Solange die in einem Grundlagenbescheid gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen vom Finanzamt im Folgebescheid nicht berücksichtigt sind, ist die dem Grundlagenbescheid zugedachte Aufgabe nicht erfüllt. Anders ausgedrückt: § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verlangt die Änderung eines Steuerbescheids (Folgebescheids) immer dann, solange sich dessen Besteuerungsgrundlagen nicht mit den Feststellungen des entsprechenden Grundlagenbescheids decken. Dies bedeutet, dass die Verpflichtung zur Anpassung des Folgebescheids nicht dadurch beseitigt wird, dass das für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzamt einen Grundlagenbescheid übersehen oder dessen Inhalt nicht oder nicht in der richtigen Weise in den Folgebescheid übernommen hat.[1]

Anpassungsfehler oder Auswertungsversäumnisse sind also immer durch entsprechende spätere Änderungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu korrigieren, es sei denn, es ist Festsetzungsverjährung eingetreten. Dabei ist der Ablaufhemmungstatbestand des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO zu beachten, wonach die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von 2 Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids endet.[2]

Die Anpassungs- bzw. Auswertungspflicht gilt auch, wenn ein zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewerteter Grundlagenbescheid später geändert wird und das FA aus dem Änderungsbescheid die entsprechenden Folgerungen für den Folgebescheid ziehen möchte. Die Pflicht des FA zur Änderung des Folgebescheids gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO richtet sich dann – sowohl sachlich als auch zeitlich – ausschließlich nach dem geänderten Grundlagenbescheid. Ein Verbrauch der Änderungsmöglichkeit tritt somit nicht ein, auch nicht teilweise. Vielmehr erfolgt die Anpassung des Folgebescheids entsprechend dem Inhalt des geänderten Grundlagenbescheids und nicht etwa nur i. H. d. Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Grundlagenbescheid.[3]

 
Praxis-Beispiel

Anpassungsfehler

S ist an einer Grundstücksgemeinschaft G beteiligt. Bei seiner ESt-Veranlagung für das Jahr 05 (Ablauf der regulären Festsetzungsfrist am 31.12.10) hat sein Wohnsitz-Finanzamt die Mitteilung über einen gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO am 10.3.06 bekannt gegebenen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden[4] einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheid übersehen (hierin ausgewiesener Gewinnanteil für S: 10.000 EUR). Im ESt-Bescheid vom 20.5.06 unterbleibt daher der Ansatz der 10.000 EUR. Am 27.3.11 wird bei der G nach einer Außenprüfung ein nach § 164 Abs. 2 AO geänderter Feststellungsbescheid (Gewinnanteil des S nunmehr: 15.000 EUR) bekannt gegeben.

Der ursprüngliche ESt-Bescheid vom 20.5.06 ist gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Er ist an den geänderten Feststellungsbescheid vom 27.3.11 (= Grundlagenbescheid) anzupassen. Anzusetzen sind 15.000 EUR und nicht nur 5.000 EUR (Differenz zwischen geändertem und erstem Grundlagenbescheid). Die Anpassung kann zeitlich innerhalb der 2-Jahresfrist des § 171 Abs. 10 AO erfolgen, also bis zum 27.3.13. Im Ergebnis werden damit auch die bis zum 27.3.11 (= Bekanntgabezeitpunkt des geänderten Feststellungsbescheids) noch nicht ausgewerteten 10.000 EUR aus dem ursprünglichen Feststellungsbescheid vom 10.3.06 im Folgebescheid nachgeholt. Dieses Ergebnis ist insoweit "kurios", als dies ohne Ergehen des geänderten Feststellungsbescheids wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist (31.12.10) nicht mehr möglich gewesen wäre. Ausgehend vom 10.3.06 war die 2-Jahresfrist des § 171 Abs. 10 AO längst abgelaufen und ohnehin kürzer als die Regelfestsetzungsfrist gewesen.

Ebenso wenig steht § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einer weiteren Änderung eines Folgebescheids entgegen, wenn der Grundlagenbescheid bereits einmal zutreffend ausgewertet worden war und erst danach bei einer späteren Änderung ein Auswertungsfehler unterlaufen ist. Wertet das FA demnach einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid zunächst richtig im ESt-Bescheid aus, ändert es den ESt-Bescheid dann aber irrtümlich später in Anlehnung an den erstmaligen Feststellungsbescheid, kann es den Fehler im Zusammenhang mit der Auswertung eines erneut geänderten Feststellungsbescheids beseitigen.[5]

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