BVerwG zum Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende

Rechtssicherheit für Alleinerziehende: Bei mehr als 60 % Betreuungsleistung gilt ein Elternteil als alleinerziehend und hat damit Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, falls der Unterhaltspflichtige nicht leistet.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in einer aktuellen Grundsatzentscheidung eine klare quantitative Grenze für die Anspruchsvoraussetzungen von Alleinerziehenden auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) gezogen. Die Entscheidung schafft in wünschenswerter Weise Rechtssicherheit für die Fälle, in denen beide Elternteile in unterschiedlichem Umfang Betreuungsleistungen erbringen.

Jugendamt lehnte Zahlung von Unterhaltsvorschuss ab

Die Klägerin hatte den Träger des Jugendamtes auf Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen für ihre beiden 7-jährigen Zwillingstöchter verklagt. Der Kindesvater war seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen, sodass die bedürftige Klägerin Leistungen der Unterhaltsvorschusskasse in Anspruch nehmen wollte. Die Beklagte lehnte die beantragten Vorschussleistungen ab. Begründung: Die Kindesmutter betreue ihre Kinder zwar überwiegend, jedoch lebten die Kinder aufgrund einer zuvor getroffenen familiengerichtlichen Vereinbarung während der Schulzeit zeitweise beim Vater. Dadurch werde die Kindesmutter so erheblich entlastet, dass ein Anspruch auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss ausgeschlossen sei.

Sinn und Zweck des UVG für Gesetzesauslegung entscheidend

Sowohl das von der Mutter angerufene VG als auch in der Berufungsinstanz das OVG verneinten einen Anspruch der Mutter auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss. Das BVerwG hat nun anders entschieden. Für die Beurteilung des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss ist nach dem Urteil des BVerwG entscheidend auf den Sinn und Zweck der Unterhaltsvorschussregelung abzustellen.

Unterhaltsvorschuss soll Alleinerziehende entlasten

Gemäß § 1 UVG sei der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss als nicht vom Einkommen des Unterhaltsverpflichteten abhängige Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts von Kindern bis zum 12. Lebensjahr ausgestaltet. Der Anspruch auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss komme immer dann zum Zuge, wenn der Unterhaltspflichtige seiner Unterhaltspflicht nicht oder nicht vollständig nachkommt. Damit knüpfe die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck an die finanziell prekäre Situation von Alleinerziehenden an, wenn der andere Elternteil seine Pflicht zur Zahlung von Unterhalt verletzt. In diesen Fällen sei der Alleinerziehende, der im Wesentlichen die Pflege und Erziehung des Kindes übernommen hat, besonders belastet.

Anspruch auf Unterhaltsvorschuss kann bei Mitbetreuung entfallen

Das BVerwG hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass eine prekäre Lage des alleinerziehenden Elternteils auch dann vorliegen kann, wenn der andere Elternteil ebenfalls Betreuungsleistungen erbringt. Der Anspruch auf Zahlung von Unterhaltsvorschuss könne nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung in diesen Fällen allerdings entfallen, wenn die durch die Mitbetreuung entstehende Entlastung des überwiegend betreuenden Elternteils so stark sei, dass die vom Gesetz vorausgesetzte prekäre Situation des alleinerziehenden Elternteils nicht mehr gegeben ist.

Präzise zeitliche Grenzziehung durch das Gericht

Das BVerwG hat in wünschenswerter Weise für diese Fälle der Mitbetreuung nun eine klare quantitative Grenzlinie gezogen:

  • Wenn der Betreuungsanteil des mitbetreuenden Elternteils 40 % erreicht oder überschreitet, ist nach Auffassung des Gerichts der Entlastungseffekt für den anderen Elternteil so groß, dass es eines Unterhaltsvorschusses nicht mehr bedarf.
  • Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität dieser Grenzziehung seien in diesen Fällen typisierend ausschließlich die tatsächlichen Betreuungszeiten zu ermitteln, also die Zeiten, die das Kind in der Obhut des einen oder des anderen Elternteils verbringt,
  • und zwar ohne Wertung oder Gewichtung der einzelnen Betreuungsleistungen.
  • Wechsle die Betreuungsperson tageweise, komme es darauf an, bei wem das Kind sich zum Tagesbeginn aufhält.
  • Diesbezüglich von den Kindeseltern getroffenen Umgangsvereinbarungen komme lediglich eine indizielle Bedeutung zu.

OVG muss erneut entscheiden

Das BVerwG bemängelte, dass die Vorinstanz im konkreten Fall keine näheren Feststellungen zu den tatsächlichen Betreuungszeiten sowie zu den vom Kindesvater erbrachten Unterhaltsleistungen getroffen habe. Das Gericht habe zwar den zeitlichen Betreuungsanteil des Vaters mit 36 % errechnet, dies aber nicht hinreichend detailliert begründet. Das BVerwG hat daher die Sache zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an das OVG zurückverwiesen.

(BVerwG, Urteil v. 12.12.2023, 5 C 9.22)