Ist ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid – zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen – nicht berücksichtigt worden in der für den Steuerpflichtigen erkennbaren Annahme, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen ist, und stellt sich diese Annahme später als unrichtig heraus, kann gem. § 174 Abs. 3 AO der fehlerhafte Steuerbescheid insoweit nachgeholt (auch in Form eines erstmaligen Bescheids), aufgehoben oder geändert werden (negativer Widerstreit).

§ 174 Abs. 3 AO rechtfertigt Änderungen auch bei einem negativen Widerstreit zwischen (irrtümlich vorgenommenem) periodisch gestrecktem statt punktuellem Ansatz.[1]

Zur Korrektur nach § 174 Abs. 3 AO genügt nicht die bloße Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts, sei es aufgrund fehlender Kenntnis (evtl. Fall des § 173 AO), oder sei es aufgrund der Annahme einer steuerlichen Irrelevanz (grundsätzlich keine Korrekturmöglichkeit). Hinzukommen muss vielmehr die Annahme einer anderweitigen steuerlichen Relevanz, die für die Nichtberücksichtigung kausal ist.[2] Diese Annahme muss in der Person des veranlagenden Finanzbeamten gegeben sein, sodass die Vorstellung des Steuerpflichtigen nur insoweit von Bedeutung sein kann, als sie vom Finanzbeamten übernommen wurde.

Davon zu unterscheiden ist die Frage der Erkennbarkeit einer solchen Annahme. Diese bezieht sich allein auf den Steuerpflichtigen. "Erkennbar" ist die Annahme, wenn ein verständiger Steuerpflichtiger (bzw. sein Vertreter oder Bevollmächtigter) sie bei verständiger Würdigung des Bescheids und anderer Unterlagen wie Außenprüfungsbericht, Schreiben des Finanzamts usw. erkennen konnte und damit rechnen musste, dass der Sachverhalt noch in einem anderen Bescheid berücksichtigt werden soll.[3] Die Annahme kann auch ohne besondere Mitteilung des Finanzamts allein aufgrund des gesamten Sachverhaltsverlaufs erkennbar sein.[4] Die Erkennbarkeit kann bereits vorliegen, wenn die Nichtberücksichtigung eines Sachverhalts schon wegen der Größenordnung augenfällig ist.[5] Erkennbar unberücksichtigt geblieben i. S. d. § 174 Abs. 3 AO ist ein Sachverhalt auf jeden Fall dann, wenn der Steuerpflichtige durch sein eigenes Verhalten das Finanzamt veranlasst hat, einen Sachverhalt bei einem anderen Steuerpflichtigen zu erfassen. Der Steuerpflichtige muss sich dabei das Verhalten seines Bevollmächtigten zurechnen lassen.[6]

 
Praxis-Beispiel

Negativer Widerstreit

Das FA hat einen von A für 01 erklärten Veräußerungsgewinn irrtümlicherweise nicht angesetzt, in der Annahme dieser sei erst im Jahr 02 zu berücksichtigen. Es hat A hiervon unterrichtet.

Stellt sich dies im Rahmen der Veranlagung für 02 als unrichtig heraus, kann der Bescheid für 01 nachträglich noch entsprechend geändert werden.

"Kann" bedeutet kein Ermessen, sondern ein "Muss".[7] Voraussetzung ist ferner, dass keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.[8]

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