Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung des Blindengeldes bei der Prüfung des Kindergeldanspruchs für das behinderte Kind

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein behindertes Kind ist erst dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht. Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist daher anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des Kindes einerseits sowie der finanziellen Mittel des Kindes andererseits, zu prüfen. Das Blindengeld (hier: nach § 1 des Thüringer Gesetzes über Blindengeld) gehört zu den Bezügen des Kindes i.S. von § 32 Abs. 4 S. 2 EStG und ist daher bei seinen „finanziellen Mitteln” zu berücksichtigen.

2. Der gesamte existentielle Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Erfolgt kein Einzelnachweis, ist der behinderungsbedingte Mehrbedarf in Höhe der Pauschbeträge des § 33 b Abs. 3 EStG zu berücksichtigen. Das Blindengeld kann insoweit nicht zusätzlich, über den Behinderten-Pauschbetrag hinaus, als behinderungsbedingter Mehrbedarf berücksichtigt werden.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2, § 63 Abs. 1 Sätze 1-2, § 62 Abs. 1, § 33b Abs. 3 S. 3; BGB § 1610a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 31.08.2006; Aktenzeichen III R 71/05)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Blindengeld als Bezug i. S. des § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzen ist und in welcher Höhe pauschaler behinderungsbedingter Mehraufwand zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin ist die Mutter des am 5. Sept. 1972 geborenen Sohnes X, der seit einer Operation im Jahr 1978 erblindet ist; der Grad seiner Behinderung beträgt 100 v. H. Am 4. Dezember 2003 beantragte sie erstmals Kindergeld rückwirkend ab dem Jahr 1999. Mit dem hier streitigen Bescheid vom 10. Februar 2004 (Bl. 36 der Arbeitsamts-Akte) lehnte die zuständige Familienkasse den Antrag ab. X habe hinreichende Einnahmen, um sich selbst zu unterhalten. Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos. X verfügte über folgende Einnahmen und Bezüge:

1999 (DM)

2000 (DM)

2001 (DM)

2002 (EUR)

2003 (EUR)

2004 (EUR)

Wohngeld

12×195,00

= 2.340,00

2×195,00

10×152,00

= 1.910,00

12×152,00

= 1.824,00

12×73,00

= 876,00

12×73,00

= 876,00

12×73,00

= 876,00

Rente

12×891,86

=10.702,32

12×891,86

=10.702,32

12×891,86

=10.702,32

12×456,01

= 5.472,12

12×456,01

= 5.472,12

12×456,01

= 5.472,12

Blindengeld

12×950,00

=11.400,00

12×950,00

=11.400,00

12×950,00

=11.400,00

12×485,73

= 5.828,76

12×485,73

= 5.828,76

12×485,73

= 5.828,76

Abzgl. WK-PB und KostenPB

-560,00

-560,00

-560,00

-282,00

-282,00

-282,00

Gesamt

23.882,32

23.452,32

23.366,32

11.894,88

11.894,88

11.894,88

Allg. Lebensbedarf

13.020,00

13.500,00

14.040,00

7.188,00

7.188,00

7.680,00

behind. Mehrbedarf gem. § 33 b EStG

7.200,00

7.200,00

7.200,00

3.700,00

3.700,00

3.700,00

Gesamtbedarf

20.220,00

20.700,00

21.240,00

10.888,00

10.888,00

11.380,00

Die Klägerin trägt vor, die Berechnungsweise der Beklagten sei unzutreffend, denn das Blindengeld sei nicht zu berücksichtigen. Es handele sich dabei um einen behinderungsbedingten Bezug. Behinderungsbedingt seien zweckbezogene Leistungen, durch die nicht widerlegt, sondern bestätigt werde, dass ihr Kind außer Stande sei, sich selbst zu unterhalten. Gem. § 1610a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) werde vermutet, dass die Kosten der Aufwendungen nicht geringer seien als die Höhe der Sozialleistungen infolge Körper- oder Gesundheitsschaden. So liege der Fall hier. Der klägerische Bedarf betrage z. B. für das Jahr 2004 7.680 EUR ohne Berücksichtigung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs. Zu dessen Deckung reichten die Bezüge des Sohnes ohne Berücksichtigung des Blindengeldes nicht aus. Sie könne jedoch keinen über den Pauschbetrag hinaus gehenden höheren behinderungsbedingten Mehrbedarf geltend machen. Der Pauschbetrag für Blinde (3.700 EUR) könne jedenfalls nicht geringer sein als die gewährte Sozialleistung (5.828 EUR). Die Klägerin weist darauf hin, dass das Blindengeld im Jahre 2005 auf 400 EUR reduziert worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.04.2004 aufzuheben und der Klägerin Kindergeld ab dem Jahr 1999 bis einschließlich Februar 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der notwendige Lebensbedarf des behinderten Kindes setze sich aus dem allgemeinen Bedarf und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Für letzteren komme ein Einzelnachweis oder der entsprechende Pauschbetrag in Betracht. Diesen Pauschbetrag habe sie berücksichtigt. Als Einkünfte bzw. Bezüge seien alle geldwerten Zuflüsse anzusetzen. Da der behinderungsbedingte Mehrbedarf Berücksichtigung finde...

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