5 Grundsatzurteile des BGH zum Werkstattrisiko
Der durchgängige rote Faden der vom Bundesgerichtshof (BGH) getroffenen Entscheidungen lautet: Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist auch dann berechtigt, vom Unfallverursacher die von einer Werkstatt für die Beseitigung der Unfallschäden in Rechnung gestellten Reparaturkosten zu verlangen, wenn der Unfallverursacher einwendet, die von der Werkstatt gestellte Rechnung sei überhöht. Begründung: Die Schadensbeseitigung in einer Werkstatt finde in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre statt. Dem Geschädigten fehle i. d. R. das notwendige Fachwissen, um die Berechtigung einzelner Rechnungspositionen zu beurteilen.
Risiko für überhöhte Rechnungen trägt der Schädiger
Mit seinen aktuellen Entscheidungen führt der BGH seine bisherige Rechtsprechung zum sogenannten Werkstattrisiko konsequent fort. Danach soll der Geschädigte nicht das Risiko dafür tragen, dass ihm aufgrund unsachgemäßer und unwirtschaftliche Arbeitsweise einer Werkstatt überhöhte Kosten in Rechnung gestellt werden. Gegebenenfalls könne allerdings der Schädiger nach dem Prinzip des Vorteilsausgleichs vom Geschädigten die Abtretung möglicher Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt verlangen.
Auch Rechnungspositionen für nicht durchgeführte Reparaturen sind ersatzpflichtig
In einer der getroffenen Entscheidungen hat der BGH diesen Grundsatz nunmehr dahingehend erweitert, dass die Ersatzpflicht des Geschädigten nicht nur aufgrund unsachgemäßer und unwirtschaftlicher Reparaturarbeiten in Rechnung gestellte Positionen umfasst. Ersatzfähig sind nach dieser Entscheidung auch solche Rechnungspositionen, die auf angeblichen Reparaturen beruhen, die von der Werkstatt tatsächlich nicht durchgeführt wurden. Voraussetzung ist allerdings, dass dies für den Geschädigten nicht erkennbar war.
(BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 253/22).
Beweisaufnahme über die Erforderlichkeit einer berechneten Reparatur ist unzulässig
Vor diesem Hintergrund erklärte der BGH eine Beweisaufnahme über die objektive Erforderlichkeit einer in Rechnung gestellten Reparaturmaßnahme im Schadenersatzprozess zwischen Schädiger und Geschädigten für unzulässig, da die Frage der Erforderlichkeit einer in Rechnung gestellten Reparatur nicht entscheidungserheblich ist.
Geschädigte dürfen auf seriöse Werkstattarbeit vertrauen
In einem weiteren Verfahren hat der Senat entschieden, dass Geschädigte grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass die von Ihnen beauftragte Fachwerkstatt keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt. Aus diesem Vertrauensgrundsatz folge, dass Geschädigte vor Durchführung der Reparatur nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet sind, um die Erforderlichkeit einzelner Reparaturmaßnahmen zu beweisen. Demgemäß sei es auch nicht pflichtwidrig, wenn der Geschädigte im konkreten Fall die Einholung eines solchen Gutachtens und die Auswahl des Sachverständigen der von ihm beauftragten Fachwerkstatt überlässt.
(BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 51/23).
Ersatzanspruch auch schon vor Rechnungsbegleichung
Die Anwendung dieser Grundsätze zum Werkstattrisiko setzt nach den Entscheidungen des BGH nicht voraus, dass der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits beglichen hat. In diesem Fall müssten Geschädigte allerdings die Zahlung der Reparaturkosten nicht an sich, sondern an die Werkstatt verlangen, wenn sie das Werkstattrisiko nicht selbst tragen möchten. Dies folge daraus, dass der Geschädigte sonst den Rechnungsausgleich gegenüber der Werkstatt um den zu Unrecht in Rechnung gestellten Betrag kürzen könnte und in der Folge der Vorteilsausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem durch Abtretung der Ansprüche auf Rückzahlung zu Unrecht in Rechnung gestellter Beträge nicht möglich wäre. Deshalb könne der Geschädigte vor Begleichung der Rechnung nur Zahlung an die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger, das Werkstattrisiko betreffende Ansprüche gegen die Werkstatt verlangen.
(BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 266/22).
Rechte aus Werkstattrisiko sind nicht abtretbar
Nach den Entscheidungen des BGH lässt sich das Recht des Geschädigten, sich bereits vor Begleichung der Rechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, nicht im Wege der Abtretung auf Dritte übertragen. Dies folge aus dem schützenswerten Interesse des Schädigers, dass der Geschädigte selbst sein Gläubiger bleibt. Nur im Verhältnis zu diesem sei für ihn die Durchführung des Vorteilsausgleichs gesichert, da hierfür der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und die wegen des Vorteilsausgleichs abzutretenden Ansprüche gegen die Werkstatt in einer Hand, nämlich beim Geschädigten liegen müssten.
(BGH, Urteile v. 16.1.2024, VI ZR, 38/22 u. 239/22).
Grenze des Werkstattrisikos
Die vom BGH aufgestellten Grundsätze stoßen dann an ihre Grenze, wenn Umstände die Annahme rechtfertigen, dass der Geschädigte das Unfallereignis ausnutzt, um Instandsetzungsarbeiten ausführen zu lassen, die in keinem Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen. Insoweit hat der BGH klargestellt, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Kausalität zwischen Unfallschaden und beschädigtem und repariertem Fahrzeugteil beim Geschädigten verbleibt.
(BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 253/22).
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