Leitsatz

1. Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO ist zulässig, wenn ein Unternehmen der gesetzlichen Krankenversicherung – entgegen der gesetzlichen Anordnung – die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers nicht übermittelt, der Datensatz der Steuernummer einer Person zugeordnet wird, die nicht Versicherungsnehmer ist und der Veranlagungs‐Sachbearbeiter – materiell-rechtlich zu Unrecht – entscheidet, dieser Person den Sonderausgabenabzug zu gewähren.

2. Soweit § 175b Abs. 1 AO an "Daten im Sinne des § 93c"AO anknüpft, beschränkt sich dies nicht lediglich auf die Inhalte des in § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO definierten Datensatzes, sondern umfasst nach dem – den Regelungsbereich der Norm umschreibenden – Eingangssatz des § 93c Abs. 1 AO alle steuerlichen Daten eines Steuerpflichtigen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einer mitteilungspflichtigen Stelle an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind.

3. Vorsorgeaufwendungen aus privatrechtlichen Versicherungsverträgen kann – vorbehaltlich gesetzlicher Sonderregelungen – nur derjenige Steuerpflichtige als Sonderausgaben abziehen, der sie als Versicherungsnehmer selbst zivilrechtlich schuldet und auch tatsächlich zahlt (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).

 

Normenkette

§ 93c Abs. 1, § 175b Abs. 1 AO, § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 10 Abs. 2a Satz 4 EStG 2017

 

Sachverhalt

Zu dem Haushalt der Klägerin gehörte 2017 ihr minderjähriger Sohn S. Mit dessen Vater V war sie nicht verheiratet. V hatte als Versicherungsnehmer für S als versicherte Person bei der Krankenversicherung einen Krankenversicherungsvertrag geschlossen und zahlte auch die Beiträge. K übermittelte der Finanzverwaltung Daten zu den für S gezahlten Krankenversicherungsbeiträgen. Angegeben wurden u.a. die Höhe der geleisteten Krankenversicherungsbeiträge sowie der Name und das Geburtsdatum des V als Versicherungsnehmer. Die Krankenversicherungsbeiträge 2017 für S wurden bei der Klägerin zunächst erklärungsgemäß nicht berücksichtigt. 2019 wurde der Steuerbescheid jedoch (fehlerhaft) gemäß § 175 AO geändert und die Krankenversicherungsbeiträge des S als Sonderausgaben abgezogen.

Nachdem V in seiner ESt-Erklärung den Sonderausgabenabzug für die den S betreffenden Versicherungsbeiträge (in seinem Fall zutreffend) bei demselben FA ebenfalls geltend gemacht hatte, veranlagte das FA ihn im Juni 2019 erklärungsgemäß und erließ am selben Tag gegen die Klägerin einen Änderungsbescheid, mit dem es den Abzug der Krankenversicherungsbeiträge gemäß § 175b AO rückgängig machte.

Die Klägerin meint, § 175b Abs. 1 AO sei nicht anwendbar. Es sollten dadurch keine unbeschränkten Änderungsmöglichkeiten eröffnet werden, nur weil andere Teile der Daten elektronisch übermittelt worden seien. Das FG wies die Klage ab (FG Münster, Urteil vom 9.3.2021, 1 K 2809/19 E, Haufe-Index 14441113, EFG 2021, 989).

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin war unbegründet, da die von dem Vater ihres Sohnes für diesen gezahlten Krankenversicherungsbeiträge bei ihr nicht als Sonderausgaben abziehbar und die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 175b Abs. 1 AO gegeben waren.

 

Hinweis

1. Eine wichtige Voraussetzung für die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens ist die elektronische Datenübermittlung durch Dritte. Mitteilungspflichtige Dritte sind u.a. Kranken- und Rentenversicherungsunternehmen. Die von ihnen übermittelten Daten sind keine Grundlagenbescheide. Um dennoch zu gewährleisten, dass die Daten materiell-rechtlich korrekt im Steuerbescheid des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden können, sieht § 175b Abs. 1 AO vor, dass ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern ist, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten i.S.d. § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.

2. Der in § 175b Abs. 1 AO verwendete Begriff der "Daten" ist nicht auf den "Datensatz" beschränkt, dessen (Mindest-)Inhalt in § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO definiert wird. Hierzu gehören auch diejenigen Daten, deren Übermittlung an die Finanzbehörde erst in einem Einzelsteuergesetz ("aufgrund gesetzlicher Vorschriften") angeordnet wird. Auch die weiteren Absätze des § 93c AO erfassen erkennbar nicht lediglich die Mindestinhalte des "Datensatzes" nach § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO, sondern sämtliche übermittlungspflichtigen "Daten" i.S.d. Eingangssatzes des § 93c Abs. 1 AO i.V.m. den Einzelsteuergesetzen.

3. Für eine teleologische Reduktion der Änderungsmöglichkeit gemäß § 175b AO dergestalt, dass nur Änderungen bezüglich derjenigen Inhalte ermöglicht werden sollen, die sich aus der Datenübermittlung selbst ergeben, besteht kein Anlass. Entscheidend ist vielmehr, dass die bisherige Steuerfestsetzung die übermittelten Beiträge nicht zutreffend berücksichtigt hat. Ein Auseinanderfallen von Wortlaut und Normzweck ist insoweit nicht erkennbar.

4. Materiell-rechtlich weist der BFH in diesem Urteil auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung hin, nach der – vorbehaltlich ges...

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