Rz. 8

Früher handelte es sich bei der Vorschrift um einen Mehrbedarf für ältere bzw. gebrechliche Menschen, der das Ziel hatte, ganz allgemein die wirtschaftliche Lage dieser Personengruppe zu verbessern. Seit dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts v. 23.7.1996 (BGBl. I S. 1088) ist daraus jedoch faktisch eine Mehrbedarfsregelung für gehbehinderte Menschen geworden (vgl. ausführlich zu dieser Entwicklung Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 14.5.2020, § 30 Rz. 34 ff.; a. A. unzutreffend noch an die ursprüngliche gesetzgeberische Zielsetzung anknüpfend, Heinz, ZfF 2015 S. 33). Denn seit der genannten Gesetzesänderung wurde maßgebliches Kriterium für den Mehrbedarfszuschlag der Besitz eines Schwerbehindertenausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr). Der Zuschlag umfasst inhaltlich Aufwendungen für die Kontaktpflege zu anderen Personen (z. B. Telefongebühren, Porto, Fahrgeld), kleinere Geschenke für Hilfeleistungen, zusätzlichen Aufwand für Reinigung von Kleidung und Wäsche, besondere Stärkungsmittel sowie Mehraufwendungen wegen Beschränkung der Einkaufsmöglichkeiten und für Verzehr außer Haus. Ferner werden mit dem Mehrbedarf pauschalierend und typisierend auch die mit der Gehbehinderung des Leistungsempfängers zusammenhängenden zusätzlichen Bedarfe gedeckt (vgl. zum Ganzen Scheider, in: Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 30 Rz. 5; BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 5/08 R Rz. 17 mit Anm. von Wendt, RdLH 2010 S. 22; zur Frage der Anschaffung orthopädischer Schuhe, die inzwischen in § 31 Abs. 1 Nr. 3 geregelt ist, vgl. die dortige Komm.). Die zusätzliche (vgl. Rz. 5) Übernahme von Kosten für eine Kfz-Versicherung bzw. Kfz-Steuern neben dem Mehrbedarfszuschlag kommt, wenn überhaupt, nur unter engen Voraussetzungen in Betracht (SG Freiburg, Urteil v. 15.5.2008, S 4 SO 677/06 mit Anm. Dau, in: jurisPR-SozR 7/2009 Rz. 5; zu der Frage, ob und ggf. in welchem Umfang im Übrigen weitere Leistungen nach anderen Vorschriften – etwa der Eingliederungshilfe oder nach § 27a Abs. 4 Satz 1 – in Betracht kommen, wenn bereits ein Mehrbedarfszuschlag wegen Gehbehinderung gewährt wird vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 5/08 R Rz. 18 ff.; Heinz, ZfF 2015 S. 33; Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 14.5.2020, § 30 Rz. 59 ff.).

 

Rz. 9

Problematisch war im Zusammenhang mit der Gewährung des Mehrbedarfszuschlages, dass sich die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu § 23 Abs. 1 BSHG (OVG Berlin, Beschluss v. 25.11.2003, 6 N 55.03; OVG Lüneburg, Beschlüsse v. 16.7.2001, 12 PA 2413/01 und v. 14.1.2004, 12 PA 562/03) und ihr nachfolgend Teile der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu den Nachfolgeregelungen des GSiG und des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in der bis zum 6.12.2006 geltenden Fassung (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 20.11.2008, L 7 SO 3246/08 Rz. 33) streng am Gesetzeswortlauf orientierten und den Betroffenen deswegen auch für den Fall einer rückwirkenden Ausstellung des Ausweises erst ab dem Tag der tatsächlichen Ausstellung einen Anspruch zuerkannten. Etwas anderes galt auch dann nicht, wenn die Gewährung des Zuschlages zwischen dem Sozialhilfeträger und dem Berechtigten bereits streitig war und während dieser Zeit rückwirkend der Ausweis ausgestellt wurde. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 7.12.2006 (vgl. Rz. 1) den Wortlaut des Abs. 1 dahingehend ergänzt, dass der Nachweis über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Schwerbehinderung bzw. des Merkzeichens "G" nunmehr auch durch die Vorlage eines entsprechenden Bescheides geführt werden kann. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/2711 S. 11 zu Nr. 8) war Ziel dieser Ergänzung einerseits, den Berechtigten den Zugang zu dem Mehrbedarfszuschlag zu erleichtern, indem sie von nicht erforderlichen Behördengängen bzw. vermeidbarem Schriftverkehr entlastet werden. Andererseits sollten auch die Behörden, die die Ausweise ausstellen, entlastet werden, weil die meisten Berechtigten sonst keine weiteren Vorteile aus der Zuerkennung des Merkzeichens "G" bzw. der Schwerbehinderung ziehen könnten und deswegen auf die Ausstellung des Ausweises verzichten würden. Letzteres erscheint eher fraglich, weil mit der Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft durchaus noch andere Vorteile im öffentlichen Leben (z. B. in Form von Fahrpreis- oder Eintrittsermäßigungen) verbunden sind, so dass die Ausstellung eines Ausweises für die Berechtigten weiterhin attraktiv bleibt.

 

Rz. 9a

Die Gesetzesänderung ist auf Zustimmung gestoßen (vgl. Stellungnahme des Deutschen Vereins v. 10.10.2006 zu dem Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze). Im Hinblick auf die Gesetzesbegründung ist jedoch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber die Rechtslage auch insoweit ändern wollte, als nunmehr auch die rückwir...

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