Leitsatz (amtlich)

Der Kausalitätsgegenbeweis gem. § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG n.F. ist bei einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gemäß E. 1.3. AKB durch Falschangaben des Versicherungsnehmers zur Laufleistung des gestohlenen Fahrzeugs dann geführt, wenn der Versicherer im Zeitpunkt seiner Entscheidung das Ergebnis der Schlüsselauslesung kannte und damit die Auswirkung der höheren Fahrleistung - Herabsetzung des Wiederbeschaffungswertes - ohne weiteres berücksichtigen konnte.

 

Normenkette

VVG n.F. § 28 Abs. 3 S. 1; AKB E.1.3

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 24.08.2010; Aktenzeichen 43 O 145/10)

 

Gründe

1. Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, ihre Berufung vom 16.9.2010 gegen das am 24.8.2010 verkündete und am 30.8.2010 zugestellte Urteil der Zivilkammer 43 des LG Berlin gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat nach Vorberatung einstimmig der Auffassung ist, dass das Rechtsmittel in der Sache keinen Erfolg hat (Nr. 1), der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt (Nr. 2) und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern (Nr. 3).

Zu Recht hat das LG die Beklagte zur Zahlung von 40.336,13 EUR (Wiederbeschaffungswert des Pkw BMW X 5 ohne Mehrwertsteuer) verurteilt.

Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung. Die Berufung der Beklagten, die diese Entscheidung ohnehin nur angreift, soweit das Ausgangsgericht eine Leistungsfreiheit der Beklagten gem. § 28 Abs. 2 VVG wegen der Obliegenheitsverletzung des Geschäftsführers der Klägerin im Hinblick auf § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG verneint hat, lässt weder Rechtsfehler erkennen noch gibt sie konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen könnten (§§ 513, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind vorliegend die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt, so dass abweichend von § 28 Abs. 2 VVG eine Leistungsfreiheit wegen der festgestellten Verletzung der Aufklärungsobliegenheit - Angabe einer deutlich zu niedrigen Laufleistung im Fragebogen der Beklagten - tatsächlich nicht in Betracht kam. Nach dem vorgetragenen Akteninhalt war diese Falschangabe letztlich weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich, da der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (Ablehnungsschreiben vom 15.2.2010) das Ergebnis der Schlüsselauslesung (Gutachten W. vom 8.12.2009) bereits bekannt war und sie damit die Auswirkung der höheren Fahrleistung - Herabsetzung des Wiederbeschaffungswertes - ohne weiteres berücksichtigen konnte.

Soweit die Beklagte meint, die Annahme des LG, der Kausalitätsgegenbeweis sei geführt, wenn - wie vorliegend - der Versicherer den "wahren Sachverhalt" noch rechtzeitig vor seiner Entscheidung erfahre oder sich die erforderlichen Erkenntnisse anderweitig verschaffen könne", verkehre die Aufklärungsobliegenheit in ihr Gegenteil und verwandele sie in ein Recht zur Lüge, vermag der Senat ihr nicht zu folgen.

Die Ausführungen des Ausgangsgerichts entsprechen im Hinblick auf das vorliegend anwendbare VVG 2008 vielmehr der geltenden Rechtslage. Mit der Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls wesentlich geändert. Unter der Geltung des § 6 Abs. 3 VVG a.F. war der Versicherer im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung seitens des Versicherungsnehmers regelmäßig von seiner Verpflichtung zur Leistung frei, selbst wenn die Verletzung im konkreten Einzelfall für den Versicherer folgenlos geblieben war, es sei denn, die Verletzung der Obliegenheit war als solche schon generell abstrakt nicht geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden oder den Versicherungsnehmer traf subjektiv kein schweres Verschulden (st. Rspr. des BGH, vgl. Urt. v. 7.7.2004 - IV ZR 265/03, VersR 2004, 1117, sog. Relevanzrechtsprechung). Diese Rechtsprechung beruhte auf der Erwägung, die völlige Leistungsfreiheit des Versicherers und damit das Alles-oder-Nichts-Prinzip sei bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen, die folgenlos geblieben sind, eine zu harte "Strafe" für den Versicherungsnehmer, weil er - anders als bei grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen - den gesamten Versicherungsschutz in jedem Falle ohne Rücksicht darauf verlieren sollte, ob sein Verhalten überhaupt Nachteile für den Versicherer verursacht hat; das Alles-oder-Nichts-Prinzip wurde daher mit Rücksicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben und der Verhältnismäßigkeit sowie die Gebote der materiellen Gerechtigkeit abgemildert (BGH VersR 1982, 742; Römer, in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rz. 53).

Nach dem eindeutigen Wortlaut der...

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