Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung von Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst und Statuetten zur Innenausstattung.

 

Normenkette

GZT Tarifnr. 83.06, Vorschrift 3 zu Kapitel 99; GZT Tarifnr. 99.03, Vorschrift 3 zu Kapitel 99

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ am 18. April 1974 39 Bronzeskulpturen des Künstlers A mit der Bezeichnung „Venus ….” als Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst der Tarifnr. 99.03 (Einfuhrumsatzsteuersatz 5,5 %) zum freien Verkehr abfertigen. Auf Grund eines Gutachtens der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) wies das Zollamt (ZA) die Waren als „Statuetten aus unedlem Metall zur Innenausstattung” der Tarifnr. 83.06 des Gemeinsamen Zolltarifs – GZT – (Einfuhrumsatzsteuersatz 11 %) zu und forderte die Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 5,5 % des Wertes nach. Nach erfolglosem Einspruch machte die Klägerin mit der Klage geltend, die Exemplare stammten aus einer Gesamtauflage von 1 000 Stück. Jedes dieser Stücke sei ein Originalerzeugnis. Sie seien nach der vom Künstler hergestellten Originalform im Wachsausschmelzverfahren gegossen worden. Bei ihrer Herstellung habe der Künstler in der Weise mitgewirkt, daß er den Guß beaufsichtigt und erforderlichenfalls korrigierend eingegriffen sowie die gegossenen Stücke angesehen, begutachtet und die nach seiner Meinung gelungenen Exemplare mit Hilfe eines Punzstempels mit seiner Signatur versehen habe. Bei diesen Kunstwerken, die numeriert seien, handle es sich keineswegs um kunstgewerbliche Reproduktionen, wie z. B. die in allen möglichen Materialien gegossenen „betenden Hände” von Albrecht Dürer. Die Höhe der Auflage sei kein Kriterium dafür, ob es sich um ein Originalerzeugnis der Bildhauerkunst oder um einen kunstgewerblichen Gegenstand handle. Für die Eigenschaft als Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst spreche auch der Preis. Gerade der Umstand, daß der Künstler die Produktion selbst überwache und notfalls korrigierend eingreife sowie das Werk selbst numeriere und signiere, rechtfertige den hohen Preis, der für die eingeführten Skulpturen im Kunsthandel zur Zeit bei fast 2000 DM je Exemplar liege. Für kunstgewerbliche Gegenstände ähnlicher Art würden dagegen allenfalls Preise zwischen 100 und 150 DM erzielt.

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) wies die Klage durch Urteil vom 12. Februar 1976 III 110/75 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 320 – EFG 1976, 320 – ab. Es führte aus, es komme nach der Vorschrift 3 zu Kapitel 99 des GZT darauf an, ob die Bildhauerarbeiten den Charakter einer Handelsware hätten, nicht aber auf die im Kunsthandel übliche Verkehrsanschauung. Die Vorschrift 3 zu Kapitel 99 lasse deutlich erkennen, daß der maßgebende zolltarifliche Unterschied ausschließlich darin bestehe, daß die Originalerzeugnisse vom Künstler selbst hergestellt seien und nicht den Charakter von Handelswaren hätten, insbesondere keine Serienerzeugnisse seien. Fehle den Erzeugnissen infolge ihrer serienmäßigen Herstellung ohne Mitwirkung des Künstlers die originelle und individuelle Note, die gerade das vom Künstler selbst einmalig oder nur in sehr geringer Auflage hergestellte Originalerzeugnis auszeichne und dessen hohen Preis rechtfertige, so handle es sich zolltariflich um Bildhauerarbeiten mit dem Charakter von Handelswaren, die nach ihrer stofflichen Beschaffenheit zu tarifieren seien und jedenfalls nicht zur Tarifnr. 99.03 gehörten. Daran ändere nichts, daß das Modell, nach dem die Gußform hergestellt sei, ein Kunstwerk darstelle. Mit jeder Steigerung der Gesamtauflage über eine sehr geringe Zahl hinaus, von der die Erläuterungen zum Brüsseler Zolltarifschema (Brüsseler Erl.) zu Kapitel 99 ausgingen, gehe aber zweifelsohne der individuelle Charakter, den ein Einzelkunstwerk oder nur sehr wenige Exemplare desselben Bildwerks aufweisen, in steigendem Maße verloren. Dagegen wiesen Nachbildungen eines Kunstwerks, die vom Künstler selbst in den verschiedensten Materialien angefertigt würden und insgesamt ein Dutzend kaum je überschritten, ganz individuelle Merkmale auf, die ihnen den Charakter von Originalerzeugnissen verliehen. Bei den Skulpturen des Streitfalles fehlten Abweichungen, die sie deutlich voneinander unterschieden, da der Künstler nicht in der für Originalerzeugnisse typischen Weise und auch nicht in dem erforderlichen Umfang bei ihrer Herstellung mitgewirkt habe. Der Künstler habe die Skulpturen weder selbst gegossen noch eigenhändig weiterbearbeitet. Das sei ausschließlich von Dritten gemacht worden. Der Künstler habe die Herstellung lediglich beaufsichtigt, sich die fertigen Nachbildungen angesehen und entschieden, ob sie nach ihrem Aussehen und der Wirkung auf den Betrachter seinen Vorstellungen entsprächen. Soweit die einzelnen Nachbildungen Abweichungen voneinander aufwiesen, beruhten diese nicht auf einem eigenhändigen Eingreifen des Künstlers. Es handle sich vielmehr um Unterschiede, die durch den Herstellungsprozeß bedingt seien, an dem der Künstler nicht mitgewirkt habe. Solche Unterschiede bestünden z. Z. in je nach dem Gußergebnis und der Oberflächenbearbeitung vorhandenen Schattierungen der Patina und in der mehr oder weniger gelungenen Entfernung von nach dem Guß vorhandenen „Graten” und „Gußnasen” durch Abschleifen und Behandlung mit Sandstrahl. Alle derartigen Unterschiede seien nicht vom Künstler, sondern von Dritten bei der Herstellung der Skulpturen hervorgerufen worden. Der Künstler habe nach dem Vortrag der Klägerin lediglich insofern selbst Hand angelegt, als er die von ihm für gut befundenen Skulpturen mittels eines Punzstempels eigenhändig signiert habe.

Die Klägerin hat keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat auch nicht ausdrücklich Revision eingelegt, sondern das „zulässige Rechtsmittel” mit dem Hinweis, es handle sich um eine Zolltarifsache, weshalb die Revision ohne Nichtzulassungsbeschwerde gegeben sei. Für den Fall, daß es sich um eine Nichtzulassungsbeschwerde handle, begründe sie vorsorglich das Rechtsmittel.

Sie führt aus, auch im Graphikhandel bilde die Höhe einer Auflage keinerlei Kriterium dafür, ob es sich um ein Originalerzeugnis der Bildhauerkunst handle oder nicht. Der Künstler habe die „Mutterform” (Gußform) der Skulpturen eigenhändig geschaffen, den Gußvorgang überwacht und die gelungenen, seiner Vorstellung entsprechenden Exemplare durch Anbringung seiner Signatur anerkannt. Für jede Skulptur sei ein Zertifikat erstellt und dem Erwerber ausgehändigt worden. Jeder Erwerber werde im Besitzverzeichnis der Skulpturen im A-Museum verzeichnet. Gemäß dem Urheberrecht sei an die in Gründung befindliche bzw. bereits gegründete Verwertungsgesellschaft „Bildkunst” (vergleichbar mit der Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte – GEMA – ein Satz von 5 % bei jedem Weiterverkauf eines Kunstwerks zu entrichten. Wären die Skulpturen lediglich als Statuetten aus unedlem Metall zur Innenausstattung anzusehen, würde auch die Verwertungsgesellschaft keine fünfprozentige Abschöpfung des Verkaufspreises geltend machen können. Damit wäre die Alterssicherung der Künstler in erheblichem Maße gefährdet, da diese durch die Verwertungsgesellschaft sichergestellt werden solle. Zum Unterschied von den streitigen Skulpturen würden die „betenden Hände” weder nach einer Mutterform gegossen – es sei vielmehr von einem anonymen Handwerker nach einer Federzeichnung von Albrecht Dürer eine Gußform angefertigt worden – noch werde der Guß vom Künstler überwacht oder gar die von ihm ausgesuchten Exemplare des Gusses mit dem Punzstempel versehen.

Fraglich sei, ob die vom FG herangezogenen Brüsseler Erl. zur Tarifnr. 99.03 noch gültig seien. Es möge durchaus sein, daß sie zu früheren Zeiten zutreffend gewesen seien, da damals der Kunstmarkt noch nicht in derart breite Schichten der Bevölkerung eingedrungen gewesen sei und daher kein Bedürfnis für multiple Kunst in größeren Auflagen bestanden habe.

Das Hauptzollamt (HZA) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Die Klägerin hat zwar nicht ausdrücklich Revision eingelegt. Sie hat aber zu erkennen gegeben, daß sie im Fall der vorliegenden Zolltarifsache eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht für erforderlich halte, und das „zulässige Rechtsmittel” eingelegt. Das aber ist die Revision. Die Klägerin hat ferner keinen bestimmten Revisionsantrag gestellt. In der Rechtsprechung wird aber das Fehlen eines förmlichen Antrags für unschädlich angesehen, wenn aus der Revisionsbegründungsschrift zu entnehmen ist, daß und inwieweit die Klägerin das Urteil anfechten und dessen Aufhebung beantragen will (siehe Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 120 FGO Anm. 18 mit Hinweisen). Aus dem Gesamtvorbringen der Klägerin ergibt sich eindeutig, daß sie die Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Nachforderungsbescheides und die Zuweisung der eingeführten Waren zur Tarifnr. 99.03 GZT begehrt.

Die Revision ist nicht begründet.

Für die eingeführten Waren kommen nur die Tarifnrn. 83.06 und 99.03 GZT in Betracht.

Tarifnr. 83.06 lautet: Statuetten und andere Ziergegenstände zur Innenausstattung aus unedlen Metallen.

Tarifnr. 99.03 lautet: Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art.

Die hierzu ergangene Vorschrift 3 zu Kapitel 99 lautet: Zu Tarifnr. 99.03 gehören nicht Bildhauerarbeiten, die den Charakter einer Handelsware haben (Serienerzeugnisse, Abgüsse und Handwerkserzeugnisse); diese werden nach ihrer Beschaffenheit tarifiert.

Der Zolltarif stellt somit wie auch sonst aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit nicht auf subjektive und sich im Laufe der Zeit wandelnde Kriterien, sondern auf objektive Merkmale ab. Diese unterscheiden sich bei den einzelnen Warenarten des Kapitels 99. Zum Unterschied von den von der Klägerin zum Vergleich herangezogenen Originalstichen der Tarifnr. 99.02, die nach der Vorschrift 2 zu Kapitel 99 zu beurteilen sind und außer dem Merkmal der Originalität auch eine bestimmte Herstellungsweise aufweisen müssen (siehe Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EGH – vom 27. Oktober 1977 Rs. 23/77, BGHE 1977, 1985), dürfen Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst nach der Vorschrift 3 zu Kapitel 99 nicht den Charakter einer Handelsware i. S. von Serienerzeugnissen aufweisen. Demnach darf das Merkmal der Originalität nicht dadurch verlorengehen, daß der Künstler praktisch an den vervielfältigten Stücken nicht mehr in nennenswertem Maße mitwirkt und diese Stücke Gegenstand des allgemeinen Handelsverkehrs werden. Unmaßgeblich sind dagegen die von der Klägerin angeführten Kriterien, wie die Ausfertigung eines Zertifikats und die Eintragung im Besitzverzeichnis der Skulpturen im A-Museum, die Verwertungsmöglichkeit im Hinblick auf die Alterssicherung der Künstler oder die Überwachung des Gußvorgangs durch den Künstler und die Anbringung der Signatur an den seiner Vorstellung entsprechenden Exemplaren.

Unstreitig stammen die eingeführten Skulpturen aus einer Gesamtauflage von 1 000 Stück. Es handelt sich deshalb eindeutig um Serienerzeugnisse, bzw. Abgüsse, die den Charakter einer Handelsware und nicht mehr den eines Originalerzeugnisses haben. Den handelsgängigen Charakter lassen auch die Ausführungen der Klägerin zur Entwicklung des heutigen Kunstmarktes erkennen. Danach besteht für breitere Schichten der Bevölkerung ein Bedürfnis für multiple Kunst in größeren Auflagen. Andererseits kann der Künstler eine Auflage von 1 000 Stück zum gleichen Gesamtpreis wie das nur schwierig zu verkaufende Einzelkunstwerk wesentlich leichter absetzen und sich durch die Herstellung von Nachbildungen einen größeren Käuferkreis erschließen, wie die Klägerin vor dem FG vorgetragen hat.

Der Künstler hat nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des FG bei der Herstellung der Abgüsse nicht in nennenswertem Maße mitgewirkt. Hinsichtlich der Anbringung des Punzstempels an den einzelnen Abgüssen hat das FG schon mit Recht bezweifelt, ob der Künstler bei einer so hohen Auflage die Signierung jeweils eigenhändig vollzogen hat. Jedenfalls ist dem FG darin zuzustimmen, daß mit dem Punzstempel auf den Skulpturen völlig gleiche Signaturen erzielt werden, die keine Unterschiede i. S. einer gewissen Originalität, wie etwa mit der Hand vollzogene Unterschriften oder eingeritzte Namenszüge, aufweisen. Nach der maßgeblichen Vorschrift 3 zu Kapitel 99 kommt es überdies nicht auf die Signierung durch den Künstler an, sondern allein darauf, ob es sich um Serienerzeugnisse mit handelsgängigem Charakter handelt.

Da somit die eingeführten Skulpturen nach ihrer Beschaffenheit zu verzollen sind, besteht ihre Zuweisung zur Tarifnr. 83.06 „als Statuetten zur Innenausstattung” aus unedlen Metallen zu Recht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510529

BFHE 1979, 440

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