Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Vorabentscheidung vom 26.09.1989 - VII R 116/88

 

Leitsatz (amtlich)

Kann ein Milcherzeuger auf seine Referenzmenge auch Milch anrechnen lassen, die auf gepachteten Kuhstellplätzen erzeugt worden ist? (Vorlage an den EuGH).

 

Orientierungssatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art. 12 Buchst. c und d der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 oder eine andere Vorschrift der gemeinschaftlichen Milchgarantiemengenregelung dahin auszulegen, daß eine Milchmenge einem Landwirt auf die ihm in der Bundesrepublik zugeteilte Referenzmenge anzurechnen ist, die unter seiner Leitung von seinen auf gepachteten Stellplätzen eingestellten Kühen ermolken worden ist? Oder ist die auf solche Weise gewonnene Milchmenge der Referenzmenge des verpachtenden und selbst milcherzeugenden Landwirts zuzurechnen? Kommt es für die Beantwortung dieser Fragen auf die Einzelheiten des Pachtvertrages und/oder der tatsächlichen Verhältnisse an und ggf. auf welche?

 

Normenkette

EWGV 857/84 Art. 12 Buchst. c, d

 

Nachgehend

BFH (Entscheidung vom 12.03.1991; Aktenzeichen VII R 116/88)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Milcherzeuger. Auf seinem Hof befinden sich 60 Kuhplätze. 20 davon befinden sich in einem neuen Stall. Für den Kläger ist eine Referenzmenge i.S. des Art.5c der Verordnung (EWG) Nr.804/68 (VO Nr.804/68) des Rates über die Gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse vom 27.Juni 1968 i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr.856/84 (VO Nr.856/84) des Rates vom 31.März 1984 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 90/10) für die Milch von ca. 40 Kühen festgesetzt worden. Der Beigeladene ist ebenfalls Milcherzeuger. Auf seinem Hof befinden sich 20 Kuhplätze, die jedoch hinsichtlich Ausstattung und Einrichtung veraltet sind. Dem Beigeladenen steht eine Referenzmenge für die Milch von ca. 20 Kühen zu.

Kläger und Beigeladener schlossen am 15.Juni 1987 einen Pachtvertrag ab. Danach pachtete der Beigeladene vom Kläger die 20 Kuhplätze in dessen neuem Stall. Der Vertrag sieht vor, daß der Kläger und der Beigeladene jeweils ihre Kühe getrennt versorgen, melken, besamen und tierärztlich behandeln lassen. Für die von beiden erzeugte Milch stehen zwei getrennte Lagertanks zur Verfügung. Der Melkstand wird vom Kläger und vom Beigeladenen gemeinsam genutzt. Für die Feststellung der jeweils ermolkenen Milch ist eine elektronische Mischmengenmessung eingebaut. Es sind zwei getrennte Kraftfuttersilos vorhanden. Die sonstige Stalltechnik des Klägers wird gemeinsam genutzt. Der Pachtzins beträgt jährlich 1 000 DM pro Stellplatz.

Nachdem die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) mitgeteilt hatte, daß der Pächter bei Durchführung des Pachtvertrages die Milcherzeugereigenschaft im Sinne der Garantiemengenregelung verlieren würde, erhob der Kläger Feststellungsklage. Zum Verfahren wurde der Pächter beigeladen. Beide beantragen festzustellen, daß "bei Durchführung des Pachtvertrages der Beigeladene seine Milcherzeugereigenschaft nicht verliert, so daß die von ihm ermolkene Milch nicht als Lieferung des Klägers in Ansatz gebracht und mit der Milchzusatzabgabe belegt werden kann".

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte im wesentlichen aus:

Die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) erhebe die Zusatzabgabe für Milch gemäß Art.5c VO Nr.804/68 nach der Formel A. Die Anknüpfung der Referenzmengen an die Verhältnisse des Jahres 1983 habe zur Folge, daß die abgabenfreie Milcherzeugung abgesehen von den gesetzlich vorgesehenen Sonderfällen ausgeschlossen sei, wenn die Milch nicht mehr in der Betriebseinheit erzeugt werde, die Grundlage für die Festsetzung der Referenzmenge zugunsten des im Referenzjahr maßgebenden Erzeugers gewesen sei. Die Pachtung einzelner Kuhplätze in der Betriebseinheit eines anderen Milcherzeugers unter gemeinsamer Nutzung der für die Milcherzeugung notwendigen Betriebsvorrichtungen schließe die abgabenfreie Milcherzeugung aus. Das gelte insbesondere dann, wenn die Pachtung dazu diene, eine sonst unrentabel gewordene Milcherzeugung aufrecht zu erhalten. Dem Programm des Verordnungsgebers der Gemeinschaft entspreche es, daß unrentable Milchbetriebe aus dem Milchmarkt ausschieden. Betriebe mit Referenzmengen könnten nicht wesentliche Teile ihrer Erzeugung in andere Betriebe auslagern, um damit Erzeugungskapazitäten anderer Betriebe, die ihre Referenzmenge bereits ausgeschöpft hätten, für sich in Anspruch zu nehmen.

Im Streitfall werde die Milch von den Kühen des Beigeladenen nicht mehr von der Betriebseinheit aus erzeugt, an die die Referenzmenge anknüpfe. Kläger und Beigeladener bildeten eine partielle Erzeugergemeinschaft. Für diese Erzeugergemeinschaft sei keine Referenzmenge festgesetzt worden. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob der Kläger, der Beigeladene oder beide zusammen im Fall der Durchführung des Pachtvertrages Schuldner der Zusatzabgabe für Milch würden. Beide wollten nur festgestellt haben, daß keine Abgabe zu erheben sei. Die vom Verordnungsgeber der Gemeinschaft vorgegebene Bindung der Milcherzeugung an den Betrieb des Erzeugers verlange eine klare Trennung und eindeutige Zuordnungsmöglichkeit aller für die Milcherzeugung notwendigen Betriebsteile. Eine gemeinsame Nutzung solcher Betriebseinrichtungen durch zwei oder mehrere Erzeuger stehe dem entgegen. Der Beigeladene könne seine Referenzmengen nicht im Rahmen einer fremden Betriebseinheit in Anspruch nehmen.

Seine Revision begründet der Kläger im wesentlichen wie folgt: Mit der zugeteilten Referenzmenge würden die Produktionsstrukturen des milcherzeugenden Betriebes nicht für alle Zeit festgeschrieben. Es treffe auch nicht zu, daß es dem Ziel des Verordnungsgebers der Gemeinschaft entsprochen habe, unrentable Milchbetriebe aus dem Milchmarkt auszuscheiden. Sinn und Zweck der Regelungen könne nicht sein, den Milcherzeuger durch direkt wirkende Regelungen in seiner Milchproduktion so einzuschränken, daß er die Milchproduktion aufgeben müsse. Es stimme auch nicht, daß die Milch von den Kühen des Beigeladenen nicht mehr von der Betriebseinheit aus erzeugt werde, an die die Referenzmenge anknüpfe. Mit dem Pachtvertrag würden die angepachteten Plätze aus der Betriebseinheit des Klägers ausgeschieden und der Betriebseinheit des Beigeladenen angegliedert. Eine derartige Aufspaltung einer Betriebseinheit sei bei den Betriebsteilungen gängige Praxis. Es sei eine räumliche Abgrenzung zwischen den Betriebsteilen gegeben. Gewisse Betriebsvorrichtungen würden zwar gemeinsam genutzt. Dadurch ergebe sich aber allenfalls eine partielle Nutzergemeinschaft, nicht eine partielle Erzeugergemeinschaft. Die Gemeinschaftsregelungen verlangten eine klare Trennung und eindeutige Zuordnungsmöglichkeit der jeweils ermolkenen Milch, nicht jedoch aller für die Milcherzeugung notwendigen Betriebsteile.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) macht geltend: Die Produktionsstrukturen des Referenzjahres 1983 seien in der Bundesrepublik durch die enge Verknüpfung von Referenzmenge und Betrieb grundsätzlich festgeschrieben worden. Unrentable Milchbetriebe sollten zum Zwecke der Produktionseinschränkung längerfristig aus dem Milchmarkt ausscheiden, wenn sie nicht ihre Betriebsvorrichtungen erneuerten oder einen Erzeugerzusammenschluß bzw. eine Personenvereinigung eingingen, was der Beigeladene nicht getan habe. Die abgabenfreie Milcherzeugung sei also ausgeschlossen, wenn sie nicht mehr in der Betriebseinheit stattfinde, die Grundlage für die Festsetzung der Referenzmenge zugunsten des im Referenzjahr maßgebenden Erzeugers gewesen sei. Eine Abtrennung einzelner Betriebsmittel oder -teile, wie sie der Kläger in seinem Vertrag mit dem Beigeladenen anstrebe, möge zwar praktischen Bedürfnissen entsprechen, sei jedoch mit der Milchgarantiemengenregelung nicht vereinbar. Die gewollt enge Verknüpfung von Betrieb und Referenzmenge erfordere vielmehr zwingend eine klare Trennung der Ablieferung und Abrechnung der von den Landwirten erzeugten Milchmengen. Das sei bei der Durchführung des vorliegenden Pachtvertrages nicht mehr gewährleistet. Zumindest sei die erforderliche getrennte Ablieferung und Abrechnung der erzeugten Milchmengen nicht mehr mit vertretbarem Aufwand wirksam zu überwachen. Immer dann, wenn Kuhherden mehrerer Landwirte in einem Stallgebäude untergebracht seien, sei die gesamte in einer Betriebseinheit erzeugte Milch dem Betriebsinhaber zuzurechnen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Milchzusatzabgabe des Art.5c VO Nr.804/68 wird nach der in der Bundesrepublik angewendeten Formel A "bei den Erzeugern von Kuhmilch" erhoben (vgl.Art.5c Abs.1 VO Nr.804/68). Im vorliegenden Rechtsstreit ist streitig, wer Erzeuger der Milch ist, die auf den gepachteten Kuhstellplätzen erzeugt wird. Der gemeinschaftsrechtliche Begriff des Erzeugers im Sinne der Milchgarantiemengenregelung ist in Art.12 Buchst.c der Verordnung (EWG) Nr.857/84 (VO Nr.857/84) des Rates vom 31.März 1984 (ABlEG L 90/13, 16) definiert. Die Auslegung dieser Bestimmung ist nicht offenkundig. Der Senat als letztinstanzliches Gericht ist daher nach Art.177 Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen.

Der Begriffsbestimmung des Art.12 Buchst.c VO Nr.857/84 ist zu entnehmen, daß Erzeuger nur eine Person sein kann, die einen landwirtschaftlichen Betrieb leitet. Nach Art.12 Buchst.d VO Nr.857/84 ist ein solcher Betrieb die Gesamtheit der vom Erzeuger bewirtschafteten Produktionseinheiten. Danach ist nicht erforderlich, daß diese Produktionseinheiten im Eigentum des Erzeugers stehen; es genügt vielmehr, daß er sie (im wesentlichen ausschließlich) bewirtschaftet, was auch bei gepachteten Produktionseinheiten nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. auch EuGH-Urteil vom 13.Juli 1989 Rs.5/88). Ferner ist nach dem Wortlaut des Art.12 Buchst.c und d VO Nr.857/84 nicht erforderlich, daß es sich um jene (unveränderten) Produktionseinheiten handelt, mit denen die der Referenzmengenfestsetzung zugrunde liegende Milchproduktion des Jahres 1983 durchgeführt worden ist. Die VO Nr.857/84 hat die individuellen Produktionsstrukturen der einzelnen Erzeuger nicht für die Zukunft festgeschrieben. Das Gegenteil ist auch nicht aus Art.4 VO Nr.857/84 zu entnehmen, wo es sich allein um die nationalen oder regionalen Produktionsstrukturen handelt. Art.7 VO Nr.857/84 findet im vorliegenden Fall keine Anwendung, da es nicht um die Übertragung einer Referenzmenge durch Verpachtung geht.

Die VO Nr.857/84 enthält keine ausdrückliche Regelung, wonach eine nach 1983 etwa vorgenommene Modernisierung eines Betriebs dem betreffenden Landwirt die Möglichkeit nimmt, sich auf die ihm zugeteilte Referenzmenge zu berufen. Es kann im Gegensatz zur Auffassung des FG der Milchgarantiemengenregelung nicht ohne weiteres entnommen werden, sie untersage eine Modernisierung in dem Bestreben, unrentable Betriebe auszuscheiden. Fraglich ist freilich, ob eine Modernisierung nach 1983 dann schädlich ist, wenn dadurch der milcherzeugende Betrieb grundlegend verändert wird. Ist die Frage zu bejahen, ist zu entscheiden, ob in Fällen wie dem vorliegenden eine solche grundlegende Änderung gegeben ist. Fraglich ist ferner, ob dem Erzeugerbegriff des Art.12 Buchst.c VO Nr.857/84 zu entnehmen ist, daß die jeweiligen Produktionsbetriebe klar und eindeutig voneinander getrennt gehalten werden müssen und ob, wenn das zu bejahen ist, diese Voraussetzungen hier gegeben sind.

 

Fundstellen

BFHE 158, 196

BFHE 1990, 196

BB 1989, 2325-2325 (L1)

HFR 1990, 92 (LT)

Information StW 1990, 112 (T)

RIW/AWD 1990, 246 (T)

StEL 1989, 198-202 (LT)

ZfZ 1990, 20 (KT)

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