Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung der Einstufung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Bescheid, durch den Schadensausgleich gewährt wird, bindet mit der Einstufung des Ehemannes in eine bestimmte Besoldungsgruppe die Versorgungsbehörde über die zeitweilige Entziehung der Leistung hinaus, die bei unverändertem Einstufungsgerüst wegen wesentlicher Änderung der Einkommensverhältnisse vorzunehmen war, bei der späteren Wiederbewilligung des Schadensausgleichs wegen einer erneuten Einkommensänderung.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Bindungswirkung der Einstufung:

1. Bisher hat das BSG eine Bestandskraft (SGG § 77, KOVVfG § 24), die sich auf die Besoldungsgruppe als Teil des unveränderten Einstufungsgerüsts erstreckt, nur für men, durch die ein Berufs- oder Witwenschadensausgleich gewährt worden ist (vergleiche BSG 1974-12-17 9 RV 76/74 = BSGE 39, 14; BSG 1973-11-29 10 RV 41/73 = VersorgB 1974, 59 und BSG 1975-05-22 10 RV 533/74 = BVBl 1976, 31).

2. Gleiches muß gelten, wenn (wie hier) der Schadensausgleich nach einer zeitweiligen Entziehung - wegen Änderung der Einkommensverhältnisse - erneut bewilligt wird.

3. Dieser Fall ist hingegen nicht dem anderen gleichzuachten, in dem eine solche Versorgungsleistung nach einer erstmaligen Ablehnung gewährt wird; die der Ablehnung zugrunde gelegte Eingruppierung wirkt für die neue Entscheidung gemäß BVG § 62 (vergleiche BSG 1961-09-26 10 RV 1123/60 = SozR Nr 25 zu § 148 SGG) nach der bisherigen Rechtsprechung nicht rechtsverbindlich (vergleiche BSG 1969-03-27 8 RV 809/68 = SozR Nr 38 zu § 30 BVG; BSG 1974-03-21 8/2 RU 55/72 = BSGE 37, 177 und BSG 1976-05-20 8 RU 34/75 = SozR 2200 § 581 Nr 7).

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1966-12-28, Abs. 4 S. 1 Fassung: 1971-12-16, § 40a Abs. 2 S. 2 Fassung: 1971-12-16, § 62 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1966-12-28; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 24 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02, § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; BVG § 30 Abs. 3 u 4 DV § 5 Fassung: 1968-02-28

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Februar 1975 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren.

 

Tatbestand

Die Klägerin bezieht Witwenversorgung. Ihr 1917 geborener Ehemann S S (St.), der 1938 einberufen wurde und kriegsverschollen ist, besuchte bis 1931 die Volksschule und arbeitete dann in der elterlichen Landwirtschaft von 10 ha, die er als einziger Sohn nach dem Krieg geerbt hätte. In den Winterhalbjahren 1933/34 und 1934/35 besuchte er die Landwirtschaftsschule; seine Gesamtleistungen wurden mit "gut" beurteilt. Bis zum 31. Juli 1967 gewährte das Versorgungsamt (VersorgA) der Klägerin einen Schadensausgleich und stellte das ohne die Schädigung zu erwartende Einkommen ihres Ehemannes nach der Besoldungsgruppe A 11 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) fest; in einem Aktenvermerk ging es davon aus, daß der Abschluß der Landwirtschaftsschule mit der Gesamtnote "gut" dem Realschulabschluß gleichzusetzen ist. Mit Bescheid vom 28. Oktober 1967, der bindend geworden ist, entzog das VersorgA die Leistung ab 1. August 1967, weil sich ein auszugleichender Unterschied zwischen dem inzwischen erhöhten Einkommen der Klägerin aus eigener Tätigkeit und dem zu berücksichtigenden Einkommen ihres Ehemannes entsprechend der Besoldungsgruppe A 11 BBesG nicht mehr ergab. Seitdem die Klägerin ihre Erwerbstätigkeit zu Ende März 1968 aufgegeben hat, bezieht sie wiederum Schadensausgleich. Dieser wird seit dem rechtsverbindlichen Bescheid vom 4. Juli 1968 nach einem Einkommen des St. entsprechend der Besoldungsgruppe A 7 BBesG berechnet. Nach der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 1968 soll nach § 5 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG) i. d. F. vom 28. Februar 1968 (BGBl I 194) - DVO 1968 - der Besuch der Landwirtschaftsschule mit der Note "gut" nicht mehr dem Mittelschulabschluß gleichzusetzen sein; diese Rechtsänderung soll eine wesentliche Änderung der maßgebenden Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG darstellen. Am 16. März 1973 beantragte die Klägerin, nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) den Schadensausgleich neu festzustellen, weil der Ministerialerlaß vom 18. April 1968, der der "Rückstufung" in die Besoldungsgruppe A 7 BBesG zugrunde gelegen habe, rechtsunwirksam sei; die Klägerin verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. März 1973 - 10 RV 240/72 -. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheide vom 20. Juli 1973 und 19. Februar 1974). Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu bescheiden (Urteil vom 18. Juni 1974): Der Beklagte habe einen Bescheid zugunsten der Klägerin nach § 40 Abs. 2 VerwVG zu erteilen; denn die Neufassung des § 5 der DVO 1968 stelle keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG dar, wie das BSG entschieden habe. Außerdem sei die Einstufung in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG mit in Bestandkraft erwachsen und bei der allein von Einkommensveränderungen abhängigen Neufeststellung zu beachten. - Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 26. Februar 1975): Die Ablehnung eines Zugunstenbescheides sei nach § 40 Abs. 1 VerwVG ermessensfehlerhaft. Die Verwaltung habe deshalb einen neuen Bescheid zu erteilen, weil die früheren Bescheide (4. Juli 1968 und 6. Dezember 1968) zweifelsfrei unrichtig seien. Der Beklagte sei an die Einstufung des St. in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG gebunden. Der entsprechenden Eingruppierung in den Bewilligungsbescheiden sei Bestandskraft zugewachsen; diese sei durch den auf § 62 Abs. 1 BVG gestützten Bescheid vom 28. Oktober 1967 nicht beseitigt worden. Die Bindungswirkung sei nur in dem Umfang aufgehoben worden, in dem eine Einkommensänderung eingetreten sei. Die Verhältnisse, die für die Einstufung bei der Feststellung des Vergleichseinkommens maßgebend gewesen seien, hätten sich dagegen nicht geändert, auch nicht in Gestalt der Rechtsvorschriften für die Bemessung entsprechend dem Mittelschulabschluß.

Der Beklagte hat die - vom BSG zugelassene (Beschluß vom 28. Oktober 1975) - Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 40 a Abs. 1 und 2, des § 30 Abs. 4 Sätze 2 und 3 und des § 62 Abs. 1 BVG, des § 5 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG, des § 160 Abs. 2 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), des § 24 Abs. 1 und des § 40 Abs. 1 VerwVG. Ebenso wie bei der Ablehnung eines Schadensausgleiches, aber anders als bei der Gewährung erwachse die Eingruppierung in eine Besoldungsgruppe nicht in Bindungswirkung, wenn der Schadensausgleich wegen einer Erhöhung des Bruttoeinkommens zeitweilig weggefallen sei. Die Bindung des Entziehungsbescheides erstrecke sich nicht auf die Begründung. Die Bestandskraft der Verwaltungsakte, die den Schadensausgleich gewährt hätten, sei mit der Entziehung dieser Leistung restlos weggefallen. Die neue Einstufung in die Besoldungsgruppe A 7 BBesG sei aber zutreffend.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Sie tritt der Rechtsauffassung des LSG bei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

Wie das LSG zutreffend entschieden hat, muß der Beklagte den beantragten Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG erteilen; denn der Bescheid vom 4. Juli 1968 über die Berechnung des Schadensausgleiches auf der Grundlage des Vergleichseinkommens des St. gemäß der Besoldungsgruppe A 7 BBesG (§ 40 a Abs. 1, 2 und 4, § 30 Abs. 4 Sätze 2 und 3 und Abs. 7 BVG i. d. F. des Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 21. Februar 1964 - BGBl I 85 -, §§ 11 und 5 DVO 1968) war eindeutig unrichtig (BSG 26, 146 = SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG; BSG 36, 21, 22 f = SozR Nr. 66 zu § 30 BVG; BSG SozR 3900 § 40 Nrn. 2 und 3; SozR 3100 § 30 Nr. 8). Selbst wenn die Unrichtigkeit "zweifelsfrei" oder "offenbar" sein müßte (BSG 19, 286, 287, 288 = SozR Nr. 8 zu § 40 VerwVG; BSG 26, 146, 148 = SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG), bestände hier keine andere Rechtslage. Gleiches gilt für die nachfolgenden Bescheide, die auf derselben Berechnungsgrundlage beruhen. Auf die ursprünglich in den Vordergrund gerückte Begründung (Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1968), die vorher maßgebend gewesenen rechtlichen Verhältnisse hätten sich durch § 5 Abs. 1 DVO 1968 geändert und geböten eine Neufeststellung nach § 62 Abs. 1 BVG, vor allem über den Bemessensfaktor der Besoldungsgruppe (vgl. zu Rechtsänderungen: BSG SozR 3640 § 9 Nr. 1 Seite 3), beruft sich der Beklagte nicht mehr. Diese Begründung war unrichtig; denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG stellte die neue Vorschrift über die dem Mittelschulabschluß gleichwertige Schulausbildung keine rechtliche Änderung im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG dar (BSG SozR Nr. 40 zu § 62 BVG; BSG vom 9. April 1970 - 8 RV 445/69 - Bericht in VdK-Mitteilungen 1970, 260-; BSG vom 29. November 1973 - 10 RV 41/73 -). Diese Rechtsprechung verschafft der Klägerin deshalb keinen Rechtsanspruch auf einen Zugunstenbescheid nach dem selbständigen Tatbestand des § 40 Abs. 2 VerwVG (BSG vom 27. März 1973 - 10 RV 240/72 - SozR Nr. 18 zu § 40 VerwVG), weil der Bescheid vom 4. Juli 1968 nachträglich in verfahrensrechtlich zulässiger Weise (BSG SozR Nr. 25 zu § 41 VerwVG) darauf gestützt worden ist, daß die Verwaltung bei der Neufeststellung des Schadensausgleiches anläßlich der Einkommensänderung nicht an den vorher verwendeten Beurteilungsmaßstab der Besoldungsgruppe A 11 BBesG gebunden gewesen sei.

Diese nachgeschobene Begründung ist indessen sachlich unrichtig.

Auch nach der 1967 rechtsverbindlich ausgesprochenen Entziehung des Schadensausgleiches (Bescheid vom 28. Oktober 1967) durfte das VersorgA die Neufeststellung nach § 62 BVG, die sodann wegen einer Minderung des Arbeitseinkommens der Klägerin geboten war, nur entsprechend dem Ausmaß der nachträglich eingetretenen Veränderung vornehmen (BSG 19, 15 = SozR Nr. 21 zu § 62 BVG; BSG 19, 77 = SozR Nr. 23 zu § 62 BVG). Dagegen durfte die Verwaltung über die unverändert gebliebenen Berechnungsgrößen des sog. Einstufungsgerüstes nicht völlig frei neu entscheiden, insbesondere nicht über die maßgebende Besoldungsgruppe, nach der das zum Vergleich mit dem Einkommen der Klägerin heranzuziehende, von ihrem Ehemann ohne die Kriegsverschollenheit wahrscheinlich im Beruf des selbständigen Landwirts erzielte Durchschnittseinkommen zu bemessen ist. Vielmehr war der Beklagte an die darüber vorher getroffene Feststellung gebunden. Eine Berichtigung wegen zweifelsfreier Unrichtigkeit nach § 41 VerwVG hat er selbst nicht in Betracht gezogen. Die Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG wurde von der Bindungswirkung der rechtsverbindlich gewordenen Bescheide (§ 77 SGG, § 24 VerwVG) erfaßt.

Bisher hat das BSG eine solche Bestandskraft, die sich auf die Besoldungsgruppe als Teil des unveränderten Einstufungsgerüstes erstreckt, nur für Bescheide angenommen, durch die ein Berufs- oder Witwenschadensausgleich gewährt worden ist (Urteil des erkennenden Senats in BSG 39, 14, 17 f = SozR 3640 § 4 Nr. 2 mit weiteren Nachweisen; BSG vom 29. November 1973 - 10 RV 41/73 -; BSG vom 22. Mai 1975 - 10 RV 533/75 -). Das wird selbst vom Beklagten nicht in Frage gestellt (zustimmend: Runderlaß des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1973, Sammelministerialblatt NRW 8300). Gleiches muß hier gelten, wenn der Schadensausgleich nach einer zeitweiligen Entziehung erneut bewilligt wird. Dieser Fall ist hingegen nicht dem anderen gleichzuachten, in dem eine solche Versorgungsleistung nach einer erstmaligen Ablehnung gewährt wird; die der Ablehnung zugrunde gelegte Eingruppierung wirkt für die neue Entscheidung gemäß § 62 BVG (BSG SozR Nr. 25 zu § 148 SGG) nach der bisherigen Rechtsprechung nicht rechtsverbindlich (BSG SozR Nr. 38 zu § 30 BVG; für die Unfallversicherung: BSG 37, 177, 180 = SozR 2200 § 581 Nr. 7).

Nr. 10 Satz 3 der Verwaltungsvorschriften zu § 22 VerwVG, wonach der alte Bescheid fortwirkt, soweit in einem neuen Verwaltungsakt nach § 62 BVG eine Neufeststellung nicht getroffen wird, besagt nichts darüber, ob und inwieweit das Einstufungsgerüst für die Entscheidung über den Berufs- oder Witwenschadensausgleich rechtsverbindlich bleibt. Auch die Vorschrift des § 62 Abs. 1 BVG über die Neufeststellung legt nicht von sich aus fest, was allgemein zu den "maßgebenden Verhältnissen" des vorausgegangenen verbindlichen Bescheides rechnet und was davon insbesondere durch die Bestandskraft des Verwaltungsaktes erfaßt wird. Dies ist vielmehr aus anderen Bestimmungen und Rechtsgrundsätzen zu entnehmen. Nach § 77 SGG und § 24 VerwVG wird der Verwaltungsakt "in der Sache" für die Beteiligten grundsätzlich rechtsverbindlich. Mit der Verbindlichkeit "in der Sache" ist die im Bescheid getroffene Entscheidung gemeint, die den Fall regelt und die im "Verfügungssatz" zum Ausdruck kommt (BSG 39, 17). Das bestätigt die entsprechende Vorschrift des § 141 Abs. 1 SGG über die Rechtskraft von Urteilen; diese tritt insoweit ein, als "über den Streitgegenstand entschieden worden ist". Wieweit Teile der Begründung (§ 22 Abs. 2 VerwVG, Nr. 5 der dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften), die nicht allein äußerlich nach der redaktionellen Gliederung der maschinell hergestellten Bescheide von der getroffenen Regelung (vom "Verfügungssatz") abzuheben ist (BSG 39, 17), von der Bindungswirkung erfaßt werden, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und Urteilen. Dabei ist für den Umfang allgemein der sachlich-rechtliche "Sinnzusammenhang" maßgebend (vgl. für das Zivilprozeßrecht: Albrecht Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge. Zur Lehre über das Verhältnis von Rechtskraft und Entscheidungsgründen im Zivilprozeß, 1959). Für Fälle der vorliegenden Art sind die bestimmenden Rechtsgrundsätze dem Recht des Versorgungsverhältnisses als einem Dauerrechtsverhältnis der öffentlichen Leistungsverwaltung zu entnehmen. In diesem Rechtsverhältnis, das durch einander ergänzende Bescheide für je einzelne Zeiträume geregelt wird (BSG 37, 93, 94 = SozR 3660 § 2 Nr. 1), wird der Versorgungsanspruch durch die Entscheidungen über einzelne Leistungsarten, u. a. über den Schadensausgleich, spezialisierend verwirklicht (§ 1 Abs. 1 und 5, § 9 BVG). Soweit sich die maßgebenden Verhältnisse verändern, geschieht dies durch Neufeststellungen, die grundsätzlich von Amts wegen vorzunehmen sind, sofern der Versorgungsverwaltung die erforderlichen Tatsachen bekannt werden, unter Umständen aufgrund ihrer Ermittlungspflicht (§§ 12 ff VerwVG, Nr. 4 der Verwaltungsvorschriften zu § 60 BVG; Urteil des erkennenden Senats vom 24. März 1976 - 9 RV 160/75 -). Auf solche Weise entsteht eine sachlich zusammenhängende "Entscheidungskette". Sie wird in der Regel, wie das auch im Fall der Klägerin geschehen ist, äußerlich dadurch gekennzeichnet, daß spätere Bescheide den Zusatz "im Anschluß an den Bescheid vom ..." enthalten. Dadurch wird sie deutlich erkennbar von einem Verwaltungsakt über eine (erstmalige) Ablehnung unterschieden. Im Rahmen dieser "Kette" bleiben Entscheidungselemente jeweils insoweit für den nächsten Bescheid und die nachfolgenden rechtsverbindlich, als die einander ergänzenden Rechtfertigungsgründe der Rechtsverbindlichkeit dies gebieten. Diese Gründe der Verbindlichkeit bilden zugleich deren Zweck, begrenzen sie inhaltlich und lassen die Funktion der Bestandskraft erkennen. Es sind folgende:

1.

Herstellung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit von Regelungen im Einzelfall,

2.

Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, die von unnötigen Wiederholungen ihrer Aufklärungs- und Entscheidungstätigkeit entlastet werden soll, und

3.

der Schutz des begünstigten Bürgers vor dem Entzug einer einmal gewährten Rechtsstellung (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I Allg. Teil, 10. Aufl. 1973, S. 254; ähnlich für die Kriegsopferversorgung: Schönleiter/Hennig, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, 2. Aufl. 1969, § 24, Anm. 4 c).

Um der beiden erstgenannten Gründe und Zwecke willen besteht ein zwingendes Bedürfnis, die Zuerkennung eines Rechtsanspruchs mitsamt seiner Bemessensgrundlage für die Zukunft rechtsverbindlich bleiben zu lassen, soweit nicht nachträgliche Änderungen eine Neufeststellung gebieten. Bisher haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit noch nicht den Versorgungsberechtigten die Möglichkeit eröffnet, auf andere Weise, und zwar in einem gesonderten Feststellungsverfahren über die tragenden Anspruchsgründe, die unverändert bleibenden Entscheidungsteile sichern zu lassen. Nach der bisherigen Spruchpraxis würde für ein derartiges Gerichtsverfahren das nach § 55 SGG erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen (BSG SozR Nr. 84 zu § 1 BVG; Nr. 53 zu § 55 SGG; BSG 31, 235, 239 f = SozR Nr. 14 zu § 141 SGG), für ein vorausgehendes Verwaltungsverfahren das Feststellungsinteresse. Im Urteil vom 25. August 1976 - 9 RVi 4/75 -, das eine andere Art von Teilregelung betrifft, hat der erkennende Senat dahingestellt sein lassen, ob die Verwaltung zu einer solchen Teilentscheidung verpflichtet wäre. Die Vorschriften des § 22 Absätze 3 und 4 VerwVG sehen nur Entscheidungen über einen Anspruch oder über einen Teil des Anspruches vor (vgl. Nr. 4 der Verwaltungsvorschriften zu § 22 VerwVG; BSG 7, 126, 128 f). Die Bindungswirkung der erstmaligen Ablehnung eines Schadensausgleiches könnte sich in dieser negativen Entscheidung erschöpfen; es fehlt an dem dritten Grund und Zweck der Rechtsverbindlichkeit: dem Empfänger des Verwaltungsaktes ist nichts zuerkannt worden, was bestandskräftig werden könnte. Anders ist es mit dem Entziehungsbescheid innerhalb des Dauerrechtsverhältnisses. Diesem Verwaltungsakt war die Gewährung einer Rechtsstellung gegenüber dem Versorgungsberechtigten vorausgegangen; diese wird nicht völlig aufgehoben. Die Entscheidung lautet nicht - wie beim Ablehnungsbescheid -: der Anspruch besteht schlechthin nicht, vielmehr: er besteht unter den unverändert gebliebenen Voraussetzungen des Einstufungsgerüstes - hier der Besoldungsgruppe A 11 BBesG - wegen einer nachträglichen Veränderung der Einkommensverhältnisse in Zukunft nicht mehr, solange diese Einkommenslage gleich bleibt (hier: Bescheid vom 28. Oktober 1967). Nur insoweit wird die zuerkannte Rechtsposition von einem bestimmten Zeitpunkt ab nach dem Erlaß des zuerkennenden Verwaltungsaktes als mit dem Recht nicht mehr in Einklang beseitigt (BSG 7, 8, 11; 19, 15, 16 f; 19, 77, 78 f; Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 1976 - 9 RV 176/75 -). Zwar können dann, wenn die den Schadensausgleich gewährende Regelung, die in erster Linie der Bestandskraft fähig ist, zurückgenommen worden ist, nach der bisherigen Rechtsprechung die tragenden Gründe des Einstufungsgerüstes nicht für sich allein weiterhin rechtsverbindlich bleiben; sie sind ausschließlich zur Ergänzung einer zusprechenden Entscheidung der Rechtsverbindlichkeit oder Rechtskraft fähig (BSG 39, 18, 20; BSG vom 3. November 1961 - 8 RV 1337/59 - Kriegsopferversorgung 1962, 114; anders im Fall einer selbständigen Teilregelung, wie im Urteil vom 25. August 1976 entschieden worden ist). Aber der anschließend an den Entziehungsbescheid erteilte Verwaltungsakt, durch den ein Schadensausgleich wieder gewährt wird, steht ebenfalls in der von § 62 Abs. 1 BVG gesteuerten "Entscheidungskette". Er knüpft sachlich-rechtlich - allein entsprechend der inzwischen eingetretenen Einkommensveränderung - unmittelbar an den Entziehungsbescheid und an seine veränderlichen ebenso wie seine beständigen Grundlagen an, außerdem kraft der Vermittlerfunktion dieses Neufeststellungsbescheides mittelbar an den vorausgegangenen Verwaltungsakt, durch den bereits ein Schadensausgleich aufgrund derselben Einstufung (hier nach Besoldungsgruppe A 11 BBesG) zuerkannt worden war. Mit der Entscheidung darüber, was, das heißt welche Leistung wiedergewährt wird, ist festgelegt, daß der früher zuerkannte Versorgungsanspruch - evtl. in anderer Höhe - gemeint ist. Damit ist der Bezug zwischen diesem Wiederbewilligungsbescheid und der früher geschaffenen Rechtsstellung hergestellt. Diese Position ist durch die Bestandskraft zu schützen, und das rechtfertigt die Rechtsverbindlichkeit in dem Umfang, wie sie hier angenommen wird. Die Bindungswirkung, die mithin über den Entziehungsbescheid hinaus fortwirkt, erfaßt mit dem zuerkannten Anspruch auch die unverändert bleibenden Faktoren zur Bestimmung des Vergleichseinkommens (§ 40 a Abs. 2, § 30 Abs. 3 Satz 4 BVG), eine der wesentlichen Voraussetzungen des Berufs- oder Witwenschadensausgleichs. Außerdem wirken die beiden anderen Gründe und Zwecke der Rechtsverbindlichkeit, die auch im Fall des Ablehnungsbescheides gegeben sein mögen, über die Vermittlerfunktion des Entziehungsbescheides von der Vergangenheit in die Zukunft hinein. Ein eventuell zwischendurch erteilter Ablehnungsbescheid, nach dem der Anspruch noch nicht wieder begründet ist, unterbricht die Verweisungskette nicht, sondern wirkt "neutral", was die Rechtsverbindlichkeit angeht. Diese Auslegung des Entziehungsbescheides und des auf ihn bezogenen Wiederbewilligungsbescheides gründet auf dem überwiegend in Zahlen formulierten Inhalt der maschinell hergestellten Verwaltungsakte und deutet sachgerecht ergänzend ihren Wortlaut. Damit erübrigen sich andere Rechtskonstruktionen, die sachlich nicht haltbar wären, etwa die Annahme, der Anspruch habe in der Zeit, in der wegen der Einkommenshöhe zeitweilig kein Schadensausgleich zu zahlen war, "geruht", was nach § 65 BVG ein Fortbestehen des Anspruches voraussetzen würde, oder die Annahme, der Anspruch habe dem Grund nach fortbestanden, sei bloß in der Mindesthöhe zeitweilig beseitigt worden, was für die einzelne Versorgungsleistung (§ 9 BVG) ausgeschlossen ist.

Diese Auslegung ist vor allem nach dem Maßstab des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) rechtmäßig und sogar geboten, wie folgender Vergleich erkennen läßt. Einkommenserhöhungen, und zwar in jeglichem Umfang, die vorübergehend bloß die Höhe der Leistung mindern, lassen selbst nach der Auffassung des Beklagten das Einstufungsgerüst rechtsverbindlich bleiben, weil der Anspruch fortbesteht. Im Vergleich damit wäre aber für Fälle der vorliegenden Art eine andere als die hier vertretene Rechtsansicht nicht gerechtfertigt. Wenn ein Versorgungsberechtigter infolge einer Einkommenserhöhung, vielfach aufgrund seiner Erwerbsarbeit, zeitweilig überhaupt keinen Schadensausgleich erhält, darf die Verwaltung nicht davon befreit werden, mit dem anschließenden Wiederbewilligungsbescheid mittelbar an die zuerkannte Rechtsstellung und ihre Bemessungsgrundlage anzuknüpfen. Ob die Leistung zeitweilig ganz zu entziehen oder bloß herabzusetzen war, hing nicht einmal von der absoluten Höhe der Einkommensänderung auf der einen oder auf der anderen Seite der Vergleichsberechnung ab, sondern vom zufälligen Verhältnis der beiden Einkommensarten zueinander. Damit fehlt es an einem Grund dafür, daß die Bindungswirkung in den beiden Fallgruppen unterschiedlich beurteilt werden müßte.

Gegenüber dieser Begründung hat der Beklagte keine Gesichtspunkte vorgetragen, die seine Rechtsauffassung rechtfertigen könnten. So, wie er entsprechend einem Abänderungsurteil nach § 323 Zivilprozeßordnung (ZPO) den Entziehungsbescheid deutet, wird er den dargelegten Besonderheiten der "Entscheidungskette" innerhalb eines versorgungsrechtlichen Dauerrechtsverhältnisses nicht gerecht. Die herrschend vertretenen Rechtsansichten zur Abänderung nach § 323 ZPO, die in den Grundzügen dem Neufeststellungsbescheid gemäß § 62 BVG gleicht, sprechen der abzuändernden Entscheidung eher eine weitergehende Bindungswirkung zu. Im Urteil über eine Klage nach § 323 ZPO zur Gestaltung einer Dauerrechtsbeziehung, die auch nach vorausgegangener Ablehnung eines Anspruchs in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 30. September 1966 MDR 1967, 117; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, Kommentar zur ZPO, 19. Aufl. 1972, § 323, Anm. II, 2, a; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 8. Aufl. 1975, § 323, Anm. 4, a; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1963, S. 434; a. A. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl. 1974, S. 860 f), ist die Begründung des vorausgegangenen Spruches, soweit sie keine nachträglich veränderten Tatsachen betrifft, unkorrigierbar zu übernehmen (BGHZ 34, 110, 117: BSG 34, 192, 195 = SozR Nr. 61 zu § 1265 RVO; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, aaO, Anm. II, 3; V, 2; Thomas/Putzo, aaO, Anm. 4, a und d; Rosenberg/Schwab, aaO, S. 863, 865; Blomeyer, aaO, S. 435; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 34. Aufl. 1976, § 323, Anm. 3, B; Wieczorek, Zivilprozeßordnung, 1957, § 322, Anm. E, II, a, 2 Buchst. b). Das vom Beklagten zitierte BGH-Urteil vom 19. September 1967 (MDR 1968, 40) betrifft gerade keinen Fall nach § 323 ZPO.

Bei dieser Sach- und Rechtslage kann dahingestellt bleiben, ob nicht etwa der Ehemann der Klägerin ursprünglich sogar zutreffend in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG eingestuft worden ist und ob diese Berechnungsgrundlage, ungeachtet der Bindungswirkung, einem Zugunstenbescheid zugrunde gelegt werden muß, da nämlich der "gute" Erfolg beim Besuch der Landwirtschaftsschule deshalb, weil er wie die "mittlere Reife" den Zugang zur höheren landwirtschaftlichen Fachschule eröffnet, dem Mittel- (Real-) Schulabschluß im Sinne des § 5 Abs. 1 DVO gleichwertig sein könnte (verneint vom BSG im Urteil vom 18. Juni 1969 - 8 RV 809/67 -; in nicht tragender Begründung im Urteil vom 29. November 1973 - 10 RV 41/73 -; allgemein dazu: BSG SozR Nr. 3 zu § 5 DVO 1964; Nrn. 7 und 9 zu § 5 DVO 1968).

Allein wegen der Rechtsverbindlichkeit der früheren Entscheidung ist die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 283

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