Zu erwähnen sind schließlich die umsatzsteuerlichen Themen, die vom Gesetzgeber mit den besprochenen Änderungsgesetzen (noch) nicht angegangen wurden. So gibt es weiterhin nichts Neues zur umsatzsteuerlichen Organschaft. Dies ist einerseits nachvollziehbar, da zur bedeutenden Frage der Steuerbarkeit der Innenumsätze die Entscheidung des EuGH über die Vorlage des BFH noch aussteht.[170] Andererseits sind weitere wesentliche Streitfragen, insbesondere zur Unionsrechtskonformität der nationalen Konzeption und zur finanziellen Eingliederung, zwischenzeitlich geklärt.[171] Wünschenswert wäre jedenfalls, wenn sich die Finanzverwaltung baldmöglichst zum Umgang mit der neueren Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft äußert.

Daneben hat der BFH kürzlich in seinem Urteil zum Widerruf der Gestattung der Ist-Besteuerung wegen Missbrauchs durchblicken lassen, dass das EuGH-Urteil in der Rechtssache Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136[172] eine unzureichende Umsetzung oder Anwendung des Unionsrechts beim Vorsteuerabzugsrecht offengelegt hat.[173] Art. 167 MwStSystRL steht der bisher in Deutschland geübten Praxis entgegen, wonach der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes möglich ist,[174] obgleich der Leistende der Ist-Versteuerung unterliegen könnte und bei ihm die Umsatzsteuer in diesem Zeitpunkt mangels vereinnahmten Entgelt womöglich noch nicht entstanden ist.[175] Damit der Leistungsempfänger davon erfährt, dass die Steuerschuld des Leistenden aufgrund dessen Ist-Versteuerung erst mit der Zahlung entsteht und daraufhin bei ihm auch erst der Vorsteuerabzug möglich wird, muss der nationale Gesetzgeber zumindest die Besteuerungsform des Leistenden als Pflichtangabe entsprechend Art. 226 Nr. 7a MwStSystRL in den Katalog des § 14 Abs. 4 UStG mitaufnehmen. Ob es darüber hinaus eine Änderung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG hinsichtlich des Merkmals der "gesetzlich geschuldete(n) Steuer" bedarf, bleibt diskussionswürdig. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann meines Erachtens i.S.d. der EuGH-Rechtsprechung unionsrechtskonform ausgelegt werden.[176]

Das Urteil des EuGH vom 4.5.2023[177] und die daran anschließende BFH-Rechtsprechung[178] zum Vorrang des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung gegenüber dem Aufteilungsgebot des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG erfordert eine Anpassung des UStAE in Abschn. 4.12.10 Satz 1. Der EuGH hatte entschieden, dass Art. 135 Abs. 2 Satz 1 Buchst. c MwStSystRL keine Anwendung auf die Vermietung von auf Dauer eingebauter Vorrichtungen und Maschinen findet, wenn diese Vermietung eine Nebenleistung zu einer Hauptleistung der Verpachtung eines Gebäudes ist, die im Rahmen eines zwischen denselben Parteien geschlossenen und nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l dieser Richtlinie steuerbefreiten Pachtvertrags erbracht wird, und diese Leistungen eine wirtschaftlich einheitliche Leistung bilden.[179] Hinsichtlich der vergleichbaren Problematik bei § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG bleibt der Ausgang der beim BFH zu dieser Frage anhängigen Verfahren abzuwarten.[180] Außerdem muss der Gesetzgeber prüfen, ob vor diesem Hintergrund § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG anzupassen ist.[181]

Ob aufgrund der neueren Rechtsprechung zur Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen[182] ebenfalls gesetzliche Änderungen erforderlich sind, wird nach Angaben der Bundesregierung geprüft.[183] Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde angekündigt, die Umsatzsteuerbefreiung für gemeinwohlorientierte Bildungsdienstleistungen europarechtskonform beibehalten zu wollen.[184]

[170] BFH, Vorlagebeschluss v. 26.1.2023 – V R 20/22 (V R 40/19), BStBl. II 2023, 530, anhängig beim EuGH unter dem Az. C-184/23, Rs. Finanzamt T II.
[172] EuGH, Urt. v. 10.2.2022 – C-9/20 – Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136, UR 2022, 224.
[175] Vgl. den Tenor des EuGH-Urteils v. 10.2.2022 – C-9/20, Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136, UR 2022, 224.
[176] So auch Schumann, UR 2022, 481 (482), Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15 UStG Rz. 332 (Juni 2022) und Stadie, MwStR 2022, 181 (183 f.), der zum Zweck der Rechtsklarheit eine Gesetzesänderung nahelegt. A.A. H. Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 13 UStG Rz. 169 (August 2022). Offengelassen vom XI. Senat im BFH-Urt. v. 12.7.2023 – XI R 5/21, DStR 2023, 2724 Rz. 37 ff., sowie von Heidner in Bunjes, 22. Aufl. 2023, § 15 UStG Rz. 180a, und Klein, DStR 2022, 521 (524).
[177] EuGH, Urt. v. 4.5.2023 – C-516/21 – Finanzamt X, UR 2023, 441.
[179] Siehe hierzu im Detail Prätzler/Müller-Adams, UStB 2023, 81 und von Streit/Streit, UStB 2023, 351.
[180] Revisionen anhän...

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