Keine Zwangsräumung einer Wohnung gegen Hochschwangere

Das BVerfG hat auf den Eilantrag einer hochschwangeren Mieterin die unmittelbar bevorstehende Zwangsräumung ihrer Wohnung gestoppt.

Das BVerfG hat sich in einem Eilverfahren ausführlich mit dem bei der Zwangsräumung von Wohnungen zu beachtenden Recht der Mieter auf Leben und körperliche Unversehrtheit befasst. Das höchste deutsche Gericht hat klargestellt, dass bei einer infolge einer Zwangsräumung drohenden Gefahr schwerwiegender gesundheitlicher Risiken eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte im Sinne von § 765a ZPO vorliegen und die Zwangsräumung aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig machen kann.

Anordnungsbefugnis des BVerfG zur Abwehr schwerer Nachteile

Das BVerfG bejahte seine Befugnis zum Erlass einer einstweiligen Anordnung, obwohl der ordentliche Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft war. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG einen Zustand durch eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Diese Voraussetzungen sah das Gericht im konkreten Fall als gegeben an.

Entbindung per Kaiserschnitt 4 Tage nach dem Räumungstermin geplant

Gegenstand des Eilverfahrens war die Zwangsvollstreckung aus einem zwischen dem Vermieter und den Mietern geschlossener gerichtlicher Räumungsvergleich. Die Mieterseite bestand aus einem Ehepaar mit Kindern. Die Ehefrau war hochschwanger. Sie hatte einen Krankenhaustermin für einen Kaiserschnitt vereinbart, der 4 Tage nach dem für die Zwangsräumung der Wohnung angesetzten Termin lag.

Räumungsschutz vom AG abgelehnt

Das AG hatte den Antrag der Familie auf Räumungsschutz abgelehnt. Das Vorbringen der Antragsteller genügte nach der Bewertung des AG nicht den Anforderungen an eine Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 765a Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung untersagt oder einstweilen eingestellt werden, wenn die Maßnahme unter Würdigung des Schutzbedürfnisses auch des Gläubigers für den Schuldner eine besondere Härte bedeuten würde, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.

AG räumte dem Vermieterinteresse an der Räumung Vorrang ein

In seinem Ablehnungsbeschluss ließ das AG Zweifel durchblicken, ob die durch eine Bescheinigung des Krankenhauses nachgewiesene Schwangerschaft der Ehefrau überhaupt bestand. Das AG hielt die Aufklärung dieser Frage letztlich nicht für erforderlich und argumentierte, die Antragsteller könnten sich schon deshalb nicht auf staatliche Schutzpflichten aus § 765a Abs. 1 ZPO berufen, weil eine erneute Schwangerschaft der Ehefrau im Hinblick auf die äußerst angespannte finanzielle Situation der Familie als geradezu fahrlässig erscheine. Unter Würdigung der Gesamtumstände räumte das AG dem Interesse des Gläubigers an einer zügigen Räumung der Wohnung Vorrang ein, zumal es Aufgabe der Stadt sei, gegebenenfalls für die Familie eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen.

BVerfG rügt AG in deutlicher Form

Das BVerfG stellte klar, dass das AG dem Recht der Antragsteller auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Das AG habe die erforderliche Abwägung zwischen dem Interesse des Vermieters an der Räumung und dem Interesse der Familie auf Abwendung gesundheitlicher Gefahren für die hochschwangere Mutter nicht mit der hinreichenden Tiefe vorgenommen.

Vollstreckungsgericht hat gesundheitliche Aspekte sorgfältig zu klären

Das BVerfG belehrte das AG, ein Vollstreckungsgericht habe im Falle einer naheliegenden oder zumindest nicht auszuschließenden Gefahr für Leben und Gesundheit einer hochschwangeren Mutter und ihres noch ungeborenen Kindes die gesamten Umstände und auch die drohenden Folgen sorgfältig aufzuklären und bei einer Entscheidung über einen Eilantrag zur Einstellung der Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen.

Gericht muss städtische Unterbringungsmöglichkeit selbst prüfen

Das Gericht habe in seine Überlegungen auch die Unterbringungsmöglichkeiten der Familie für die Zeit unmittelbar vor und nach der Geburt des Kindes einzustellen. Dabei sei sorgfältig zu prüfen, ob die Möglichkeit einer Unterbringung der Familie in einer städtischen Notunterkunft tatsächlich besteht und diese den Bedürfnissen der hochschwangeren Mutter kurz vor der Entbindung und den Anforderungen an einen effektiven Gesundheitsschutz für das ungeborene Kind entspricht.

Ernsthafte Gesundheitsgefahren vom Vollstreckungsgericht ignoriert

Im konkreten Fall drohten aus Sicht der Verfassungsrichter der Familie der Antragsteller bei Durchführung der Zwangsräumung ernsthafte Gefahren. Die Entscheidung des AG werde nicht dem Recht der Mutter und des ungeborenen Kindes auf körperliche Unversehrtheit und auf eine angemessene Unterbringung gerecht. Die Antragsteller hätten nachvollziehbar vorgetragen, dass eine in den Blick genommene Unterbringung in Wohncontainern der Gemeinde dem zu beachtenden Mindestmaß an medizinischer und hygienischer Grundversorgung angesichts der konkreten Geburtssituation der Antragsteller nicht entspreche.

Eilentscheidung des BVerfG auch vor Ausschöpfung des Rechtsweges

Das BVerfG traf seine Entscheidung im Rahmen einer Folgenabwägung, die in einer Eilsache dann vom Verfassungsgericht angewandt wird, wenn eine bereits eingelegte oder noch einzulegende Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache nicht von vornherein aussichtslos wäre. Die Folgenabwägung lautete: Würde das Gericht den Antragsstellern den begehrten Rechtsschutz verweigern, wäre nicht auszuschließen, dass aufgrund der Durchführung der Zwangsräumung nicht rückgängig zu machende negative Folgen für Leib und Leben der Kindesmutter und ihres ungeborenen Kindes eintreten könnten. Würde demgegenüber der begehrte Rechtsschutz gewährt, so träte für den Vermieter lediglich die Negativfolge ein, dass er seinen Räumungsanspruch erst mit Verzögerung durchsetzen könnte.

Zwangsräumung ausgesetzt

Im Ergebnis bewertete das BVerfG die negativen Folgen für den Vermieter als deutlich weniger schwerwiegend als die drohenden negativen Gesundheitsfolgen für die Mutter und das ungeborene Kind. Mit diesen Argumenten gab das BVerfG dem Antrag auf Eilrechtsschutz statt und setzte die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Räumungsvergleich bis zur Entscheidung in der Hauptsache über die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von 6 Monaten, aus.


(BVerfG, Beschluss v. 18.5.2025, 2 BvQ 32/25).