Kanzleientwicklung ist auch Persönlichkeitsentwickung

Juristen werden nicht dafür bezahlt, Entscheidungen zu treffen. Ihre Aufgabe ist es, zu beraten und zu begleiten und dabei immer alles ganz genau zu wissen. Kanzleiinhaber treffen jeden Tag Entscheidungen, ohne dass ihnen hierfür ausreichende Informationen zur Verfügung stehen. Sie sind nicht nur Anwalt, sondern zugleich Unternehmer und Führungskraft. Ein Rollenkonflikt?

“Was verkaufen Sie?” die Standardfrage von Peter Drucker, einem der führenden Köpfe der Managementberatung der letzten Jahrzehnte, ist auch für Kanzleiinhaber interessant – wird sie doch nur selten tatsächlich beantwortet. Soll tatsächlich Rechtsberatung verkauft werden? Ist es das, was der Mandant, der am anderen Ende des Schreibtisches sitzt, hofft zu bekommen?

Möglicherweise ist es mehr. Vielleicht möchte er einen langen Streit endlich befrieden. Vielleicht sieht er in seinem Anwalt seinen Premiumpartner auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Vielleicht möchte er endlich wieder in Ruhe schlafen können.

"Black&Decker" behauptete eines Tages, ihr Geschäft wäre nicht das Werkzeugmachen, sondern sie wären im “Löcher-Geschäft”: Immerhin wollten ihre Kunden am Ende “Löcher”.

Drucker selbst berichtet von einem Beratungsmandat für die Notaufnahme eines Krankenhauses: für alle Beteiigten überraschend stellte sich heraus, dass die Notfallambulanz nicht etwa wie das Krankenhaus “medizinische Versorgung” anbot, sondern dafür da war, in erster Linie das Bedürfnis der Kunden nach “Sicherheit” zu stillen. Manches Kanzleimodell erinnert an eine Notfallambulanz – und an das Geschäft mit der Sicherheit. Andere erinnern an Werkzeugmacher und das Geschäft mit den (Schlupf-) Löchern.

Warum Sie wissen müssen, was Sie verkaufen wollen

Egal in welchem Bereich die Kanzlei gegründet werden und ihre Mandanten finden soll – es sollte Klarheit darüber bestehen, was tatsächlich verkauft wird. Warum? Weil

  1. die Ziel-Mandantschaft bestimmte Bedürfnisse hat, die es abzuholen gilt
  2. Marketing, Akquise und Vertrieb diese Bedürfnisse mit den wichtigsten Schlüsselwörtern adressieren müssen
  3. die Kanzlei- und Aktenprozesse auf das Erfüllen des Schlüsselbedürfnisses ausgerichtet sein müssen

Die Maslow´sche Bedürfnispyramide geht sogar noch weiter: Danach soll jedes Unternehmen nicht nur die Bedürfnisse der Kunden/Mandanten erfüllen, sondern auch die des Firmeninhabers und die der Mitarbeiter: die menschlichen Grundbedürfnisse ebenso wie das Bedürfnis nach Sicherheit, die sozialen Bedürfnisse ebenso wie das Bedürfnis nach Wertschätzung, Anerkennung und Selbstverwirklichung (→ Teambuilding in der Anwaltskanzlei). Nach Maslow ist ein Unternehmen (und auch eine Kanzlei), die sich diesem Anspruch nicht stellt, nicht überlebensfähig.

Welche Bedürfnisse soll Ihre Kanzlei befriedigen?

Die wenigsten Kanzleiinhaber haben ihre Kanzlei jemals unter dem Blickwinkel betrachtet, welch komplexes Anforderungsprofil die Kanzlei für Mitarbeiter, Mandanten und sie selbst erfüllen muss.

Und noch weniger haben sich Gedanken dazu gemacht, wie unterschiedlich die eigenen Bedürfnisse sein können, je nach dem in welcher Rolle – ob als Anwalt oder Partner – man sie definiert. Ein dritter Blickwinkel eröffnet sich spätestens dann, wenn man auf die Kanzlei als Führungskraft mit Mitarbeiterverantwortung auf dieses Anforderungsprofil schaut.

So kann z.B. die Anschaffung einer neuen Kanzleisoftware als Anwalt durchaus wünschenswert sein, weil umständliche Prozesse verschlankt werden. Als Kanzleieinhaber stellt sich natürlich die Frage nach dem ROI (Return on Ivestment) und der strategischen Relevanz. Als Führungskraft werden sie die Sorge einiger Mitarbeiter wahrnehmen, durch preiswerte Algorithmen abgelöst zu werden und sich Gedanken dazu machen, wie diese Mitarbeiter nun Sinn stiftend anderweitig eingesetzt werden können, ja idealerweise sogar gefördert werden können, so dass sie bei der Einführung der neu angeschafften Software sich nicht in den passiven Widerstand flüchten.

Rollenkonflikte sind als Kanzleiinhaber an der Tagesordnung

Rollenklarheit bei den zu treffenden Entscheidungen also das A und O. Wie bekomme ich Rollenklarheit?

  1. Keine spontanen Entscheidungen
  2. Faktische Rollentrennung (personell, zeitlich, örtlich)
  3. Perspektivenwechsel
  4. Strategische Prioritäten setzen
  5. Feedback-Schleifen im geschützten Rahmen

Diese können mit einem Mentor stattfinden oder im vertrauten Kreis. Ein erfahrener, neutraler und professioneller Coach bietet am Ende jedoch die ideale Unterstützung – und ist noch dazu jederzeit abrufbar. Ohnehin sollte die Investition in die eigenen unternehmerischen Fähigkeiten für jeden Kanzleigründer ganz oben auf der Prioritätenliste stehen, persönliche Weiterentwicklung und nicht nur Weiterbildung eingeschlossen. Denn die Kanzleigründung beginnt und endet mit Ihnen.

→ Dr. Geertje Tutschka ist Juristin, Beraterin und Coach sowie Präsidentin der deutschen Sektion der International Coach Federation (ICF). In ihrem Fachbuch  „Kanzleigründung und Kanzleimanagement“ beschäftigt sie sich mit dem Gründungsthema.

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