"… 1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das LG der Klage hinsichtlich der Hauptforderung wegen eines Betrags von 4.750,66 EUR stattgegeben. (…)"

a) Zunächst begegnet die Ansicht des LG keinen Bedenken, dass in zweierlei Hinsicht eine Obliegenheitsverletzung des Rechtsvorgängers der Kl. vorliegt.

aa) Eine solche liegt zum einen darin, dass der Rechtsvorgänger der Kl. sich vom Unfallort entfernt und dadurch gegen die Klausel E.1.6 der hier maßgeblichen AKB 2008 verstoßen hat. Danach darf der VN den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Es kann hier dahinstehen, ob die genannte Klausel eine über die Pflicht aus § 142 StGB hinausgehende Pflicht statuiert oder – wofür viel sprechen dürfte – aus Sicht eines durchschnittlichen VN nur die sich aus § 142 StGB ergebenden strafrechtlichen Pflichten als Obliegenheit in das versicherungsrechtliche Vertragsverhältnis übernimmt (vgl. dazu Senat VersR 2016, 1365; OLG Saarbrücken VersR 2016, 1368). Denn auch unter Zugrundelegung der letztgenannten Auffassung liegt in objektiver Hinsicht eine Obliegenheitsverletzung selbst nach dem eigenen Vortrag der Kl. jedenfalls vor.

Sie behauptet, ihr Rechtsvorgänger habe eine halbe Stunde am Unfallort gewartet, bevor er sich entfernt habe. Damit hat er aber seiner Wartepflicht aus § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht genügt. Wie weit diese Wartepflicht reicht, ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Vorliegend ereignete sich der Unfall etwa zur Mittagszeit, und er war nach dem eigenen Vorbringen des Kl. von einer Nachbarin beobachtet worden. Nach alledem war mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen durchaus zu rechnen. Angesichts dessen genügte es nicht, lediglich eine halbe Stunde zuzuwarten, was unter anderen Umständen – etwa bei einem nächtlichen Unfall – im Einzelfall anders sein mag. (…)

bb) Zu Recht hat das LG des Weiteren ausgeführt, dass ein Verstoß gegen die Regelung E.1.6 AKB 2008 zudem darin liegt, dass der Rechtsvorgänger der Kl. die Schadensanzeige unvollständig ausgefüllt hat. Die Nichtbeantwortung einzelner Fragen in einem Schadensberichtsvordruck stellt eine Obliegenheitsverletzung dar (…).

b) Zu Recht ist das LG indes davon ausgegangen, dass keine der beiden Obliegenheitsverletzungen gem.E.8.1 AKB 2008 zur Leistungsfreiheit geführt hat.

aa) Zwar hat der Rechtsvorgänger der Kl. beide Obliegenheitsverletzungen vorsätzlich begangen, wie das LG zutreffend ausgeführt hat.

bb) Die Leistungsfreiheit der Bekl. entfällt jedoch wegen der Regelung in E.8.2 S. 1 AKB 2008. Danach ist der VR zur Leistung verpflichtet, soweit der VN nachweist, dass die Pflichtverletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich war. Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass dieser Kausalitätsgegenbeweis bei der Verletzung von Anzeige- und Aufklärungspflichten erst dann erbracht ist, wenn sicher ist, dass dem VR auch keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Bleibt dies unklar und in der Schwebe, ist der VN beweisfällig (OLG Naumburg VersR 2013, 178).

Allerdings schadet nicht schon eine generelle Gefährdung der Interessen des VR, sondern es ist auf die konkrete Kausalität abzustellen. Entscheidend ist, ob der VN den Nachweis erbringt, dass die Feststellung im Ergebnis keinesfalls anders (also für den VR günstiger) ausgefallen wäre.

Danach gilt hier Folgendes:

(1) Die in der unvollständigen Ausfüllung des Anzeigeformulars liegende Pflichtverletzung ist folgenlos geblieben und hat zu keinen Feststellungsnachteilen der Bekl. geführt. Denn die Bekl. hat auf anderem Wege ohnehin Kenntnis davon erlangt, dass der Rechtsvorgänger der Kl. eine Straftat nach § 142 Abs. 1 StGB begangen hat, und ebenso hat sie erfahren, dass bei dem Unfall dennoch die Polizei hinzugezogen wurde, die den Kl. kurz nach dem Unfall auch als Unfallverursacher ausfindig gemacht hat. Die Kausalität einer Verletzung der Aufklärungspflicht fehlt aber, wenn dem VR die fraglichen Informationen ohnehin verfügbar waren (Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn 257; KG Berlin VersR 2011, 789).

(2) Aber auch hinsichtlich der Obliegenheitsverletzung durch das vorzeitige Verlassen des Unfallortes seitens des Rechtsvorgängers der Kl. hat die Kl. den ihr obliegenden Kausalitätsgegenbeweis geführt. Feststellungsnachteile der Bekl. können nicht entstanden sein, soweit es die Frage der schuldhaften Unfallverursachung als solche betrifft, denn diese ist vom Rechtsvorgänger der Kl. sogleich eingeräumt worden, nachdem ihn die Polizei aufgesucht hatte. Auch Nachteile hinsichtlich einer etwaigen Haftungsquote konnten für die Bekl. nicht entstehen, da der Unfall für die andere Unfallbeteiligte – deren Fahrzeug im Unfallzeitpunkt geparkt war – ersichtlich unabwendbar i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG war.

Soweit sich die Bekl. darauf beruft, ihr seien – jedenfalls nicht ausschließbar – möglicherweise Feststellungsnachteile erwachsen, weil auf...

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