossen hätten.
3. Hat damit die Beklagte wirksam gegenüber der Klägerin von der Gestaltungsmöglichkeit nach § 8 d MuSchG Gebrauch gemacht, kann die Revision der Beklagten gleichwohl nicht in vollem Umfang Erfolg haben. Auch nach Ausübung des Kürzungsrechts steht der Klägerin Abgeltung für sechs Urlaubstage aus dem Jahr 1982 zu.
Die Klägerin hat im Jahre 1982 insgesamt drei volle Kalendermonate Mutterschaftsurlaub genommen. Damit war die Beklagte befugt, den Jahresurlaub von 30 Tagen um insgesamt 7,5 Tage zu kürzen. Der Urlaubsanspruch der Klägerin betrug somit bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Kürzung nach § 8 d MuSchG 22,5 Urlaubstage abzüglich der bereits gewährten sechs Urlaubstage, insgesamt 16,5 Urlaubstage. Der Klägerin stehen daher über die vom Landesarbeitsgericht rechtskräftig zuerkannten 11 Urlaubstage weitere 5,5 Urlaubstage zu. Diese sind nach § 2.6 UA auf 6 Urlaubstage aufzurunden. Eine § 2.6 UA entsprechende Aufrundungsregelung für die Kürzung des Urlaubsanspruchs gibt es nicht. Wegen ihres Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten stand der Klägerin der Urlaubsanspruch als Urlaubsabgeltungsanspruch zu. Diesen Anspruch hat die Klägerin weiterhin als Schadenersatzanspruch (vgl. dazu zuletzt die Senatsentscheidung vom 27. November 1986, aaO). Die Beklagte muß daher an die Klägerin über den bereits als rechtskräftig feststehenden Betrag von 1.149,52 DM hinaus weitere 627,12 DM zahlen.
Dr. Leinemann Dr. Peifer Dr. Olderog
Dr. Haible Hannig
Gegen dieses Versäumnisurteil steht der Beklagten der Einspruch zu (§ 338 ZPO). Der Einspruch muß durch Einreichung einer Einspruchsschrift beim Bundesarbeitsgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 3500 Kassel, von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (§ 340 ZPO). Die Einspruchsschrift muß die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird, sowie die Erklärung, daß gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde, enthalten. Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen. Sie beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils (§ 339 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen