Lampenfieber verschwiegen – muss die Berufsunfähigkeitsversicherung deshalb nicht zahlen?

Eine junge Frau hatte sich vor dem Abitur auf Drängen ihrer Mutter vom Hausarzt an einen Psychotherapeuten überweisen lassen, um ein ausgeprägtes Lampenfieber in den Griff zu bekommen. Es folgten fünf probatorische Sitzungen bei dem Psychotherapeuten, der danach entschied, dass eine Behandlung nicht erforderlich sei.
Berufsunfähigkeit wurde von Gutachter festgestellt
Acht Jahre später sorgten diese Sitzungen allerdings für Schwierigkeiten beim Antrag auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Ein Gutachter hatte bestätigt, dass bei der jungen Frau eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, die sie auf Dauer zu mehr als 50 Prozent in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit einschränkt.
Versicherung passte den Vertrag rückwirkend an und weigerte sich zu zahlen
Die Versicherung weigerte sich zu zahlen. Nach Ermittlungen zum Gesundheitszustand der Klägerin nahm sie eine rückwirkende Vertragsanpassung vor. Mit dieser Anpassung wurden Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend ab Vertragsbeginn aus dem Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern psychische und/oder psychosomatische Erkrankungen oder nachgewiesene Folgen dieses Leidens die Ursache der Berufsunfähigkeit bildeten.
Die Versicherung sah in den fünf probatorischen Sitzungen bei dem Psychotherapeuten eine mitteilungspflichtige Behandlung. Die junge Frau hatte die Behandlungen im Antrag nicht erwähnt.
Gericht: Versicherung darf den Vertrag nicht rückwirkend anpassen.
Das Landgericht hatte entschieden, dass die von der Versicherung ausgesprochene Vertragsänderung nicht rückwirkend zu einer Anpassung des Versicherungsvertrags führt. Diese Auffassung wurde vom Oberlandesgericht (OLG) Dresden bestätigt.
Das Gericht erkannte zwar, dass die Frau im Versicherungsantrag objektiv falsche Angaben gemacht habe, indem sie die Sitzungen beim Psychotherapeuten nicht erwähnt habe. Hierin liege eine nach den Antragsfragen mitteilungspflichtige Behandlung.
Unverschuldete Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht
Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht sei aber gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG unverschuldet erfolgt. Die Klägerin habe sich auf die Einschätzung des Psychologen verlassen dürfen, dass sie nicht an einer psychischen Krankheit leide.
Als Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung komme nur ein Zustand in Betracht, der vom normalen Gesundheitszustand so stark und so nachhaltig abweicht, dass er geeignet sei, die berufliche Leistungsfähigkeit oder die berufliche Einsatzmöglichkeit dauerhaft zu beeinträchtigen.
Hierzu zähle ein alterstypisch ausgeprägtes Lampenfieber unterhalb der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst nicht. Es stellt nach Auffassung des Gerichts auch keine „Beschwerde“ der Psyche dar.
(OLG Dresden, Urteil v. 6.12.2022, 4 U 1215/22)
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