Entscheidungsstichwort (Thema)

Bei Prognoseentscheidung der Familienkasse zur Höhe der Kindeseinkünfte und -bezüge hindert die Bestandskraft eines Aufhebungsbescheides nicht die Berichtigung gem. § 70 Abs. 4 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Hat die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung aufgrund der Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen in die Grenzbetragsberechnung bestandskräftig abgelehnt, obwohl im Lichte der später ergangenen Entscheidung des BVerfG materiell-rechtlich die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch erfüllt waren, so steht einer rückwirkenden Änderung dieser unrichtigen Festsetzung die Bindungswirkung des Ablehnungsbescheides entgegen, soweit keine die Bestandskraft durchbrechende Korrekturnorm einschlägig ist.
  2. § 70 Abs. 4 EStG gestattet eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag entgegen einer früheren, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ergangenen Prognoseentscheidung der Familienkasse über- oder unterschreiten.
  3. Da vor Ablauf des Kalenderjahres die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge zwangsläufig nicht feststeht, kann für das Jahr des Ergehens des Ablehnungsbescheides auch eine aufgrund eines Beschlusses des BVerfG geänderte Rechtsauffassung durch Korrektur nach § 70 Abs.4 EStG berücksichtigt werden.
 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 4

 

Streitjahr(e)

2002

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 28.11.2006; Aktenzeichen III R 6/06)

 

Tatbestand

Streitig ist das Kindergeld für den Zeitraum Januar bis September 2002.

Der Kläger ist der Vater der am 8. März 1983 geborenen Angelka. Die Tochter des Klägers befand sich seit dem 1. Dezember 2000 in Ausbildung zur Augenoptikerin. Ausweislich der Ausbildungsbescheinigung vom 26. Januar 2001 sollte das monatliche Bruttogehalt der Tochter ab dem 1. Dezember 2000 850 DM und ab dem 1. August 2001 1.100 DM betragen. Etwaige Zusatzleistungen waren ausweislich dieser Bescheinigung nicht vorgesehen. Einer weiteren Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung vom 15. Juli 2002 ist zu entnehmen, dass das Ausbildungsende für den Januar 2003 vorgesehen war. Darüber hinaus war als monatliche Ausbildungsvergütung für die Zeit ab dem 1. Juli 2002 ein Betrag von 789,14 € angegeben. Außerdem sollte die Tochter des Klägers folgende Sonderzuwendungen erhalten: Juni 2002 307 €, November 2002 307 €.

Im Anschluss daran errechnete die Beklagte unter dem 2. August 2002 im Rahmen einer Prognose eine voraussichtliche Überschreitung der Einkommensgrenze für das Jahr 2002. Dabei zog sie von den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit lediglich den Arbeitnehmerpauschbetrag in Höhe von 1.044 € ab.

Mit Bescheid vom 3. September 2002 hob die Beklagte sodann die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind Angelka ab dem Monat Januar 2002 auf und forderte zugleich das für den Zeitraum Januar 2002 bis Juni 2002 zuviel gezahlte Kindergeld in Höhe von 924 € zurück. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Unter dem 21. Juli 2005 teilte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 der Beklagten mit, dass das Bruttojahreseinkommen seiner Tochter lt. Gehaltsabrechnung 2002 9.537,18 € betragen habe. Unter Abzug der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.993 € sowie einer Werbungskostenpauschale in Höhe von 920 € errechnete der Kläger sodann ein Nettoeinkommen in Höhe von 6.624 €.

Dazu überreichte der Kläger u. a. die Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge für den Monat Dezember 2002.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2005 gewährte die Beklagte sodann Kindergeld für den Zeitraum von Oktober 2002 bis Januar 2003 in Höhe von 154 € monatlich. Zur Begründung führte sie aus, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sei auf alle offenen Fälle anzuwenden. Nach Bestandskraft eines Bescheides sei ein später gestellter Antrag als Neuantrag für die ungeregelten Monate zu behandeln (§ 67 Abs. 1 Einkommensteuergesetz –EStG-). Die Festsetzung für das Kind sei mit Bescheid vom 3. September 2002 bestandskräftig aufgehoben worden. Kindergeld könne daher frühestens ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des Bescheides – Oktober 2002 – festgesetzt werden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 11. August 2005 Einspruch ein. Zur Begründung führte er ergänzend aus, selbst wenn man dem Inhalt des Bescheides vom 29. Juli 2005 folgen wolle, so wäre Kindergeld zumindest bereits ab Juli 2002 zu gewähren. Denn mit Bescheid vom 3. September 2002 habe die Beklagte lediglich über den Zeitraum bis einschließlich Juni 2002 entschieden, für den Zeitraum danach enthalte der Bescheid keine Entscheidung.

Mit Einspruchsentscheidung vom 30. August 2005 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Ergänzend führte er aus, die Voraussetzungen, unter denen die Bestandskraft des ablehnenden Bescheides nach den Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. Abgabenordnung und des § 70 Abs. 2 bis 4 Einkommensteuergesetz rückwirkend durchbrochen werden könne, seien nicht gegeben. Zwar s...

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