Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzungsantrag des Finanzamts
Leitsatz (NV)
1. Bei der Beurteilung, ob sich das Finanzamt die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat.
2. Ebenso wie ein Prozessbevollmächtigter ist auch der Vorsteher eines Finanzamts verpflichtet, ein Fristenkontrollbuch oder einen elektronischen Fristenkalender zu führen.
Normenkette
FGO §§ 56, 62 Abs. 4 S. 4
Verfahrensgang
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde ist unzulässig. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) hat die Frist zur Begründung der Beschwerde versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
Rz. 2
1. Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils des Finanzgerichts (FG) zu begründen. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Das Urteil des FG wurde dem FA am 3. März 2014 zugestellt. Die Begründungsfrist lief gemäß § 54 Abs. 1 und 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung am Montag, den 5. Mai 2014 ab. Eine Begründung enthielt erst der am 14. Mai 2014 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangene Schriftsatz vom 12. Mai 2014.
Rz. 3
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist kann nicht gewährt werden.
Rz. 4
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschlüsse vom 9. Januar 2014 X R 14/13, BFH/NV 2014, 567, Rz 11, und vom 26. Februar 2014 IX R 41/13, BFH/NV 2014, 881, Rz 10, je m.w.N.).
Rz. 5
aa) Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (BFH-Beschlüsse vom 20. August 2012 I R 9/12, BFH/NV 2013, 47, Rz 10; vom 6. November 2012 VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 397, Rz 7, und vom 14. Mai 2013 IV R 24/10, BFH/NV 2013, 1251, Rz 24, je m.w.N.). Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten steht somit dem eigenen Verschulden des FA gleich (BFH-Urteil vom 12. Mai 1992 VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6; BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 397, Rz 7). Die für die Bearbeitung von Rechtsmitteln zuständigen Beschäftigten des FA, die die Befähigung zum Richteramt haben und daher gemäß § 62 Abs. 4 Satz 4 FGO zur Vertretung des FA vor dem BFH berechtigt sind, haben dabei zumindest die Stellung eines Bevollmächtigten inne (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 6).
Rz. 6
bb) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 13. September 2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60, Rz 13, 19, und vom 28. März 2014 IX B 115/13, BFH/NV 2014, 896, Rz 4). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Rz. 7
Stellt ein FA den Antrag, muss es vortragen, welche Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Fristen im Amtsbetrieb getroffen sind. Dabei ist zu beachten, dass ebenso wie ein Prozessbevollmächtigter auch der Vorsteher des FA verpflichtet ist, ein Fristenkontrollbuch (oder einen elektronischen Fristenkalender, vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 567) zu führen, in dem jegliche Fristen, u.a. auch die Fristen zur Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln, zu vermerken sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 397, Rz 8 f., m.w.N.).
Rz. 8
b) Diese Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind im Streitfall nicht erfüllt.
Rz. 9
aa) Zur Begründung des Antrags vom 15. Mai 2014 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bringt das FA vor, die für die Bearbeitung der Beschwerde zuständige Bedienstete (B), die gemäß § 62 Abs. 4 FGO zur Vertretung vor dem BFH berechtigt sei (Beschwerdeschrift vom 28. März 2014), habe das Datum, zu dem die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde spätestens dem BFH vorliegen müsse, aufgrund eines Versehens fehlerhaft in ihren Kalender eingetragen. Sie habe die Eintragung versehentlich für eine falsche Woche (Überblättern der richtigen Woche) vorgenommen. Es habe sich dabei um einen rein manuellen Übertragungsfehler gehandelt. Auf die Fristversäumnis sei sie durch den Hinweis des BFH vom 12. Mai 2014 aufmerksam geworden.
Rz. 10
bb) Aus dieser Begründung des Antrags geht nicht substantiiert und in sich schlüssig hervor, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt sind. Die Eintragung von Fristen in die Kalender der jeweiligen zur Vertretung des FA vor dem BFH berechtigten Beschäftigten des FA kann die Führung eines Fristenkontrollbuchs oder elektronischen Fristenkalenders durch den Vorsteher des FA nicht ersetzen. Beschäftigte des FA, die zur Vertretung des FA vor dem BFH berechtigt sind und demgemäß die Befähigung zum Richteramt haben (§ 62 Abs. 4 Satz 4 FGO), handeln zudem fahrlässig, wenn sie bei der Eintragung von Fristen in ihre Kalender nicht darauf achten, für welchen Tag sie die Eintragung vornehmen. Davon abgesehen ist der Vortrag des FA auch insofern unsubstantiiert und unschlüssig, als das FA nicht mitgeteilt hat, an welchem Tag die Frist nach der vorgenommenen Berechnung enden sollte, von welcher Unterlage B die Frist in den Kalender übertragen hat und welchen Tag sie als Fristende in dem Kalender notiert hat. Ablichtungen dieser Unterlagen hat das FA ebenfalls nicht vorgelegt.
Rz. 11
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 7435365 |
BFH/NV 2015, 49 |