Rz. 14

Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und die unter Rz. 8 ff. dargestellten Voraussetzungen erfüllen, haben Anspruch auf Gewährung des Mehrbedarfszuschlages, wenn sie voll erwerbsgemindert sind. Die Vorschrift verweist damit auf § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Danach sind voll erwerbsgemindert Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Einzelheiten hierzu ergeben sich aus der Komm. zu § 43 SGB VI. Zum Verhältnis des Zuschlages nach Nr. 2 zur Blindenhilfe vgl. Rz. 60.

 

Rz. 15

Der Anspruch auf die Gewährung des Mehrbedarfszuschlages nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 ist nicht abhängig von der Erfüllung der übrigen in § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI geregelten (besonderen versicherungsrechtlichen) Voraussetzungen.

 

Rz. 16

Wird von dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt, wird auch der Träger der Sozialhilfe von dem Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung auszugehen haben. Eine strenge rechtliche Bindung wie hinsichtlich der Feststellungen der Versorgungsverwaltung (vgl. Rz. 10.) besteht jedoch nicht, da Abs. 1 Nr. 2 auf das tatsächliche Vorliegen der vollen Erwerbsminderung abstellt und nicht auf den Besitz eines Ausweises, wie dies das Gesetz im Gegensatz dazu hinsichtlich der Schwerbehinderung bzw. des Merkzeichens "G" verlangt.

 

Rz. 17

Nicht in jedem Fall, in dem der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt hat, kann aber von voller Erwerbsminderung i. S. v. Abs. 1 Nr. 2 ausgegangen werden; denn im Rahmen von § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB VI werden Renten wegen voller Erwerbsminderung auch als sog. Arbeitsmarktrenten gezahlt. Unter diesem Gesichtspunkt erhalten Versicherte, die grundsätzlich noch mehr als 3 Stunden, aber nur noch weniger als 6 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein können und damit nur teilweise erwerbsgemindert i. S. v. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind, Rente wegen voller Erwerbsminderung, da sie nur noch auf dem Teilzeitarbeitsmarkt eingesetzt werden können und nach der Rechtsprechung des BSG der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen anzusehen ist (vgl. BSG, Beschluss v. 10.12.1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 Rz. 70 ff., und BT-Drs. 14/4230 S. 25 zu Nr. 10). Da diese Personen "nur" rechtlich, aber nicht tatsächlich voll erwerbsgemindert sind, steht Ihnen der Mehrbedarfszuschlag nach Abs. 1 Nr. 2 nicht zu. Denn für dessen Inanspruchnahme ist darauf abzustellen, ob nach den Umständen tatsächlich eine entsprechend verschärfte Bedarfslage vorliegt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sollte davon nur dann ausgegangen werden, wenn aus gesundheitlichen Gründen eine Erwerbstätigkeit nur weniger als 3 Stunden täglich ausgeübt werden kann und nicht bereits dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen nur zu einer teilweisen Erwerbsminderung führen. Ohnehin ist der Personenkreis, der noch mehr als 3, aber nicht mehr 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden kann, dem Leistungsregime des SGB II zugeordnet (vgl. § 8 Abs. 1 SGB II), so dass die Frage tatsächlich nicht relevant werden dürfte.

 

Rz. 18

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI zudem Personen i. S. d. § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Bei der Vorschrift sollte es sich um eine klarstellende Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des BSG zu § 1247 RVO handeln, wonach abhängig vom Entgelt Erwerbsfähigkeit auch bei behinderten Menschen vorliegen konnte, die in Werkstätten für behinderte Menschen tätig waren. Angesichts der gegenüber § 1247 RVO (Erwerbsunfähigkeit) veränderten allgemeinen Definition der vollen Erwerbsminderung des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI und den gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Werkstatt für behinderte Menschen (§ 136 SGB IX) ist anzunehmen, dass die Bedeutung des § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI abgenommen hat (vgl. Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 14.5.2020, § 30 Rz. 42). Gleichwohl stellt sich auch hier die Frage, ob eine Gewährung des Zuschlags nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII gerechtfertigt sein kann. Dies ist aus den Gründen zu § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 (vgl. Rz. 17) zu verneinen. Denn bei den Werkstattbesuchern handelt es sich nach § 136 Abs. 1 Satz 2 SGB IX um diejenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Im Einzelfall wäre demnach zu prüfen, ob ein Fall tatsächlicher oder bloß rechtlicher Erwerbsminderung vorliegt.

 

Rz. 19

Liegt eine Beurteilung des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung hinsichtlich der vollen Erwerbsminderung nicht vor, kann der Träger der Sozialhilfe diese mang...

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