3.5.1 Überblick

Die Änderungsvorschrift des § 174 AO will das komplizierte Problem sich widerstreitender Steuerfestsetzungen für bestimmte Fälle lösen, in denen aus einem Sachverhalt steuerliche Schlussfolgerungen gezogen wurden, die zueinander im Widerspruch stehen.

Mit den Regelungen in Abs. 1 bis 3 soll sichergestellt werden, dass ein bestimmter steuerlich relevanter Sachverhalt, der nur einmal bei einem Steuerpflichtigen, bei einer Steuerart oder in einem Veranlagungszeitraum, zu erfassen ist, mindestens einmal (Abs. 3), aber auch nicht mehr als einmal (Abs. 1 und 2) berücksichtigt wird. Danach erstreckt sich der Anwendungsbereich dieser Korrekturregelungen ausdrücklich auf Mehrfacherfassungen von Sachverhalten, die sich wechselseitig denkgesetzlich ausschließen, einerseits (positiver Widerstreit, Abs. 1 und 2) und auf die gänzliche Nichterfassung eines Sachverhalts andererseits (negativer Widerstreit, Abs. 3). Unter bestimmten – jeweils unterschiedlichen – Voraussetzungen hat die Korrektur zu erfolgen.

§ 174 Abs. 4 und 5 AO regelt die Folgen eines durch Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen ausgelösten Widerstreits in Form der Korrektur in einem anderen – und zwar dem richtigen – Bescheid.

§ 174 AO steht selbstständig neben § 129, § 172, § 173, § 175 AO und schließt diese nicht aus.

3.5.2 Mehrmalige Berücksichtigung eines Sachverhalts

Ist ein bestimmter Sachverhalt in 2 Steuerbescheiden berücksichtigt, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, ist nur einer davon richtig. Der fehlerhafte Steuerbescheid ist aufzuheben oder zu ändern, auch wenn er unanfechtbar ist.[1]

Eine Mehrfacherfassung liegt vor, wenn der Sachverhalt irrtümlich verschiedenen Steuerpflichtigen (Subjektkollision), verschiedenen Steuerarten (Objektkollision) oder verschiedenen Besteuerungszeiträumen (Periodenkollision) zugeordnet worden ist.

Wirkte sich die mehrfache Berücksichtigung des Sachverhalts in dem unrichtigen Steuerbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen aus, kann nach § 174 Abs. 1 AO eine Änderung nur auf dessen Antrag erfolgen.

Ein Steuerbescheid kann bei Doppelberücksichtigung eines Sachverhalts auch dann nach Maßgabe von § 174 Abs. 1 AO[2] geändert werden, wenn der widerstreitende Steuerbescheid von einer Behörde eines EU-Mitgliedstaats stammt.[3]

Bezüglich des Ablaufs der Festsetzungsfrist gibt es eine Verlängerung.[4]

 
Praxis-Beispiel

Periodenkollision

Im Jahr 02 zugeflossene Einnahmen sind in den Einkommensteuerbescheiden des S für 01 und 02 angesetzt worden. Der unrichtige Bescheid für 01 ist zu korrigieren.

 
Praxis-Beispiel

Kein Widerstreit bei Schätzung

S behauptet, dass im Einkommensteuerbescheid für 02 erfasste Einnahmen auch im Bescheid für 01, der wegen Nichtabgabe der Steuererklärung auf einer Vollschätzung beruht, berücksichtigt worden seien. Ein bestimmter Sachverhalt ist demnach in mehreren Steuerbescheiden "berücksichtigt" worden, wenn er dem Finanzamt bei der Steuerfestsetzung oder Gewinnfeststellung bekannt war und als Entscheidungsgrundlage herangezogen und verwertet wurde. Dies ist bei der Vollschätzung auszuschließen. Eine Änderung nach § 174 Abs. 1 AO ist daher nicht möglich.[5]

 
Praxis-Beispiel

Subjektkollision

Dieselben Einnahmen sind bei A und bei B erfasst worden. Bei A war es richtig, bei B nicht. Der Einkommensteuerbescheid gegenüber B ist zu korrigieren.

 
Praxis-Beispiel

Objektkollision

Ein einkommensteuerlich relevanter Geldzufluss wird zusätzlich als Zuwendung der Schenkungsteuer unterworfen. Es ist ein Fall des § 174 Abs. 1 AO gegeben.

 
Praxis-Beispiel

Doppelerfassung im selben Bescheid

Einnahmen wurden im selben Einkommensteuerbescheid 2-mal erfasst. Hier liegt kein Fall des § 174 Abs. 1 AO vor, da die Einnahmen nicht in 2 Bescheiden erfasst wurden. Es wäre aber eine Korrektur nach anderen Vorschriften zu prüfen, z. B. nach § 129 AO oder § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.

Wirkte sich die mehrfache Berücksichtigung des Sachverhalts in dem unrichtigen Bescheid zugunsten des Steuerpflichtigen aus, ist zwar ohne Antrag von Amts wegen zu ändern.[6] Jedoch darf der fehlerhafte Bescheid – aus Gründen des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen – gem. § 174 Abs. 2 Satz 2 AO nur geändert werden, wenn die mehrfache Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist.

Unter den Begriff des Antrags oder der Erklärung fallen nicht nur solche, die unter Verwendung des amtlichen Vordrucks abgegeben sind, sondern auch formlose Mitteilungen und Auskünfte aller Art.[7]

 
Praxis-Beispiel

Falsche Sachverhaltsdarstellung

S hat dieselben Ausgaben mit den Einkommensteuererklärungen für 01 und für 02 erklärt. Entsprechend wurde veranlagt. Für 01 waren die Erklärung und die Veranlagung insoweit falsch. Der Einkommensteuerbescheid für 01 ist zu korrigieren, die Berücksichtigung der Ausgaben war auf die Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen.

Dies gilt auch, wenn die Doppelberücksichtigung eines Sachverhalts nicht nur irrtümlich, sondern bewusst herbeigeführt worden ist.[8]

 
Praxis-Beispiel

Bewusste Doppelerfassung

Das Finanzamt erläs...

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