Leitsatz (amtlich)

›Verschlimmert sich die Alkoholabhängigkeit einer Frau nach dem Unfalltod ihres Ehemannes nur deshalb, weil dieser nicht mehr stabilisierend auf sie einwirken kann, dann steht ihr wegen der durch den Alkoholmißbrauch eintretenden Gesundheitsschädigungen kein Schadensersatzanspruch gegen den Verursacher des Unfalles zu.‹

 

Verfahrensgang

LG Mainz

OLG Koblenz

 

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin wurde am 23. März 1973 von einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW angefahren und tödlich verletzt. Unter den Parteien ist außer Streit, daß der Fahrer des Wagens den Tod schuldhaft verursacht hat.

Bei der Klägerin stellte sich nach dem Unfall ein Alkoholmißbrauch ein, der zu einer Entziehungsbehandlung führte.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei durch den Tod ihres Ehemannes in einen Zustand tiefer Depression geraten. Die schweren seelischen Störungen hätten zu dem Alkoholmißbrauch geführt. Dadurch sei sie völlig erwerbsunfähig geworden. Sie hat deshalb von der Beklagten Schadensersatz wegen Erwerbsunfähigkeit und ein Schmerzensgeld verlangt sowie die Feststellung der künftigen Ersatzpflicht der Beklagten begehrt. Das Landgericht hat der Klägerin durch Teilurteil ein Schmerzensgeld von 5.000 DM zugesprochen und die Feststellung getroffen, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin alle materiellen Schäden, die durch die Tötung des Ehemannes und durch ihren anschließenden Alkoholmißbrauch nach dem 8. Februar 1980 noch verursacht werden, zu ersetzen. Im übrigen hat es den Feststellungsantrag für unzulässig gehalten. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin ein Schmerzensgeld und die Feststellung begehrt hat, die Beklagte solle auch die durch die Alkoholsucht entstehenden Schäden ersetzen. Den Feststellungsantrag hat das Oberlandesgericht jedoch insgesamt für zulässig gehalten.

Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihre früheren Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht gewinnt aufgrund der im ersten Rechtszug eingeholten ärztlichen Gutachten und der Vernehmung der Zeugen St. und K. die Überzeugung, bei der Klägerin habe keine echte, durch die Unfallnachricht ausgelöste Gesundheitsstörung vorgelegen. Eine Alkoholkrankheit habe bei ihr bereits vor dem Unfall bestanden. Diese habe sich in der Vorform einer psychischen Abhängigkeit und Gewöhnung bereits in den letzten Jahren vor dem Tode des Ehemannes angebahnt.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, eine durch den Unfalltod des Ehemannes hervorgerufene Akzentuierung der Suchtkrankheit rechtfertige nicht die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes. Die Beklagte hafte auch nicht für den durch den Alkoholismus der Klägerin entstandenen materiellen Schaden.

II. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis den Rügen der Revision stand.

1. Das Berufungsgericht verkennt nicht, daß Gesundheitsbeeinträchtigungen auch psychisch vermittelt werden können, etwa - wie hier - durch die Nachricht vom Tode eines nahen Angehörigen, und daß in einem solchen Fall dem Betroffenen als unmittelbar Geschädigtem Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger aus § 823 Abs. 1 BGB zustehen können (RGZ 133, 270, 272; BGHZ 56, 163, 168; Senatsurteil vom 13. Januar 1976 - VI ZR 58/74 - VersR 1976, 539, 540; vgl. auch E. Schmidt, MDR 1971, 538, 539).

2. Rechtsfehlerfrei kommt das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis, die seelische Erschütterung, welche die Klägerin durch die Nachricht vom Unfalltod ihres Ehemannes erlitten hat, sei keine nach § 823 Abs. 1 BGB auszugleichende Gesundheitsbeschädigung.

a) Das Berufungsgericht folgt damit - insoweit von der Revision noch unbeanstandet - der Rechtsprechung des erkennenden Senats, wonach eine haftungsauslösende Gesundheitsverletzung nicht schon dann vorliegt, wenn ein starkes negatives Erlebnis bei dem Betroffenen physiologische Abläufe und seelische Funktionen in sehr empfindlicher Weise stört, sondern erst dann, wenn die psychisch vermittelten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowohl nach medizinischer Sicht als auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden (BGHZ 56, 163, 165). Mit der verbindlichen Entscheidung des Gesetzgebers, der bewußt Ansprüche für Schäden durch zugefügten seelischen Schmerz versagt, wäre es unvereinbar, gesundheitliche Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzungen anzuerkennen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (vgl. auch Steffen in RGRK-BGB, 12. Aufl., § 823 Rdn. 11; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdn. 58; im Ergebnis übereinstimmend auch MünchKomm-Mertens, BGB, § 823, Rdn. 58).

b) Aber auch darin, daß das Berufungsgericht die seelische Erschütterung der Klägerin nach der Todesnachricht, die zu einer tiefen depressiven Verstimmung führte, nicht als Gesundheitsbeschädigung im vorerwähnten Sinne gewertet hat, liegt kein Rechtsfehler. Zu diesem Ergebnis konnte das Berufungsgericht rechtlich unbedenklich aufgrund der vorliegenden Gutachten und der Vernehmung der Zeugen St. und K. kommen. Auch die Revision wendet sich dagegen im Grunde nicht. Sie meint offenbar nur, die Depression der Klägerin habe zu der Alkoholkrankheit geführt, so daß diese dem schädigenden Ereignis zuzurechnen sei.

3. Im Ergebnis mit Recht versagt das Berufungsgericht der Klägerin aber auch Schadensersatzansprüche wegen der nach dem Unfalltod ihres Mannes zunehmend in Erscheinung getretenen Trunksucht.

a) Für die Entscheidung des Streitfalles mag es dahinstehen, ob es überhaupt Fälle geben kann, in denen einem Unfallschädiger die Suchtkrankheit eines Angehörigen des unmittelbaren Unfallopfers zugerechnet werden kann, etwa dann, wenn der Angehörige, wie die Revisionserwiderung erwägt, einen derartigen Schock erlitten hat, der notwendigerweise zum Alkoholmißbrauch führen mußte, und wenn es ihm nicht möglich war, die Trunksucht zu bekämpfen.

b) Im Streitfalle konnte die Alkoholkrankheit der Klägerin jedoch keinen Schadensersatzanspruch begründen.

aa) Das Berufungsgericht vermag keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfalltod des Ehemannes und der Suchtkrankheit festzustellen. Es folgt - unbeanstandet von der Klägerin - den Äußerungen der gerichtlichen Sachverständigen, der Professoren G. und K., bei der Klägerin habe bereits vor dem Unfall eine Alkoholkrankheit von gewissem Krankheitswert bestanden, und zwar in der Vorform einer psychischen Abhängigkeit und Gewöhnung, und geht davon aus, eine Alkoholkrankheit entwickele sich über einzelne Vorstufen schrittweise während einer längeren Zeitspanne. Schon diese Umstände konnten mit Recht bei dem Berufungsgericht Zweifel daran aufkommen lassen, ob der Ehemann der Klägerin, wäre er nicht getötet worden, auf die Klägerin eine derart stabilisierende Wirkung ausgeübt hätte, daß die Alkoholkrankheit nicht zu weiteren Schädigungen geführt hätte.

bb) Die Alkoholkrankheit der Klägerin rechtfertigt jedenfalls schon deshalb keine Schadensersatzansprüche, weil die Klägerin insoweit, als sie infolge der Krankheit und auch deren Akzentuierung nach dem Unfalltod ihres Mannes weitere Gesundheitsschädigungen erlitten hat, keinesfalls unmittelbar durch den Versicherungsnehmer der Beklagten geschädigt wurde. Litt sie bereits vorher an dieser Krankheit, dann ist sie insofern nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen allenfalls mittelbar dadurch geschädigt, daß ihr Ehemann nicht mehr stabilisierend auf sie gewirkt und damit nicht verhindert hat, daß sie aufgrund ihrer Alkoholabhängigkeit in einen Zustand geraten ist, wie er im Jahre 1974 eintrat. Mittelbare Schäden sind aber, abgesehen von der Sonderregelung der §§ 844, 845 BGB, nicht ersatzfähig.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992726

NJW 1984, 1405

JZ 1984, 437

MDR 1984, 657

VRS 66, 416

VersR 1984, 439

ZfS 1984, 194

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