Brüllende Richter sind nicht unbedingt befangen

Lautstarke Auseinandersetzungen zwischen Gericht und Prozessbevollmächtigten kommen schon mal vor. Ist nur der (oder die) Bevollmächtigte einer Partei hiervon betroffen, so drängt sich der vertretenen Partei schon mal der Eindruck mangelnder Neutralität auf.

Im konkreten Fall war der beisitzende Richter einer Zivilkammer des Landgerichts mit der Prozessbevollmächtigten des Beklagten während des Verhandlungstermins lautstark aneinandergeraten. Gegenstand der Auseinandersetzung war eine technische Frage hinsichtlich der Eigenschaft von Erde.

Mal kurz in den Garten gehen

Der Richter echauffierte sich im Rahmen der entstandenen Kontroverse und brüllte – so die betroffene Bevollmächtigte – diese an, man könne ja mal kurz in den Gerichtsgarten gehen, um dort die Eigenschaften von Erde anschaulich zu machen. Hierdurch fühlte sich die betroffene Anwältin verunglimpft und lehnte namens des Beklagten den Richter wegen Befangenheit ab.

Eine sachlich unrichtige Auffassung begründet keine Befangenheit

Die Anwältin blieb mit ihrem Befangenheitsantrag erfolglos. Ihr Einwand, der Richter habe eine technisch eindeutig falsche Ansicht in unangemessener Form vehement zu vertreten versucht, rechtfertigt nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht die Annahme der Befangenheit. Auf die Richtigkeit der Auffassung des Richters komme es nicht an.

Nach Meinung des Beschwerdegerichts ist es geradezu das Wesen einer Gerichtsverhandlung, dass unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen. Ein Teil dieser Meinungen sei regelmäßig aus sachlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten unzutreffend. Gegenstand des Verfahrens sei es ja gerade, den Weg zu einem zutreffenden Ergebnis zu finden. Wenn auf dem Wege dorthin unrichtige Auffassungen über sachliche bzw. technische Zusammenhänge die Besorgnis der Befangenheit begründeten, so wären Gerichtsverfahren nach Auffassung des Senats praktisch nicht mehr durchführbar.

Anders bei offensichtlich groben Denkfehlern

Anders wäre die Lage nach Meinung der OLG-Richter dann zu beurteilen, wenn das Vorgehen und die Äußerungen des abgelehnten Richters so grob fehlerhaft gewesen wären, dass sich auch einer verständig urteilenden Partei der Anschein der Voreingenommenheit des Richters geradezu hätte aufdrängen müssen.

Dies sei aber nur bei Äußerungen eines Richters der Fall, die die verfassungsrechtlich gesetzten Schranken so grob missachteten, dass der Anschein von Willkür und einer sachwidrigen Voreingenommenheit nicht mehr von der Hand zu weisen seien und das Vorgehen des Richters schlechterdings als nicht mehr verständlich und vertretbar erscheine (OLG Zweibrücken, Beschluss v. 21.08.2012, 10 W 42/11). Dies treffe für die beanstandeten Äußerungen nicht zu.

„Anbrüllen“ als Stimmmodulation

Nach Auffassung des OLG-Senats ist auch das von der Anwältin behauptete „Anbrüllen“ durch den Richter nicht geeignet, bei einem verständigen Beobachter die Besorgnis einer Befangenheit zu wecken. In seiner dienstlichen Stellungnahme gemäß § 44 Abs. 3 ZPO habe der Richter eingeräumt, in einer „kurzen Phase einer Kontroverse laut geworden zu sein“ und sich „echauffiert“ zu haben.

Richter darf das

Der Richter habe durch seine Äußerung auch die Verhandlung in scharfer Weise unterbrochen. Ein solch unwirscher Tonfall eines Richters sei zwar möglicherweise unerwünscht, er lasse aber nicht den Eindruck der Befangenheit zu. Auch ein Richter dürfe seiner Meinung durch Modulation der Stimme Gehör und Gewicht verschaffen (Sächsisches OLG, Beschluss v. 14.06.2010, 3 Sa 366/09).

Ausdruck eines engagierten Naturell des Richters

Auch das vom Richter in seiner Stellungnahme selbst dokumentierte Angebot an die Prozessbevollmächtigte, im Gerichtsgarten die Eigenschaften von „Erde“ zu klären, ist nach Auffassung des OLG nicht als „Verunglimpfung“ des Beklagten oder seiner Bevollmächtigten zu werten. Nach Meinung des Senats handelte es sich um ein rein rhetorisches Angebot, mit dem der Richter seinen Ausführungen auf engagierte Weise Nachdruck zu verleihen suchte. Der Eindruck einer persönliche Voreingenommenheit sei hieraus nicht ableitbar.

(OLG Zweibrücken, Beschluss v.  08.01.2013, 3 W 146/12). 

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