Leitsatz (amtlich)

KOV-VfG § 40 Abs 2 bildet einen selbständigen Tatbestand, der von den Voraussetzungen des KOV-VfG § 40 Abs 1 unabhängig ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. KOV-VfG § 40 Abs 2 bildet einen selbständigen Tatbestand, sie ist kein Unterfall des Abs 1.

Abs 2 ist deshalb auch anzuwenden, wenn die Verwaltung eine den Versorgungsberechtigten benachteiligende Neufeststellung des Versorgungsanspruches vorgenommen hat, die nach der (späteren) ständigen Rechtsprechung des BSG der Rechtsgrundlage entbehrt hat, und zwar in diesem Falle unabhängig davon, ob diese (unzulässige) Neufeststellung zu einem sachlich richtigen Ergebnis geführt hat oder nicht.

2. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß bei einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Begriffs der einer Mittelschulbildung gleichwertigen Schulausbildung (DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 Abs 1) eine Neufeststellung nach BVG § 62 nicht zulässig ist, weil die Einfügung des Satzes 4 in § 5 Abs 1 durch die DV 1968 insoweit an der bisherigen Rechtslage nichts geändert hat.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2 Fassung: 1960-06-27; BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28; BVG§30Abs3u4DV § 5 Abs. 1 Fassung: 1968-02-28

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Februar 1972, das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28. April 1971 und der Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1970 aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen und darin auch über den 31. Juli 1968 hinaus der Berechnung des Schadensausgleichs ein Durchschnittseinkommen nach der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes zu Grunde zu legen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Klägerin bezieht Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als Witwe des 1906 geborenen und seit dem 28. Februar 1945 verschollenen Landwirts B Sch (Sch.). Dieser hatte von 1912 bis 1920 die Volksschule besucht, anschließend auf dem 15 ha großen Hof seiner Eltern gearbeitet und diesen Hof im Jahre 1935 selbständig übernommen. In den Winterhalbjahren 1926 und 1927 hatte er die Landwirtschaftliche Schule zu W besucht und im Abschlußzeugnis in allen Unterrichtsfächern die Noten "Gut" oder "Sehr gut" erhalten.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin durch Bescheid vom 25. Oktober 1965 einen Schadensausgleich ab 1. Januar 1964 unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), wobei er davon ausging, daß der erfolgreiche Besuch der Landwirtschaftsschule dem Abschluß einer Mittelschulbildung gleichzusetzen sei. Nachdem durch die Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF vom 28. Februar 1968 (BGBl I S. 194) - DVO 1968 - ein neuer Satz 4 in § 5 Abs. 1 der DVO eingefügt worden war, erließ der Beklagte den Bescheid vom 28. Mai 1968. Hiernach gewährte er ab 1. August 1968 den Schadensausgleich nur noch unter Zugrundelegung eines Durchschnittseinkommens nach den Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 BBesG, weil der Besuch der Landwirtschaftsschule nach der DVO 1968 nicht mehr einer Mittelschulbildung gleichzustellen sei und deshalb der Anspruch der Klägerin auf den Schadensausgleich wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse nach § 62 BVG neu festgestellt werden könne. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. August 1968). Die hiergegen erhobene Klage nahm die Klägerin durch Schriftsatz vom 2. November 1968 zurück.

Mit Schreiben vom 4. Januar 1969 begehrte die Klägerin eine erneute Überprüfung ihres Schadensausgleichs, weil der Betrieb ihres Mannes anerkannter Lehrbetrieb gewesen sei und ihr Mann damit einem Landwirt mit abgelegter Meisterprüfung gleichzustellen sei. Der Beklagte stellte weitere Ermittlungen an und lehnte durch Bescheid vom 2. Februar 1970 eine Zugunstenregelung nach § 40 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) ab, weil der Bescheid vom 28. Mai 1968 nicht unrichtig sei. Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin u. a. auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. März 1970 (9 RV 260/69) hin, wonach in Fällen der vorliegenden Art § 62 BVG nicht angewendet werden könne. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 28. August 1970 zurück. Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage durch Urteil vom 28. April 1971 abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 1. Februar 1972 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Voraussetzungen einer Neuregelung nach § 40 Abs. 2 VerwG seien nicht erfüllt. Das BSG habe zwar in seiner Entscheidung vom 17. März 1970, - wonach die Neufassung des § 5 Abs. 1 durch die DVO 1968 nicht als wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 BVG betrachtet werden könne -, nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten, als sie dem Widerspruchsbescheid vom 2. August 1968 zugrunde gelegen habe. Diese Entscheidung des BSG sei durch Urteile anderer Senate bestätigt worden; demnach liege eine "ständige Rechtsprechung" i. S. des § 40 Abs. 2 VerwG vor. Nach dem Sinn dieser Vorschrift könne § 40 Abs. 2 VerwVG jedoch nicht herangezogen werden, wenn die frühere Verwaltungsentscheidung zu einer Regelung geführt habe, die materiell-rechtlich richtig sei. Diese Folgerung sei für § 40 Abs. 1 VerwVG unbestritten; sie gelte ebenfalls für § 40 Abs. 2 VerwVG. Auch diese Vorschrift habe die Aufgabe, die Wiederherstellung der materiellen Gerechtigkeit zu ermöglichen. Das Verwaltungsrecht gebiete zwar in nicht wenigen Fällen die Weitergewährung einmal bewilligter Leistungen auch dann, wenn sie dem materiellen Recht zuwider bewilligt worden seien. Dies geschehe jedoch lediglich im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes des Berechtigten. Daraus könne für den vorliegenden Fall nichts hergeleitet werden. Der Bescheid vom 28. Mai 1968 hätte zwar im sozialgerichtlichen Verfahren wegen Verstoßes gegen § 62 BVG aufgehoben werden müssen, wenn die Klägerin ihre Klage nicht zurückgenommen hätte. Die hieraus resultierenden Nachteile müsse sie sich aber selbst zurechnen lassen; durch § 40 Abs. 2 VerwVG solle eine versäumte verfahrensrechtliche Möglichkeit nicht erneut eröffnet werden. Die Klägerin könne eine günstigere Einstufung auch nicht nach § 40 Abs. 1 VerwVG verlangen. Sch. habe in seinem Beruf als Landwirt keine Meisterprüfung abgelegt. Es fehle auch an Anhaltspunkten dafür, daß Sch. im Falle seiner Heimkehr die Meisterprüfung noch nachgeholt hätte; er könne auch nicht aus anderen Gründen den Personen mit Meisterprüfung gleichgestellt werden.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil am 18. April 1972 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 29. Juni 1972 durch einen weiteren Schriftsatz vom 19. Juni 1972, eingegangen beim BSG am 20. Juni 1972, begründet.

Sie beantragt,

1) unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des SG-Urteils vom 28. April 1971 sowie des Bescheides vom 2. Februar 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1970 den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin über den 31. Juli 1968 hinaus weiterhin Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 11 BBesG zu gewähren;

2) hilfsweise, unter Aufhebung der Urteile des LSG und SG sowie der Bescheide vom 2. Februar 1970 und 28. August 1970 den Beklagten zur Erteilung eines neuen Bescheides unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats zu verpflichten;

3) weiterhin den Beklagten zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in sämtlichen Rechtszügen zu verpflichten.

Zur Begründung führt sie aus, das BSG habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß - anders als der Beklagte angenommen habe - in Fällen der vorliegenden Art § 62 BVG nicht angewendet werden könne. Damit sei der Beklagte zur Erteilung des begehrten Bescheides verpflichtet gewesen. Nach der Rechtsprechung des BSG hänge die Anwendung des § 40 Abs. 2 VerwVG nicht davon ab, ob der frühere Bescheid dem materiellen Recht widersprochen habe oder nicht. Das angefochtene Urteil sei aber auch deshalb fehlerhaft, weil es die auf § 40 Abs. 1 VerwVG gestützte Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines Zugunstenbescheides verneint habe. Bei der Berechnung des Schadensausgleichs hätte wenigstens von der Besoldungsgruppe A 9 BBesG ausgegangen werden müssen. Ihr Ehemann habe die gleichen Erwerbschancen wie Landwirte mit Meisterprüfung gehabt, weil er bereits vor der Schädigung seine besondere Qualifikation sowie einen besonderen Berufserfolg unter Beweis gestellt habe.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

In seiner Erwiderung führt er aus, § 40 Abs. 2 VerwVG habe ebenso wie § 40 Abs. 1 dieser Vorschrift den Sinn, die Wiederherstellung der materiellen Gerechtigkeit zu ermöglichen. Daraus müsse geschlossen werden, daß eine Zugunstenregelung in beiden Fällen nur dann in Betracht komme, wenn der frühere Bescheid dem materiellen Recht nicht entspreche und demnach unrichtig sei. Die Einstufung des Sch. in die Besoldungsgruppe A 7 BBesG durch den Bescheid vom 28. Mai 1968 sei aber richtig; die Voraussetzungen, unter denen wenigstens die Besoldungsgruppe A 9 BBesG als Vergleichseinkommen herangezogen werden könne, seien gleichfalls nicht gegeben.

II

Das LSG hat die Revision gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen; die Klägerin hat sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 SGG). Die sonach zulässige Revision mußte in der Sache Erfolg haben. Entgegen der Auffassung des LSG ist der Beklagte verpflichtet, der Klägerin gemäß § 40 Abs. 2 VerwVG einen neuen Bescheid zu erteilen.

Nach § 40 Abs. 2 VerwVG ist auf Antrag des Berechtigten ein neuer Bescheid zu erteilen, wenn das BSG in ständiger Rechtsprechung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. Den entsprechenden Antrag hat die Klägerin spätestens mit ihrem Schriftsatz vom 27. Mai 1970 während des Widerspruchsverfahrens gestellt, denn sie hat in diesem Schriftsatz auf die Entscheidung des BSG vom 17. März 1970 (SozR BVG § 62 Nr. 40) hingewiesen und aus dieser Entscheidung ihren Anspruch auf Erlaß eines Zugunstenbescheides hergeleitet. Als "frühere Entscheidung" ist hier - wie das LSG richtig erkannt hat - der Bescheid vom 28. Mai 1968/Widerspruchsbescheid vom 2. August 1968 und nicht der Bescheid vom 25. Oktober 1965 anzusehen. Mit dem Bescheid vom 28. Mai 1968 hat der Beklagte die - für die Klägerin günstigere- Einstufung aus dem Bescheid vom 25. Oktober 1965 in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG geändert und für die Zeit ab August 1968 die Berechnung des Durchschnittseinkommens nach der Besoldungsgruppe A 7 BBesG vorgenommen. Der Beklagte ist dabei davon ausgegangen, daß die Einfügung des Satzes 4 in § 5 Abs. 1 durch die DVO 1968 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG darstellt. Grundsätzlich ist zwar auch eine Rechtsänderung - ebenso wie eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG anzusehen (vgl. BSG 10, 202; BVBl 1961, 146). Das BSG hat jedoch in dem bereits erwähnten Urteil vom 17. März 1970 (aaO) ausgesprochen, daß die Einfügung des Satzes 4 in § 5 Abs. 1 durch die DVO 1968, soweit er über den Begriff der einer Mittelschulbildung gleichwertigen Schulausbildung nähere Bestimmungen trifft, "gegenüber der früheren Fassung keine rechtliche Änderung i. S. des § 62 Abs. 1 BVG darstellt", sondern daß dieser Satz nur eine "erläuternde Definition" enthält, die nicht Anlaß zu einer Neufeststellung der Versorgungsansprüche zum Nachteil des Versorgungsberechtigten nach § 62 BVG sein kann. Diese Rechtsprechung ist auch in mehreren anderen Urteilen des BSG bestätigt worden (vgl. Urteile vom 9. April 1970 - 8 RV 445/69 - und vom 8. Dezember 1970 - 8 RV 389/69 -). Damit liegt eine "ständige Rechtsprechung" des BSG vor (vgl. BSG 15, 137, 139), mit der die Entscheidung des Beklagten vom 28. Mai 1968 nicht im Einklang steht.

Die Erwägungen, mit denen das LSG eine Anwendung des § 40 Abs. 2 VerwVG auf den vorliegenden Fall verneint hat, treffen nicht zu. Das BSG hat bereits mehrfach entschieden, daß § 40 Abs. 2 VerwVG einen selbständigen Tatbestand bildet, der von den allgemeinen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 VerwVG unabhängig ist und keinen Unterfall des Zugunstenbescheides nach Absatz 1 darstellt (vgl. BSG 15, 137, 140; Urteile vom 9. November 1965 - 10 RV 582/64 - und vom 21. März 1967 - 9 RV 879/64 -). Diese Ansicht wird überwiegend auch in der Literatur vertreten (vgl. Schönleiter/Hennig VerwVG § 40 Anm. 7; Sauerwein, VerwVG § 40 Anm. 6; van Nuis/Vorberg, Teil VIII S. 238 Anm. 1 d). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte des § 40 Abs. 2 VerwVG. Im Regierungsentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes war ursprünglich in § 42 Abs. 1 Nr. 10 die Erteilung eines neuen Bescheides vorgesehen, wenn das BSG in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als in einem früheren Bescheid zum Ausdruck gekommen ist (vgl. BT-Drucks. II/68 S. 7). Der vom Bundesrat verlangten Streichung dieser Vorschrift widersetzte sich die Bundesregierung, weil erreicht werden sollte, daß die Kriegsopferversorgung "einheitlich durchgeführt" wird (vgl. BT-Drucks. II/68 S. 21 Nr. 18). Auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses wurde die Vorschrift zwar im Gesetz belassen, jedoch nunmehr als neuer Absatz 2 des § 40 VerwVG eingeordnet, um eine mögliche Verschlechterung der Rechtsposition der Versorgungsberechtigten auszuschließen (vgl. Protokoll der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. März 1955 S. 4172). Die "systematischen Gründe" vgl. Schönleiter/Hennig aaO § 40 Anm. 7), die für diese gesetzestechnische Regelung maßgebend waren, liegen also lediglich darin, daß beide Absätze des § 40 VerwVG eine Neuregelung ausschließlich zugunsten des Berechtigten zulassen (vgl. auch Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - BMA - vom 24. September 1958 in BVBl 1958, 136); entgegen der Ansicht des LSG liegen sie aber nicht in einer in jeder Hinsicht gleichen rechtspolitischen Zielsetzung dieser beiden Vorschriften (vgl. BSG 15, 137, 140; 15, 17, 19).

Das LSG hebt richtig hervor, daß Absatz 1 des § 40 VerwVG der Realisierung eines für den Versorgungsberechtigten günstigeren materiellen Versorgungsrechts dienen soll (vgl. BSG in SozR VerwVG § 40 Nr. 3; BVBl 1964, 92). Wenn in den Entscheidungen des BSG mitunter gesagt wird, daß "§ 40 VerwVG" jenes Ziel habe, so ist aus dem Zusammenhang dieser Urteile ersichtlich, daß lediglich Zugunstenbescheide nach § 40 Abs. 1 VerwVG im Streit waren und daß das BSG davon ausging, daß der Absatz 1 dieser Vorschrift der Wiederherstellung der materiellen Gerechtigkeit dienen soll. Dagegen enthält § 40 Abs. 2 VerwVG keine Einschränkung dahin, daß Gegenstand der Entscheidung des BSG eine Frage des materiellen Rechts sein muß (vgl. BSG 15, 19); im übrigen betrifft die im vorliegenden Falle streitige Anwendung des § 62 BVG jedenfalls auch materielles Recht. Ebensowenig ist zu erkennen, daß § 40 Abs. 2 VerwVG auf die Fälle beschränkt sein soll, in denen die Erstanerkennung bzw. die erstmalige Regelung zu ungünstig ausgefallen ist und bei richtiger Gesetzesanwendung zu einer für den Versorgungsberechtigten günstigeren Regelung hätte führen müssen. Fälle dieser Art können regelmäßig bereits durch § 40 Abs. 1 VerwVG erfaßt werden. Dagegen soll § 40 Abs. 2 - als selbständiger Tatbestand - ganz allgemein eine einheitliche Anwendung der für die Kriegsopferversorgung (KOV) maßgebenden Gesetze und Verordnungen dadurch gewährleisten, daß bereits bindend gewordene Bescheide auf Antrag des Versorgungsberechtigten - und zu Gunsten des Versorgungsberechtigten - der Rechtsprechung des BSG anzupassen sind. Zu diesen Rechtsnormen rechnen aber auch die hier zunächst streitige Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 4 DVO 1968 und § 62 BVG. Zu den Grundsätzen des Versorgungsrechts gehört, daß ein einmal erteilter- und bindend gewordener Bescheid - bestehen bleibt und daß er nur unter den im Gesetz normierten besonderen Voraussetzungen abgeändert oder zurückgenommen werden kann (vgl. §§ 77 SGG, 24 VerwVG; §§ 62 BVG, 41, 42 VerwVG). Das vom Beklagten zitierte Urteil des BSG vom 21. März 1967 (9 RV 872/64) besagt nichts gegen die hier vertretene Auffassung. Abgesehen davon, daß das BSG auch in dieser Entscheidung die "selbständige Stellung" betont, die dem § 40 Abs. 2 VerwVG gegenüber dem § 40 Abs. 1 VerwVG beigelegt ist, hat es weiterhin ausgesprochen, daß § 40 Abs. 2 VerwVG die Versorgungsbehörden verpflichtet, sich rückwirkend die Rechtsauffassung des BSG zu eigen zu machen, weil das Gesetz einer ständigen Rechtsprechung des BSG den Rang einer über den Einzelfall hinausgehenden authentischen Interpretation von Rechtsnormen verleiht und ihr deshalb auch in der Praxis der Versorgungsbehörden Geltung verschaffen will.

Darüber hinaus dient § 40 Abs. 2 VerwVG aber auch der Prozeßökonomie. Nicht jeder Versorgungsberechtigte soll gezwungen sein, seinen Rechtsstreit bei ungeklärter Rechtslage durch alle Instanzen zu treiben, weil er die Gewissheit haben kann, daß auch seine Versorgungsangelegenheiten letztlich nach der - ständigen - Rechtsprechung des BSG ausgerichtet wird, sofern diese Regelung für ihn günstiger ist. Die Ansicht des LSG, die Klägerin müsse sich die Nachteile, die ihr aus der Klagerücknahme gegen den Bescheid vom 28. Mai 1968 erwachsen sind, selbst zurechnen lassen, kann deshalb nicht geteilt werden. Vielmehr ist § 40 Abs. 2 VerwVG stets dann anzuwenden, wenn die Rechtsprechung des BSG in der in einem früheren Bescheid vertretenen Rechtsansicht widerspricht, unabhängig davon, ob gegen diesen Bescheid ein Rechtsmittel nicht oder erfolglos eingelegt oder zurückgenommen worden ist.

Wenn sich die Versorgungsverwaltung die oben dargelegte "ständige Rechtsprechung" des BSG zur Änderung des § 5 Abs. 1 durch die DVO 1968 zu eigen gemacht hätte, so hätte sie den Antrag der Klägerin auf Erteilung eines neuen Bescheides nicht ablehnen dürfen. Der Bescheid vom 2. Februar 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 1970 war daher rechtswidrig und mußte aufgehoben werden. Bei dieser Rechtslage brauchte nicht geprüft zu werden, ob die Klägerin auch die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG beanspruchen könnte. Andere Gründe, die eine Änderung oder Berichtigung des ursprünglichen Bescheides vom 25. Oktober 1965 rechtfertigen könnten, sind vom Beklagten nicht vorgebracht.

Der Beklagte war daher - unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen - zu verurteilen, der Klägerin einen neuen Bescheid zu erteilen; dabei wird der Beklagte die Rechtsauffassung des Senats zu beachten haben. Hinsichtlich der zeitlichen Geltungsdauer war der nahtlose Anschluß an die vom Beklagten vorgenommene Herabsetzung zum 1. August 1968 herzustellen, weil der Zeitraum zwischen der Klagerücknahme und dem erneuten Antrag so gering ist, daß das Verfahren praktisch als einheitliches angesehen werden kann, so daß eine differenzierte Regelung nicht gerechtfertigt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669478

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