Risikomanagement in der Anwaltskanzlei

Auch vor Anwaltskanzleien machen die gestiegenen Anforderungen an das Risikomanagement nicht halt. Wie Risikomanagement in der Kanzlei umgesetzt werden kann und welche Vorteile standardisierte Prozesse bieten, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Die anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften sind nach § 31 Abs. 1 BORA dazu angehalten, laufend ihre konkreten Risiken für Berufsrechtsverstöße zu ermitteln und zu bewerten. Dazu zählen insbesondere solche Risiken, die sich aus der Zusammensetzung und Organisationsstruktur, den Tätigkeitsfeldern sowie den Mandaten der jeweiligen Kanzlei ergeben. Zu diesem Zweck muss eine Risikoanalyse erstellt werden, die in Kanzleien mit mehr als 10 Berufsträgern auch zu dokumentieren ist. Selbst bei Zulassungsanträgen für neue anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften verlangt die Kammer im Antrag eine Antwort (Ja oder Nein) auf die Frage, ob Maßnahme zur Erkennung und Vermeidung von Berufsrechtsverstößen ergriffen werden. Risikomanagement ist demnach eine grundlegende Pflicht in jeder Anwaltskanzlei, vgl. dazu auch § 59e Abs. 2 BRAO.

Risikomanagement – Bewusstsein schaffen und Standards einführen

Risikomanagement begleitet die Anwaltschaft schon seit einigen Jahren. Schon 2018 stand der Anwaltstag unter dem Motto „Fehlerkultur in der Rechtspflege“. Ziel war es u. a., die Anwaltschaft für Fehler zu sensibilisieren, da kaum ein Berufsstand mit derart gravierenden Folgen für Berufsfehler zu rechnen hat. Vor diesem Hintergrund bedeutet Risikomanagement in der Kanzlei vor allem, Fehler und Verstöße präventiv zu vermeiden. Aufgrund der finanziellen und berufsrechtlichen Folgen reicht es allerdings nicht aus, Fehler aufzuarbeiten. Aus der Aufarbeitung müssen auch Schlüsse gezogen werden, damit sich Strukturen bilden, die Fehler vermeiden. Dies betrifft einerseits berufsrechtliche Fehler, die durch falsche Abläufe in der Kanzlei eintreten können (z. B. fehlende Prüfung einer Interessenkollision und Tätigkeitsverbote). Andererseits müssen auch Fehler in den Arbeitsergebnissen vermieden werden. Wie in anderen Bereichen auch, lassen sich Risiken grundsätzlich minimieren, indem Vorgänge standardisiert werden. So sollten Sachbearbeitern und Büropersonal klare Schritte vorgegeben werden, sodass sich ihre Vorgänge wiederholen, somit verfestigen und sich schließlich die Ablaufsicherheit erhöht. Doch dafür müssen zuerst einmal die möglichen Gefahren erfasst und bewertet werden.

Was meint „Risikomanagement“?

Risikomanagement lässt sich in 4 Phasen einteilen:

  • Risikoanalyse,
  • Risikobewertung,
  • Risikosteuerung und
  • Risikoüberwachung.

Diese Begriffe sind für Anwälte nicht nur nach BRAO und BORA relevant. Das Geldwäschegesetz („GwG“), nach dem Anwälte persönlich verpflichtet sind, spricht von Risikoanalyse, § 5 GwG, und Risikomanagement, § 4 GwG.

Eine Risikoanalyse für Kanzleien – egal ob berufsrechtlich oder im Rahmen des GwG – setzt zunächst voraus, abstrakt zu ermitteln, welchen Gefahren die eigene Kanzlei ausgesetzt ist. Dazu ist es sinnvoll, darzustellen, wie die typischen Mandanten und die typischen Mandate der Kanzlei aussehen:

  • Welche Rechtsgebiete werden typischerweise bearbeitet?
  • Welche Dienstleistungen erwarten die Mandanten in der Regel?

Mithilfe dieser beiden Fragen lassen sich direkt erste Rückschlüsse ziehen. Beispielsweise darüber, wie der Prozess zur Erfüllung der Geldwäscheprüfung auszusehen hat, da klar ist, ob eine Verpflichtung zur Prüfung besteht und welche Sorgfaltspflichten regelmäßig anzusetzen sind, vgl. §§ 10, 14, 15 GwG. Andererseits lässt sich so die Gefahr von Interessenkollisionen überblicken, vor allem, wenn man Ehepaare betreut oder Gesellschaften und ihre Gesellschafter, sodass die gemeinsamen Interessen der Mandanten sich schneller in widerstreitende Interessen umkehren können. Mit der Risikoanalyse geht die Frage einher, welche Folgen sich durch die erfassten Risiken manifestieren können. Sind Risiken und Folgen bestimmt, werden sie im Rahmen der Risikosteuerung priorisiert und schließlich beurteilt, mit welcher Intensität Maßnahmen zur Risikovermeidung ergriffen werden. Sind die Risiken bekannt und wurden Maßnahmen ergriffen, müssen neue Entwicklungen laufend im Blick behalten werden. Bei Veränderungen muss entsprechend reagiert und das gesamte Risikomanagement regelmäßig angepasst werden.

Interessenkonflikte und ihre Vermeidung sind Risikomanagement

Neben dem formalisierten Risikomanagement im Rahmen des GwG, ist die Vermeidung von Interessenkonflikten ein typischer Anwendungsfall von Risikomanagement in Kanzleien. In § 43a Abs. 4 Satz 1 heißt es:

Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat

Liegt eine Interessenkollision vor, fordert das Berufsrecht nach § 3 Abs. 2 BORA:

Wer erkennt, dass er entgegen § 43a Abs. 4 bis 6 BRAO tätig geworden ist, hat unverzüglich die Mandantschaft zu informieren und alle Mandate in derselben Rechtssache zu beenden

Jede Kanzlei muss vor der Mandatsannahme die Vertretung widerstreitender Interessen prüfen. In der Risikoanalyse geht es deswegen nicht darum, ob das Risiko besteht, sondern ob gerade Mandate betreut werden, die für solche Konstellationen besonders anfällig sind. Es drohen finanzielle Einbußen, da man die Möglichkeit verliert, ggf. lukrative Mandate zu bearbeiten. Zusätzlich besteht im Zusammenhang mit Interessenkollisionen auch immer die Gefahr, des Parteiverrats nach § 356 StGB, was berufsrechtliche Konsequenzen mit sich bringen kann. Damit drohen auf mehreren Ebenen gravierende Konsequenzen, die in jeder Kanzlei zu dem Schluss führen müssen, dass der Eintritt einer Interessenkollision unbedingt zu vermeiden ist. Deswegen ist die Entwicklung einer Risikosteuerung für diesen Bereich besonders wichtig. Es empfiehlt sich, Abläufe zu standardisieren und in die Mandatsannahmeprozesse einzubinden. Notwendige Schritte sind:

  • Erfassung der Parteien,
  • Erfassung der Beteiligten,
  • Erfassung von Beteiligten, Gesellschaften und Gesellschaftern.

Die namentliche Erfassung beteiligter natürlicher und juristischer Personen, ermöglicht den Abgleich mit den bisherigen Mandaten, ob gleichnamige Personen bereits beraten oder vertreten wurden. Kommt es zu Übereinstimmungen mit vorhandenen Mandaten, ist die (rechtliche) Prüfung vorzunehmen, ob widerstreitende Interessen vorliegen. Die Prüfung sollte wegen ihrer Tragweite von einem anwaltlichen Berufsträger durchgeführt werden. Um Mandate mit Konfliktpotenzial schneller zu erkennen, bietet es sich an, Akten mit Vermerken zu versehen, zu welchem Thema beraten wurde. Da ein Interessenkonflikt auch gerade nicht durch Zeitablauf ausgeschlossen werden kann, Bearbeiter wechseln und neue hinzukommen, kann das Risiko nur durch saubere Aktenanlage eingegrenzt werden. Auch bei Mandaten, die grundsätzlich keine besondere Gefahr eines Konflikts in sich tragen, sollte dieser Prozess unbedingt durchgeführt werden. Zum Beispiel bei Erstellung eines Rechtsgutachtens, denn wie sich ein Mandat entwickelt, ist einerseits schwer vorherzusagen, andererseits können aus allen Mandaten grundsätzlich Informationen gewonnen werden, die zum Vorliegen weiterer Tätigkeitsverbote führen können, vgl. § 43a Abs. 6 BRAO.

Werden widerstreitende Interessen identifiziert, muss das entsprechende Mandat abgelehnt werden. Im Einzelfall kann geprüft werden, ob eine Einwilligung und Aufklärung der betroffenen Mandanten eine Bearbeitung ermöglicht. In Zweifelsfällen mit Unsicherheiten sollte im Sinne der vorangegangenen Risikobewertung auf eine Mandatsaufnahme verzichtet werden.

Die Mandatsannahme und saubere Aktenanlage allein reichen aber für ein umfassendes Risikomanagement nicht aus. Entscheidend ist die fortlaufende Überwachung von Mandaten:

  • Kommen neue Beteiligte hinzu?
  • Ändern sich Namen, Gesellschafter usw.?

Nur wenn auch diese Punkte aktualisiert werden, können die Sicherungsmaßnahmen im Rahmen des Mandatsannahmeprozesses überhaupt greifen.

Gefahren sind nicht immer offensichtlich

Das Geldwäschegesetz und die Interessenkollision sind 2 typische Bereiche, in denen schon das Gesetz ein Risikomanagement voraussetzt. Doch auch andere Bereiche sind risikoträchtig:

  • Verwaltung von Mandantengeldern und Anderkonten,
  • Zusammenarbeit mit mandatsbezogenen Dienstleistern (Dolmetscher oder Gutachter),
  • Spontananfragen von Mandanten (Informationen bei Durchsuchungen) u. v. m.

Ein gutes Risikomanagement in der Kanzlei zielt darauf ab, die Mitarbeiter zu sensibilisieren und ihnen klare Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben. Neue Mitarbeiter und Kollegen, gerade wenn sie keine oder nur wenig Berufserfahrung haben, kennen viele Abläufe nicht. Sie müssen aber wissen, wie Mandanten im Falle von Durchsuchungen ad hoc zu beraten sind. Sie müssen informiert werden, dass der Übersetzer nicht ohne Zustimmung des Mandanten beauftragt werden darf. Die erfahrenen Kollegen müssen durch regelbasierte Verfahren angehalten werden, Risiken weiterhin ernst zu nehmen, damit sich nicht die lapidare Einstellung einschleicht, es werde schon alles gut gehen. Überlegen Sie deshalb mit den Kollegen und Mitarbeitern gemeinsam, welche Schwierigkeiten es gibt und wo Unsicherheiten bestehen. Dann wird aus dem Risikomanagement kein unnötiger bürokratischer Aufwand, sondern eine echte Arbeitshilfe, die mit der Zeit die Qualität steigert und durch die Verringerung von Abstimmungen und Nachfragen die Effektivität des anwaltlichen Unternehmens fördert.