a) Zeitweise Beschränkungen im Ermittlungsverfahren

Im Ermittlungsverfahren kann dem Strafverteidiger bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt ist – spätestens bis zu Erhebung der Anklage – nach § 147 Abs. 2 StPO die Akteneinsicht insgesamt oder in einzelnen Teilen versagt werden, wenn die Einsicht den Untersuchungszweck gefährden kann. Hierbei handelt es sich um ein zeitweiliges Hindernis der Akteneinsicht, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, wobei den Zeitpunkt des Abschlusses nur die Staatsanwaltschaft bzw. im Steuerstrafverfahren regelmäßig die Strafsachenstelle der Finanzbehörde selbst bestimmen kann.[24]

Beraterhinweis Versagungsgründe des § 147 Abs. 2 StPO werden in der Praxis gelegentlich behauptet, ohne dass deren Voraussetzungen vorliegen.[25] Ob eine solche Gefährdung des Ermittlungszwecks vorliegt, ist dabei von der Ermittlungsbehörde selbst zu beurteilen, da allein diese aufgrund der Verfahrenskenntnis abschätzen kann, ob mögliche Gefährdungen des Untersuchungszwecks vorliegen.[26] Daher wird eine Einsicht häufig pauschal mit der Begründung abgelehnt, die Einsicht gefährde im vorliegenden Fall den Ermittlungszweck. Voraussetzung einer solchen Beschränkung muss aber immer eine tatsächliche Gefährdung des Ermittlungserfolgs durch die Akteneinsicht sein.[27] Nach dem förmlichen Abschluss der Ermittlungen ist dieser Anspruch weder eingeschränkt noch beschränkbar.[28]

[25] Reichling in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 392 AO Rz. 63, welcher die Ansicht vertritt, dass eine Gefährdung des Untersuchungszwecks in Steuerstrafverfahren regelmäßig auszuschließen sei. Meist wird dem so sein. Wenn allerdings eine Durchsuchung vorläufig wegen vorheriger Beiseiteschaffung von Beweismitteln erfolglos verlief, so könnte der Untersuchungszweck gefährdet werden. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde im Laufe des Verfahrens einen Haftbefehl anstrebt.
[27] Kämpfer/Travers in MünchKomm/StPO, 2. Aufl. 2023, § 147 Rz. 24.
[28] BVerfG v. 7.12.1982 – 2 BvR 900/82, NStZ 1983, 131 = wistra 1983, 105.

b) Inhaltliche Beschränkungen durch Schwärzung von Akten

Steuergeheimnis: Eine inhaltliche Beschränkung erfährt die Akteneinsicht in Steuerstrafverfahren allerdings durch die häufige Praxis der Ermittlungsbehörden, Aktenteile zu schwärzen. Dabei reicht der Umfang der Schwärzung vom Namen des Anzeigeerstatters bis hin zu etlichen Seiten von Vernehmungen oder anwaltlichen Schriftsätzen.[29] Die Verfasser dieses Beitrags erlebten in einem mit großem Medieninteresse verfolgten Steuerstrafverfahren die Übersendung von Akten, die in großen Teilen nur schwarze Balken enthielten. Erst durch die Ankündigung von strafprozessualen Maßnahmen durch den Vorsitzenden der Strafkammer konnte die Behörde zur Übersendung der überwiegend ungeschwärzten Aktenteile bewegt werden. Begründet wurde die Weigerung – wie regelmäßig – mit der Regelung des § 30 AO, der alle Amtsträger zur Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 7 AO) verpflichtet.[30] Die Wahrung des durch die Vorschrift geschützten Steuergeheimnisses wird durch die Sanktionsnorm des § 355 StGB strafrechtlich abgesichert.[31]

Geheimschutzinteressen Dritter: Wenn außer den Steuerdaten des Beschuldigten auch solche von Dritten betroffen sind, bestehen Ausnahmen nach § 30 Abs. 4 AO, z.B. wenn der betroffene Dritte auf seinen Schutz durch das Steuergeheimnis verzichtet oder die Offenbarung der Akte der Durchführung des Steuerstrafverfahrens dient.[32] Dies wird insb. relevant bei Steuerdaten eines Mitbeschuldigten, die für eine umfassende Verteidigung von Bedeutung sind. Das unbeschränkte Akteneinsichtsrecht des Verteidigers, das sich bei einem einheitlichen Verfahren auf den gesamten Akteninhalt bezieht, unabhängig davon, ob dieser jeweils den eigenen Beschuldigten oder nur Mitbeschuldigte betrifft,[33] kollidiert hier mit den Geheimschutzinteressen eines Mitbeschuldigten, die von § 30 AO geschützt sind. Diese Kollisionslage darf zutreffenderweise nach einer weit verbreiteten Meinung nicht durch die Beschneidung des Akteneinsichtsrechts des Verteidigers aufgelöst werden.[34] Dem Steuergeheimnis ist vielmehr nur ausnahmsweise nach Abwägung der Interessen der Vorrang gegenüber dem Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten einzuräumen.[35] Auch erfolgt die Herausgabe der ungeschwärzten Akten aufgrund von § 30 Abs. 4 AO befugt, weshalb die Ermittlungsbehörden keine Strafbarkeit nach § 355 StGB zu befürchten haben.[36]

Beraterhinweis Soweit die Akten dennoch nicht eingesehen werden können, dürfen sie auch nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden.[37]

[29] Müller-Jacobsen/Peters, wistra 2009, 458.
[30] Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 31.
[31] Schmitz in MünchKomm/StGB, 4. Aufl. 2022, § 355 Rz. 3f.
[32] Weitere Hinweise z.B. bei Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 57 (2/2023).
[33] Corsten/Oesteler, wistra 2021, 431; Schäfer, NStZ 1984, 203, 206 f.; Slothauer in Münchener Anwaltsha...

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