Leitsatz (amtlich)

Kunstmedaillen, die weder Sammlungsstücke von münzkundlichem Wert noch Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst sind, sind nach stofflicher Beschaffenheit zu tarifieren.

 

Orientierungssatz

Sobald eine Ware wegen ihrer "Beschaffenheit" einer bestimmten Tarifstelle zugeordnet werden kann, ist für eine Tarifierung durch Analogie --nach ATV 4-- kein Raum (vgl. EuGH-Urteil vom 16.12.1976 Rs. 38/76).

 

Normenkette

GZT Tarifnr 99.03; GZT Tarifnr 99.05; GZT Tarifnr 71.13; GZT Tarifnr 83.06; GZT Kap 99 Vorschr. 3; GZT ATV 4

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ am 17.Januar 1973 von ihr aus Ungarn eingeführte Kunstmedaillen --26 Stück aus Silber, 85 Stück aus Bronze-- bei einer Dienststelle des Beklagten und Revisionsklägers --des Hauptzollamts (HZA)-- zum freien Verkehr abfertigen. Die für Mitglieder der Klägerin bestimmten Medaillen stammten von dem Staatlichen Ungarischen Münzamt in Budapest und waren nach dem dort vorhandenen Entwurf eines Künstlers auf Bestellung gefertigt worden. Das HZA beurteilte die Medaillen zolltariflich nach ihrer stofflichen Beschaffenheit --Tarifst. 71.13 A und Tarifnr. 83.06 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT)--- und erhob die vorgesehenen Eingangsabgaben. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit der Begründung statt, die weder als Sammlungen noch als Einzelstücke gestellten Medaillen gehörten zwar nicht zur Tarifnr. 99.05 --Sammlungsstücke von münzkundlichem Wert--, wohl aber, in Anwendung der Allgemeinen Tarifierungs-Vorschrift (ATV) 4, zur Tarifnr. 99.03.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des HZA ist begründet.

Das FG hat die streitbefangenen Kunstmedaillen zu Unrecht als durch keine Tarifnummer erfaßt angesehen und sie unter Anwendung von ATV 4 wie Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst --Tarifnr. 99.03 GZT-- tarifiert. Die Erzeugnisse sind vielmehr nach stofflicher Beschaffenheit, nämlich als Silberschmiedewaren aus Edelmetallen --Tarifst. 71.13 A GZT-- bzw. als Ziergegenstände zur Innenausstattung, aus unedlen Metallen --Tarifnr. 83.06 GZT in der hier maßgebenden Fassung durch die Verordnung (EWG) Nr.1/73 des Rates vom 19.Dezember 1972 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 1/1 vom 1.Januar 1973)--, zu tarifieren.

Wie sich aus ATV 1 Satz 3 ergibt, gelten die ATV nur subsidiär, nämlich nur insoweit, als die Tarifvorschriften in Teil II GZT nichts anderes bestimmen. Innerhalb der ATV nachrangig ist ATV 4, deren Anwendung nur bei der Tarifierung von Waren in Betracht kommt, die --unmittelbar oder durch Anwendung von ATV 2 oder auch 3-- durch keine Tarifnummer erfaßt werden. Sobald eine Ware wegen ihrer "Beschaffenheit" einer bestimmten Tarifstelle zugeordnet werden kann, ist für eine Tarifierung durch Analogie-- nach ATV 4-- kein Raum (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 16.Dezember 1976 Rs.38/76, EuGHE 1976, 2027, 2036). Im Streitfall können die Waren schon aufgrund des Wortlauts der maßgebenden Tarifvorschriften (vgl. ATV 1 Satz 2) tarifiert werden.

Dem FG ist darin zuzustimmen, daß die Waren weder von der Tarifnr. 99.05 noch --unmittelbar-- von der Tarifnr. 99.03 --beide Tarifnummern sehen Zollfreiheit vor-- erfaßt werden. Nach den Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT), die nicht rechtsverbindlich, aber nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Senats maßgebliche Erkenntnismittel bei der Auslegung des GZT sind, gehören zwar auch Medaillen zu den Sammlungsstücken von münzkundlichem Wert der Tarifnr. 99.05, dies jedoch nur, wenn sie, was nach den vom FG getroffenen Feststellungen nicht zutrifft, in Sammlungen oder als Einzelstücke gestellt werden (ErlZT zu Tarifnr. 99.05 I Rdnr.13). Auch den Ausschluß der streitbefangenen Medaillen von der Tarifnr. 99.03 hat das FG zutreffend, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 14.August 1979 VII R 29/76, BFHE 128, 440, 444), begründet und dazu ausgeführt, den Medaillen fehle das für diese Tarifierung erforderliche Merkmal der Originalität, weil der Künstler an der Herstellung der vervielfältigten Stücke nicht mitgewirkt habe.

Mit dieser zolltariflichen Beurteilung ist jedoch, im Gegensatz zur Auffassung des FG, zugleich entschieden, daß es sich bei den Medaillen um Bildhauerarbeiten mit dem Charakter von Handelswaren im Sinne der Vorschrift 3 zu Kap.99 handelt. Denn gerade aus dieser Vorschrift wie aus dem Wortlaut der Tarifnr. 99.03 ergibt sich, daß die Tarifierung als "Originalerzeugnis" der Bildhauerkunst das Merkmal der Originalität voraussetzt, das im Streitfall fehlt, ungeachtet des Wertes, den die Medaillen im übrigen, von dem Mangel der Originalität abgesehen, aufweisen mögen (vgl. insoweit auch EuGH-Urteil vom 27.Oktober 1977 Rs.23/77, EuGHE 1977, 1985, 1990, Abs.3 der Urteilsgründe; s. ferner die in ABlEG C 111/9 vom 6.Mai 1985 veröffentlichte Antwort der EG-Kommission auf eine parlamentarische Anfrage). Aus der Überschrift des Kap.99 ("Kunstgegenstände ..."), die rechtlich unverbindlich ist (ATV 1 Satz 1; vgl. auch ErlZT zu Kap.99 IV Rdnr.1), folgt nicht, daß nicht durch die Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 erfaßte "Kunstgegenstände" gleichwohl in dieses Kapitel gehörten. Vielmehr bleibt es dabei, daß Kap.99, das im Falle einer Konkurrenz mit anderen Kapiteln des Zolltarifs Vorrang genießt (Vorschrift 4 Buchst.a zu Kap.99; vgl. dazu EuGH-Urteil vom 15.Mai 1985 Rs.155/84, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1985, 489) --jedoch nur vorbehaltlich unter anderem der Vorschrift 3 zu Kap.99--, für die Anwendung im Streitfall ausscheidet. Da eine anderweitige Tarifierung nicht in Betracht kommt, müssen die Medaillen nach stofflicher Beschaffenheit tarifiert werden. Dem steht nicht, wie das FG anzunehmen scheint, entgegen, daß die maßgebenden Tarifvorschriften (Tarifst. 71.13 A; Tarifnr. 83.6) nicht ausdrücklich Medaillen anführen, die nicht von Kap.99 erfaßt werden. Denn auch ohne eine solche ausdrückliche Anführung bezieht sich der Wortlaut dieser Tarifvorschriften (Silberschmiedewaren aus Edelmetallen; Ziergegenstände zur Innenausstattung aus unedlen Metallen) auf Medaillen mit der entsprechenden stofflichen Beschaffenheit, soweit sie --wie hier-- nicht unter das Kap.99 fallen (vgl. ErlZT zu Tarifnr. 71.13 I Rdnr.6 und zu Tarifnr. 83.06 I Rdnr.18). Dies rechtfertigt die entsprechende Tarifierung der Medaillen; eines ausdrücklichen "Auffangtatbestands", wie ihn der EuGH (EuGHE 1977, 1985, 1990 f.) z.B. in der Tarifst. 49.11 B für alle nicht an anderer Stelle des Zolltarifs erwähnten graphischen Druckwerke gesehen hat, bedarf es nicht.

 

Fundstellen

BFHE 144, 500

BFHE 1986, 500

HFR 1986, 147-148 (ST)

ZfZ 1986, 49-50 (ST)

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