Leitsatz

Der Tatbestand des § 370a AO ist nicht hinreichend bestimmt. Es bestehen daher erhebliche Bedenken an seiner Verfassungsmäßigkeit.

 

Sachverhalt

Das LG hatte den Angeklagten wegen einer Vielzahl von Steuerhinterziehungen verurteilt und dabei in einem Fall die Verwirklichung des § 370a AO angenommen. Der BGH beschränkte die Verurteilung insoweit auf die Anwendung des Grundtatbestandes des § 370 AO.

 

Entscheidung

Der BGH ist der Auffassung, dass § 370a AO[1] nicht verfassungskonform ausgelegt werden kann. Zwar hat der Senat letztlich keine Bedenken gegen die Verwendung der Begriffe "Gewerbsmäßigkeit" bzw. "bandenmäßige Begehung"[2]. Das Verbrechensmerkmal der Steuerverkürzung "in großem Ausmaß" erscheint ihm indes im Hinblick auf die verfassungsrechtlich strikt gebotene Konkretisierung von Straftatbeständen[3] nicht ausreichend bestimmt. Es lässt sich nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, welche Anknüpfungspunkte maßgeblich sein sollen und ob es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt oder ob bei einer Vielzahl von Hinterziehungstaten – wie etwa bei der monatlich anzumeldenden Lohnsteuer – eine Gesamtbetrachtung des Tatbilds entscheidend sein soll. Der Steuerpflichtige kann nach Meinung des Gerichts daher die Tragweite und den Anwendungsbereich des Tatbestands weder ermitteln noch konkretisieren[4]. Eine solche Sachlage widerspricht aber der Verfassungsauslegung durch das BVerfG. Dieses verlangt, dass eine Strafnorm um so präziser sein muss, je schwerer die angedrohte Strafe ist. Die Nachbesserung eines (zu) unbestimmten Gesetzes ist dem Strafrichter versagt[5]. Die derzeitige Fassung des § 370a AO überlässt die Auslegung des Begriffs "großes Ausmaß" aber dem jeweiligen Rechtsanwender. Er ist gezwungen, die Grenze zum Verbrechenstatbestand je nach seinem wirtschaftlichen Vorverständnis und dem von ihm herangezogenen rechtlichen Anknüpfungspunkt bei einem "gegriffenen" Hinterziehungsbetrag zu ziehen. Das Gesetz selbst gibt ihm hierzu keine weiteren Leitlinien an die Hand.

 

Praxishinweis

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 370a AO ist seit seinem In-Kraft-Treten heftig umstritten[6]. Letztlich wird erst eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG Klarheit über die Verfassungskonformität der Norm schaffen können. Es ist unter diesem Aspekt zu bedauern, dass der BGH im vorliegenden Fall lediglich den Weg der Teileinstellung[7] gewählt hat, um seine Kritik in beiläufigen Ausführungen deutlich zu machen, die die Entscheidung letztlich nicht tragen. Die intensive Diskussion um den Tatbestand wird nach diesem BGH-Beschluss jedenfalls noch stärker werden.

 

Link zur Entscheidung

BGH-Beschluss vom 22.7.2004, 5 StR 85/04

[1] Hierzu ausführlich Weyand, Beratungswissen zu § 370a AO, zu § 261 StGB und zum Geldwäschegesetz, INF 2003, S. 115
[5] Vgl. ebenda
[6] Vgl. nur die Nachweise bei Weyand, a.a.O. (Fn. 1); ebenfalls sehr kritisch: Harms, § 370a AO – Optimierung des steuerstrafrechtlichen Sanktionssystems oder gesetzgeberischer Fehlgriff?, Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag, Köln 2003, S. 413; Oberloskamp, Verfassungswidrigkeit des § 370a AO, AO-StB 2004, S. 114; Hunsmann, Die Tatbestandmerkmale des § 370a AO, DStR 2004, S. 1154; Schmitz, Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung – die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung, StB 2004, S. 212
[7] Nach § 154a StPO

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