Entscheidungsstichwort (Thema)

Anlieferungsreferenzmenge Milch; Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Rücknahmebescheids des HZA bei Anfechtung des Rücknahmebescheids der Landwirtschaftskammer

 

Leitsatz (NV)

Der Bescheid der Landwirtschaftskammer über die Rücknahme der von ihr nach § 9 Abs. 2 MGV erteilten Bescheinigung ist Grundlagenbescheid für den deswegen ergangenen Bescheid des HZA über die Rücknahme des Bescheids über die Festsetzung der Anlieferungsreferenzmenge Milch.

Die vom Verwaltungsgericht festgestellte aufschiebende Wirkung der Anfechtung des Grundlagenbescheids nach § 80 Abs. 1 VwGO ist einer Aussetzung der Vollziehung i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO gleichzuachten. Da in diesem Fall die aufschiebende Wirkung des Grundlagenbescheids schon kraft Gesetzes nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig ist, kann gem. § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 6 2. Halbsatz FGO auch die Aussetzung der Vollziehung des vom HZA erlassenen Rücknahmebescheids über die Festsetzung der Anlieferungsreferenzmenge nicht von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2-3; VwGO § 80 Abs. 1-2; MGV § 9 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) erhielt 1981 eine Prämie für die Umstellung von Milchkuhbeständen auf Bestände der Fleischerzeugung. Anläßlich einer Betriebsprüfung stellte die Landwirtschaftskammer (LWK) Unregelmäßigkeiten bei der Abschlachtung der Milchkühe fest und hob den Bewilligungsbescheid für die Umstellungsprämie auf. Dieser Bescheid ist inzwischen - nach Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - rechtskräftig.

1989 beantragte der Antragsteller die Zuteilung einer vorläufigen spezifischen Anlieferungs-Referenzmenge (ARM), die gemäß § 6a Abs. 1 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) nach Inanspruchnahme der Nichtvermarktungs- oder Umstellungsprämie bei Wiederaufnahme der Milcherzeugung gewährt wird. Mit Bescheid vom ... 1989 bescheinigte die LWK gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 7 MGV, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der ARM vorliegen. Die LWK erteilte die Bescheinigung jedoch unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall, daß das (damals noch) vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) ... in dieser Sache anhängige Verwaltungsgerichtsverfahren zu einer Herabsetzung der Prämienmilchmenge oder Prämie führt. Daraufhin setzte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt - HZA -) mit Bescheid vom ... 1991 unter demselben Vorbehalt eine vorläufige ARM in Höhe von ... kg fest.

Nachdem die LWK Kenntnis vom Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erlangt hatte, hob sie ihre unter Vorbehalt erteilte Bescheinigung durch Bescheid vom ... 1992 mit Wirkung vom 1. August 1992 auf. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht (VG) erhobene Klage blieb erfolglos. Der Kläger hat gegen das VG-Urteil Berufung eingelegt. Bereits vorher hatte das VG festgestellt, daß der Widerspruch und die Klage aufschiebende Wirkung haben (§ 80 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). In der Begründung dazu führte es aus, die Milchgarantiemengen-Abgabe sei keine Abgabe i.S. von § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die von der LWK nach § 9 Abs. 2 Nr. 7 MGV ausgestellte Bescheinigung gelte bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren oder der eventuellen Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die LWK fort. Bis dahin stehe dem Antragsteller die vorläufige spezifische ARM von ... kg zu.

Das HZA hatte mit Bescheid vom ... 1992 seinen Bescheid über die Gewährung einer vorläufigen ARM mit Wirkung vom 1. August 1992 zurückgenommen. Die Vollziehung dieses Bescheides setzte es mit Verfügung vom ... 1993 gegen Sicherheitsleistung aus, nachdem ihm der Beschluß des VG bekannt geworden war.

Mit seinem beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag begehrte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung des Rücknahmebescheides des HZA ohne Sicherheitsleistung. Das FG gab dem Antrag mit der Maßgabe statt, daß die Vollziehung des Rücknahmebescheides ab 1. August 1992 ohne Sicherheitsleistung bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung des VG in dem oben bezeichneten Rechtsstreit, längstens bis zur Bestandskraft des HZA-Bescheides vom ... 1992 ausgesetzt werde. Dabei ging das FG davon aus, daß gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Aufhebungsbescheides bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel bestünden, weil der Widerspruch und die Klage gegen den Aufhebungsbescheid der LWK aufschiebende Wirkung hätten und damit die nach § 9 Abs. 2 Nr. 7 MGV erteilte Bescheinigung der LWK z.Z. materiell-rechtlich noch existiere. Aus den vom Antragsteller vorgelegten Nachweisen ginge hervor, daß er nicht in der Lage sei, eine Sicherheit zu leisten. Die Unmöglichkeit für den Antragsteller, eine Sicherheit zu leisten, dürfe aber nicht dazu führen, ihn von dem Rechtsvorteil der Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides auszuschließen. Andererseits sei auch zu berücksichtigen, daß seine Erfolgsaussichten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach Aktenlage gering seien. Unter Abwägung der Interessen des Antragstellers an seiner Rechtsverfolgung und denen des Staates an der Vermeidung eines Steuerausfalls halte es das FG für sachgerecht, die Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung, dafür aber befristet zu gewähren. Dabei habe das FG auch berücksichtigt, daß der Antragsteller in seiner wirtschaftlichen Existenz ruiniert würde, wenn die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werde.

Dagegen wendet sich das HZA mit seiner Beschwerde und führt aus, die Aussetzung der Vollziehung könne nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Die Erfolgsaussichten des Antragstellers im Hauptverfahren über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Bescheinigung der LWK seien äußerst gering, nachdem das OVG in dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung der Umstellungsprämie rechtskräftig festgestellt habe, daß der Antragsteller seine diesbezüglichen Verpflichtungen nicht eingehalten habe. Der Antragsteller habe seine wirtschaftliche Notlage selbst herbeigeführt, weil er trotz geringer Aussichten auf Zuteilung einer vorläufigen ARM die Milcherzeugung unter erheblichen Investitionen wieder aufgenommen habe. Es bestehe die große Gefahr, daß der Antragsteller seine Milcherzeugung nicht senken oder einstellen, sondern unter Ausnutzung aller verfahrensrechtlichen Möglichkeiten möglichst lange abgabenfrei Milch produzieren werde.

...

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Rücknahmebescheides des HZA - im Ergebnis - zu Recht nicht von einer Sicherheitsleistung des Antragstellers abhängig gemacht.

Rechtsgrundlage für die Aussetzung der Vollziehung ist hier § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil im Streitfall nicht über die vom HZA gewährte Aussetzung der Vollziehung, sondern über den im finanzgerichtlichen Verfahren gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu entscheiden ist. Die Verpflichtung zur Aussetzung der Vollziehung des Rücknahmebescheides des HZA ergibt sich im Streitfall aus § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 FGO. Danach ist die Vollziehung des Folgebescheides auszusetzen, wenn der Grundlagenbescheid ausgesetzt worden ist. Der Senat hat mehrfach entschieden, daß die nach § 9 Abs. 2 MGV ausgestellte Bescheinigung der LWK im Verhältnis zu dem Bescheid des HZA über die Festsetzung der ARM als Grundlagenbescheid anzusehen ist (u.a. Senatsurteil vom 28. Oktober 1986 VII R 41/86, BFHE 148, 84, 88; Senatsbeschluß vom 25. Juni 1991 VII B 33/91, BFH/NV 1992, 286). Gleiches muß auch für den Bescheid der LWK über die Rücknahme der von ihr ausgestellten Bescheinigung im Verhältnis zu der Rücknahme des Bescheides über die Festsetzung der ARM durch das HZA gelten. Dementsprechend müssen gemäß § 69 Abs. 3 FGO die Vorschriften des § 69 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 FGO, die das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheid bei der Aussetzung der Vollziehung regeln, auch im Streitfall sinngemäß angewendet werden.

Allerdings geht der Wortlaut des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 FGO davon aus, daß die aufschiebende Wirkung der Anfechtung des Verwaltungsakts erst durch die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung eintritt. Im vorliegenden Fall ist die Vollziehung des Grundlagenbescheides aber nicht ausgesetzt worden. Vielmehr hat das VG festgestellt, daß die Anfechtung des Rücknahmebescheides der LWK - des Grundlagenbescheides - aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 1 VwGO). Die in diesem Fall kraft Gesetzes eintretende aufschiebende Wirkung der Anfechtung des Grundlagenbescheides bleibt bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren bestehen. Ihrer praktischen Auswirkung nach ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtung des Grundlagenbescheides einer Aussetzung der Vollziehung gleichzuachten (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1987 VII R 50-51/86, BFHE 151, 304, 309, BStBl II 1988, 366). Daher ist im Streitfall eine zumindest sinngemäße Anwendung des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 FGO geboten. Denn nach Sinn und Zweck der Vorschrift kann nur entscheidend sein, daß der angefochtene Grundlagenbescheid - wie auch im Streitfall - nicht vollziehbar ist.

Danach ist es nicht erforderlich, unter Berücksichtigung der möglichen Erfolgsaussichten des Antragstellers im Klageverfahren gegen den Rücknahmebescheid der LWK eine Abwägung der Interessen des Antragstellers und der öffentlichen Hand darüber vorzunehmen, ob der Folgebescheid des HZA gegen oder ohne Sicherheitsleistung auszusetzen ist. Zwar ist nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 6 FGO bei Aussetzung des Folgebescheides grundsätzlich über die Sicherheitsleistung zu entscheiden. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Dies war hier der Fall.

Das VG hat zwar nicht - wie in § 69 Abs. 2 Satz 6 FGO verlangt (vgl. dazu Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 1979 IV B 20/79, BFHE 128, 306, BStBl II 1979, 666) -, ausdrücklich die Leistung einer Sicherheit im Zusammenhang mit der Feststellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Rücknahmebescheid der LWK ausgeschlossen. Ein solcher Ausspruch war hier wegen der gesetzlichen Regelung in § 80 Abs. 1 VwGO, auf die das VG seine Entscheidung gestützt hat, aber auch weder erforderlich noch angebracht. Denn im Falle des § 80 Abs. 1 VwGO ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtung des betreffenden Verwaltungsaktes bereits kraft Gesetzes nicht von der Leistung einer Sicherheit abhängig, ohne daß es hierüber eine Entscheidung der Verwaltung oder des VG bedarf. Über eine Sicherheitsleistung hätte das VG nur dann zu entscheiden gehabt, wenn es zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß die aufschiebende Wirkung der Anfechtung nicht schon nach § 80 Abs. 1 VwGO kraft Gesetzes, sondern nur im Wege einer Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 VwGO herbeigeführt werden könne (§ 80 Abs. 4 Satz 2 VwGO).

Der somit zumindest mittelbar aus der Entscheidung des VG folgende Ausschluß der Sicherheitsleistung kommt im Ergebnis einem ausdrücklichen Ausschluß der Sicherheitsleistung gleich, weil nach der Entscheidung des VG feststeht, daß die aufschiebende Wirkung der Anfechtung des Rücknahmebescheides der LWK nicht von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden darf. Deshalb kann in sinngemäßer Anwendung von § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 6 FGO auch die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheids nicht von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden. Auf die vom FG vorgenommene Interessenabwägung kommt es folglich in diesem Fall nicht an.

Der Senat brauchte in diesem Zusammenhang nicht etwaigen Bedenken dagegen nachzugehen, daß das VG seine Entscheidung auf § 80 Abs. 1 und nicht auf § 80 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 VwGO gestützt hat. Denn die im Zusammenhang mit der Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtung des Grundlagenbescheides zumindest mittelbar getroffene Entscheidung über den Ausschluß der Sicherheitsleistung kann anläßlich der Entscheidung, ob die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheides von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden kann, nicht überprüft werden. Sie bindet vielmehr bei der hier vorliegenden Besonderheit der prozessualen Gestaltung in sinngemäßer Anwendung von § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 6 FGO als eine Entscheidung, die im Zusammenhang mit dem Grundlagenbescheid getroffen worden ist, den Senat bei der Entscheidung im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheides (hier: Rücknahmebescheid des HZA). Etwaige Bedenken gegen die Entscheidung des VG hätte die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigeladene Bundesrepublik Deutschland - vertreten durch die Oberfinanzdirektion ... - im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluß des VG gemäß §§ 63, 66, 146 Abs. 1 VwGO geltend machen müssen. Der LWK stellt - falls die Rechtsauffassung des VG zuträfe - sich dann die Frage, ob die sofortige Vollziehung ihres Rücknahmebescheides nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO geboten ist.

Der Senat brauchte ferner nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das nur befristete Absehen von einer Sicherheitsleistung im Zusammenhang mit der Aussetzung der Vollziehung rechtmäßig ist. Zwar ist der Senat auf die Beschwerde hin verpflichtet, die Entscheidung des FG in vollem Umfang zu überprüfen. Würde der Senat jedoch im Gegensatz zu der Entscheidung des FG zu dem Ergebnis kommen, daß bei der Aussetzung der Vollziehung des Rücknahmebescheides des HZA unbefristet auf eine Sicherheitsleistung zu verzichten ist, hätte dies eine Schlechterstellung des HZA als Beschwerdeführer gegenüber der Vorentscheidung zur Folge. Da der Antragsteller keine Beschwerde eingelegt hat, stünde einer Überprüfung der Vorentscheidung mit dem genannten Ergebnis das auch im Beschwerdeverfahren geltende Verbot der sogenannten reformatio in peius entgegen (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1969 III B 6/69, BFHE 96, 337, 342, BStBl II 1969, 657; vom 6. März 1991 II B 65/89, BFH/NV 1992, 473, und vom 16. Oktober 1991 I B 227/90, I B 228/90, BFH/NV 1992, 341, 342).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419430

BFH/NV 1994, 435

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