Eine Erkrankung des Klägers, der einen Bevollmächtigten bestellt hat und damit fachkundig vertreten ist, kann nur in Ausnahmefällen eine Terminverlegung rechtfertigen (vgl. z.B. BFH v. 22.5.2019 – IV B 11/18, BFH/NV 2019, 1136). Einen solchen Ausnahmefall nimmt der BFH an wenn in einem ärztlichen Attest ausgeführt ist, das der Kläger "unter anderem wegen einer schweren rezidivierenden depressiven Störung und chronischer Suizidalität" nicht dazu in der Lage ist, an einem Gerichtsverfahren teilzunehmen, an der Begründung der Klage mitzuwirken oder Dritte dazu zu instruieren.

In diesem Fall darf das Gericht einen auf ein solches Attest gestützten Antrag auch dann nicht ablehnen, wenn es im Vorfeld die Möglichkeit gewährt hat, für den Kläger einen Prozesspfleger nach § 57 ZPO zu bestellen oder den Kläger selbst einen Betreuer nach § 1896 BGB a.F. bestellen zu lassen. Vielmehr hätte das erstinstanzliche Gericht zur Wahrung des rechtlichen Gehörs den Terminverlegungsantrag des Klägers nicht ohne weitere Sachverhaltsermittlungen zu dessen Gesundheit und Prozessfähigkeit ablehnen dürfen. Das FG hätte sich im Gegenteil – auch im Hinblick auf die Prozessfähigkeit – genauere Sachkenntnis von der weiteren Dauer der psychischen Erkrankung des Klägers verschaffen müssen. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebiete es in einem solchen Fall, dass sich das Gericht, z.B. durch Anhörung des behandelnden Arztes oder ggf. eines Amtsarztes, ein genaueres Bild von der Art und Intensität der gesundheitlichen Beeinträchtigung verschafft. Denn nur bei genauer Kenntnis der Art und Intensität der Erkrankung lasse sich beurteilen, ob eine weitere Vertagung zweckmäßig oder ob auf unabsehbare Zeit mit einer Mitwirkung des Klägers an der Aufklärung des Sachverhalts nicht gerechnet werden könne. Im letzteren Fall seien weitere prozessuale Maßnahmen seitens des FG erforderlich. Zu diesen weiteren Maßnahmen gehöre auch, dass das FG selbst prüft, ob aufgrund der Umstände eine Tätigkeit des Betreuungsgerichts erforderlich ist und deshalb gem. § 22a FamFG eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Betreuungsgericht bestehe oder ob die Einleitung eines Betreuungsverfahrens nach § 24 FamFG anzuregen sei. Die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPO komme demgegenüber nicht in Betracht, da sich die Vorschrift des § 57 ZPO darin erschöpfe, dem Kläger einen prozessfähigen Gegner gegenüberzustellen, damit er seinen Anspruch geltend machen kann (vgl. BFH v. 10.3.2016 – X S 47/15, BFH/NV 2016, 1044 Rz. 14, m.w.N.).

BFH v. 31.10.2023 – VIII B 110/22

 

Service: Borgdorf, Aktuelle Rechtsprechung zum Verfahrensrecht, AO-StB 2023, 347; abrufbar unter steuerberater-center.de

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