Wann haftet Fahrradfahrer bei Unfall mit Fußgänger trotz Vorfahrt

Auf einem Radweg kollidiert ein Fahrradfahrer mit einem den Weg kreuzenden Fußgänger. Der Radfahrer war eindeutig vorfahrtberechtigt. Bei bestimmten Verkehrssituationen wie Kurven, nahen Ampelübergängen etc. kommt in einer solchen Konstellation trotzdem Mithaftung des Fahrradfahrers in Betracht.

  • Laut Entscheidung des OLG Hamm gelten bei Radwegen für Fußgänger dieselben Sorgfaltspflichten wie beim Überschreiten von Fahrbahnen.
  • Die Beachtung des Fahrverkehrs durch Fußgänger sei sowohl vor als auch während des Überquerens der Fahrbahn bzw. des Radweges in beide Richtungen gem. § 25 Abs. 3 StVO geboten.

Auch dürften Radfahrer grundsätzlich darauf vertrauen, dass Fußgänger beim Überqueren von Radwegen diese besondere Sorgfalt walten ließen.

Wann den Fahrradfahrer eine Mitschuld trifft

Dennoch fand das Gericht Gründe, warum der Fahrradfahrer mitverantwortlich für den Unfall war. Das Gericht verwies auf das allgemeine Gebot der gegenseitigen Rücksichtsnahme aus § 1 StVO:

„Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“

  • Danach müsse die Geschwindigkeit bei besonderen Verhältnissen entsprechend an diese angepasst werden.
  • Zudem dürfe wegen des Gebots zur Rücksichtsnahme auch nicht uneingeschränkt darauf vertraut werden, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer die eigene grundsätzliche Bevorrechtigung beachteten.

Im konkreten Fall fuhr der Fahrradfahrer in einer Kurve, nach der sich auf der linken Seite eine Ampel für Fußgänger befand, über die man vom Bahnhofsvorplatz in die Innenstadt gelangt. Aufgrund des häufig regen Fußgängerverkehrs in Bahnhofsnähe und der Tatsache, dass viele Fußgänger gerade dort in Eile und unaufmerksam seien, hätte der beklagte Fahrradfahrer seine Geschwindigkeit ausnahmsweise wegen der besonderen Verkehrssituation anpassen und entsprechend reduzieren müssen, so das OLG.

Warum den Fußgänger ein Mitverschulden trifft

Allerdings gelte auch für die klagende Fußgängerin der allgemeine Sorgfalts- und Rücksichtsnahmegrundsatz aus § 1 Abs. 1 StVO:

  • Konnte die Fußgängerin von ihrem Standpunkt auf dem Gehweg aus nicht genau überblicken, ob aus der Kurve Radfahrer auf dem Radweg herangefahren kamen, die sie wegen deren Vorranges hätte vorbeifahren lassen müssen,
  •  so hätte sie sich vorsichtig in den Bereich des Radweges hineintasten müssen.

Die Klägerin habe weder hinreichend dargelegt, noch nachgewiesen, dass sie bei dem Überqueren des Radweges ausreichend auf Radfahrer geachtet habe. Deshalb bestehe auf Seiten der Fußgängerin ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB. Im Ergebnis sah das Gericht bei beiden Beteiligten eine Haftungsquote von jeweils 50 Prozent.

(OLG Hamm, Urteil v. 19.01.2018, 26 U 53/17).

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Hintergrund:

Nach § 1 Abs. 2 StVO hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Darüber hinaus gilt auch für einen Fahrradfahrer, dass dieser nur so schnell fahren darf, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht und innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann (vgl. § 3 Abs. 1 StVO).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Mitverschulden, Verkehrsunfall, StVO