BGB § 253 Abs. 2 § 254 Abs. 2 S. 1 § 923 Abs. 1 § 823 Abs. 1

Leitsatz

Zur Haftung des Schädigers für psychische Beeinträchtigungen, wenn der Geschädigte es unterlässt, sich einer (weiteren) Behandlung zu unterziehen.

BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14

Sachverhalt

Die Kl. wurde am 29.9.2005 von Nachbarn herbeigerufen, nachdem ihr fast 4-jähriger Sohn beim Spielen auf die Straße gelaufen und dort von dem bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Pkw des Bekl. zu 1) erfasst worden war. Sie fand ihren Sohn mit einer erheblich dislozierten Oberschenkelfrakturund einer Platzwunde am Hinterkopf vor. Sie führt an, als Reaktion hierauf habe sich bei ihr ein posttraumatisches Belastungssyndrom entwickelt, das sich in Magersucht, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule äußere und dazu geführt habe, dass sie den Haushalt nicht mehr führen könne.

Das LG hat die auf den Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gerichtete Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Das BG hat nach Einholung eines weiteren Gutachtens der Klage teilweise stattgegeben. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt die Kl. – mit Abstrichen zur Höhe des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens – ihren Klageantrag weiter. Die Bekl. verfolgen mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Revision und Anschlussrevision führten zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das BG.

2 Aus den Gründen:

[5] "… 1. Revision der Kl."

[6] a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, dass das BG bei der Bemessung des Schmerzensgeldes allein die durch den Unfall verursachte Magersucht – und diese nur bis Ende 2007 – berücksichtigt hat und nicht auch die übrigen von der Kl. geltend gemachten Beeinträchtigungen, weil diese nicht über das hinausgingen, was Nahestehende von Unfallopfern in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erlitten, und deshalb unter dem Aspekt eines “Schockschadens‘ nicht ersatzfähig seien.

[7] aa) Die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach ist grds. Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält (st. Rspr.; vgl. Senatsurt. v. 11.12.1973 – VI ZR 189/72, VersR 1974, 489, 490; v. 19.9.1995 – VI ZR 226/94, VersR 1996, 380), insb. ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl. Senatsurt. v. 12.5.1998 – VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388, 391; v. 24.5.1988 – VI ZR 159/87, VersR 1988, 943; v. 15.1.1991 – VI ZR 163/90, VersR 1991, 350, 351; v. 12.7.2005 – VI ZR 83/04, VersR 2005, 1559, 1562 [insoweit in BGHZ 163, 351 nicht abgedruckt] und v. 17.11.2009 – VI ZR 64/08, VersR 2010, 268 Rn 16).

[8] bb) Für die Revision ist zugunsten der Kl. zu unterstellen, dass bei ihr, wie vom BG festgestellt, aufgrund des Erlebnisses der Unfallverletzungen ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten ist, als dessen Folge sich eine Magersucht entwickelt hat. Auf dieser Grundlage lässt das Berufungsurteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Kl. erkennen. Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers (Senatsurt. v. 12.7.2005 – VI ZR 83/04, a.a.O.). Diese Gesichtspunkte hat das BG beachtet und hinreichend gewürdigt.

[9] Entgegen der Auffassung der Revision sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen psychischer Folgen solche Umstände, die für sich allein genommen nicht die Tatbestandsmerkmale des Schadensersatzanspruchs erfüllen, nicht zu berücksichtigen. Nach der Rspr. des erkennenden Senats können psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz beim Tod oder bei schweren Verletzungen naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, nur dann als Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung von dem Unfall eines nahen Angehörigen oder dem Miterleben eines solchen Unfalls erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (vgl. Senatsurt. v. 13.1.1976 – VI ZR 58/74, VersR 1976, 539, 540; v. 31.1.1984 – VI ZR 56/82, VersR 1984, 439; v. 4.4.1989 – VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854; v. 6.2.2007 – VI ZR 55/06, VersR 2007, 803 Rn 6, 10; v. 20.3.2012 – VI ZR 114/11, VersR 2012, 634 Rn 8 und v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, zVb; ablehnend: Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 249 Rn 46; MüKo-BGB/Oetker, 6. Aufl., § 249 Rn 148, 151; MüKo-BGB/Wagner, 6. Aufl., § 823 Rn 144, jeweils m.w.N.). Ist das nicht der Fall, fehlt es mithin insoweit an...

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