Unterfinanzierte Justiz - überlastete Richter und Staatsanwälte

Ein Staatsanwalt steht in Freiburg als Angeklagter vor Gericht, weil er den Belastungen seines Berufs nicht gewachsen war. Andernorts quittieren Richter ihren Dienst, weil sie die ihnen zugewiesene Prozessflut nicht bewältigen. In der deutschen Justiz ächzt und krächzt es im Gebälk: Sie ist - aus Haushaltsgründen - personell unterbesetzt mit teilweise haarsträubenden Konsequenzen.

Angeklagt wegen Strafvereitelung und Rechtsbeugung. Diesen Vorwürfen sieht sich ein Staatsanwalt zur Zeit vor dem LG Freiburg ausgesetzt. In der mündlichen Verhandlung am 16.2.2016 kannte der anklagende Staatsanwalt keine Gnade. Der Ankläger von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, Klaus Armbrust, forderte die Verhängung einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren gegen den angeklagten Staatsanwalt, wobei er allerdings eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung für angemessen hielt.

Angeklagter Staatsanwalt beklagt wahnwitziges Arbeitspensum

Der 55-jährige Angeklagte stritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht ab. Die Fälle hatten sich bei ihm gestapelt. Um nach außen eine Bearbeitung vorzutäuschen, erließ er so genannte Scheinverfügungen. Nach eigenen Angaben wollte er so Zeit schinden, um die Bearbeitung später doch noch zu Ende bringen zu können.

Der Angeklagte führt an, dass er mit Fällen überhäuft worden sei und gleichzeitig zu einem Drittel seiner Zeit nach Offenburg abgestellt worden sei. Außerdem habe er Kapitalverbrechen bearbeiten müssen, obwohl dies an sich Aufgabe des Amtsleiters sei. Demgegenüber warf ihm der Ankläger vor, dass er trotz dieser offensichtlichen Überforderung nebenher für 40 Euro Stundenlohn Examensklausuren beaufsichtigte und Studentenpraktika organisierte.

Eine sorgfältige Fallbearbeitung ist unmöglich

Überlastete Staatsanwälte und Richter sind keine Einzelfälle. Im Saarland quittierte ein Richter auf Probe seinen Dienst, nachdem er zunächst von 2011-2013 bei der Staatsanwaltschaft anschließend als Richter am Landgericht tätig war. In einem ausführlichen Schreiben an die Landesjustizverwaltung beanstandete er, dass bei der Staatsanwaltschaft monatlich bis zu 180 neue Verfahren eingegangen seien. Eine sorgfältige Bearbeitung sei bei dieser Fallzahl unmöglich gewesen.

Poenale Quoten zwecks schneller Fallerledigung

Der Jurist beschrieb, wie bei der Staatsanwaltschaft eine so genannte „Poenale Quote“ im Umlauf gewesen sei.

  • Dies bedeutete, dass mindestens 20 % der Fälle durch Strafbefehl ohne Prozess abgeschlossen werden sollten.
  • Eine entsprechende schriftliche Anweisung habe es zwar nicht gegeben, jedoch würde eine solche Verfahrensweise intern auch heute noch von den Staatsanwälten erwartet.

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken bestreitet die Existenz einer solchen Quote. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Saarbrücken räumte allerdings ein, es existiere eine hausinterne Verfügung, die die Staatsanwälte anhalte, den Abschluss eines Verfahrens durch Strafbefehl möglichst häufig in Erwägung zu ziehen.

Überlange Dauer der Untersuchungshaft wegen Überlastung

Nach Schätzungen der Juristenverbände fehlen in allen Bundesländern Staatsanwälte, in NRW knapp 200, in Bayern ca. 150.

  • In der Praxis führt dies zu einer überlangen Dauer der Ermittlungen.
  • Hierdurch müssen nicht selten inhaftierte Tatverdächtige wieder freigelassen werden, weil die erlaubte Dauer der Untersuchungshaft ausgeschöpft ist.

Das BVerfG hat entschieden, dass eine Dauer der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr in der Regel nicht zulässig ist. Im zu Grunde liegenden Fall wurde ein der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung Verdächtiger in Bayern im August 2013 inhaftiert. Die Haftgründe waren Flucht- und Wiederholungsgefahr. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens Anfang April 2014 erließ das LG einen Haftfortdauerbeschluss mit der Begründung, die Kammer sei überlastet und könne die Verhandlung gegen den Angeklagten erst im Oktober 2014 terminieren.

Gefährliche Verbrecher müssen wegen Personalmangel frei gelassen werden

Dieser nicht ganz ungewöhnlichen Praxis schob das BVerfG einen Riegel vor und entschied, dass die Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft mit der Begründung, die zur Entscheidung berufene Kammer sei überlastet, in jeder Hinsicht sachfremd sei.

  • Untersuchungshaft könnte nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Staat seiner Pflicht zur verfassungsmäßigen Ausstattung der Gerichte nicht nachkommt.
  • In der Regel sei eine Hauptverhandlung binnen drei Monate nach Eröffnung des Verfahrens durchzuführen oder zumindest erkennbar zu fördern.
  • Lediglich kurzfristige, unvermeidbare und unvorhersehbare Belastungssituationen eines Gerichts könnten im Einzelfall eine Verzögerung in höherem Ausmaß rechtfertigen.

Eine Überlastungssituation, die sich schon über längere Zeit aufgebaut habe, falle aber in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft und sei nicht dem Untersuchungshäftling zuzurechnen.

Der als äußerst gefährlich eingestufte Häftling musste nach der Entscheidung des BVerfG frei gelassen werden (BVerfG, Beschluss v. 30.7.2014, 2 BvR 1457/14).

Die Justiz ist chronisch unterfinanziert

Der Grund für die Missstände liegt letztlich in der Unterfinanzierung der Justiz. Der Justizhaushalt ist sowohl bei Bund und Ländern der jeweils kleinste Haushalt.

Gerade in Zeiten verschiedenster Bedrohungen - auch im Hinblick auf die Vorkommnisse in der Silvesternacht in Köln - wird deutlich, dass die Politik hier an der falschen Stelle spart.

Obwohl die Deutschen mehrheitlich großes Vertrauen in ihre Justiz hegen, ist die Tatsache der Überlastung der Justizorgane inzwischen im kollektiven Bewusstsein angekommen. Nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts aus dem Jahr 2014 sind 71 % der Befragten der Auffassung, dass die Justiz überlastet ist. Hier müssen die zuständigen Organe dringend handeln, soll nicht ein dunkler Schatten auf die im allgemeinen Bewusstsein durchaus vorhandene positive Wahrnehmung der Justiz fallen.      


Vgl. zu dem Thema auch:

Amtshaftung wegen überlanger Prozessdauer: BGH präzisiert

aber auch:

Von langsamen, gründlichen und/oder faulen Richtern

Schlagworte zum Thema:  Justiz, Richter, Staatsanwaltschaft