[9] “II. Gem. Art. 267 AEUV ist unter Aussetzung des Berufungsverfahrens eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, weil die Entscheidung der Kammer über die form- und fristgerecht eingelegte, mithin zulässige Berufung der Kl. von der Beantwortung der an den Gerichtshof gestellten Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2009/103/EG abhängt.

[10] 1. Die Kammer ist für die Klage gegen das ausländische Versicherungsunternehmen wegen der behaupteten Schäden aus dem Verkehrsunfall international zuständig. Der Geschädigte kann vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den VR des Schädigers erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig und der VR im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist (Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1b EuGVVO; Gerichtshof, Urt. v. 13.12.2007 – C-463/06, Odenbreit Slg. 2007 I-11321-1136; BGH, Urt. v. 7.12.2010 – VI ZR 49/10 – VI ZR 48/10, MDR 2011, 121-121, m.w.N.; Urt. der Kammer v. 9.3.2012 – 13 S 51/11). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Insb. besteht aufgrund der in Art. 18 der Richtlinie 2009/103/EG enthaltenen Verpflichtung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mithin auch in Frankreich, ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers (vgl. Art. 18 Rom-ll-VO, Art. 124-3 Code des Assurances; zur 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie auch BGH, Urt. v. 7.12.2010 a.a.O.; Urt. der Kammer v. 9.3.2012 a.a.O.).

[11] 2. Wenn beide Vorlagefragen zu bejahen wären, hätte die Berufung einen Teilerfolg. Entgegen der angefochtenen Entscheidung wäre die Klage zulässig. Die Begründetheit der Klage hinge dann von der Aufklärung des streitigen Unfallhergangs ab. Wenn eine der Vorlagefragen zu verneinen wäre, wäre die Berufung hingegen unbegründet. Das Erstgericht hätte die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

[12] a) Die Frage, ob die Zustellung der Klage wirksam und die Klage rechtshängig geworden ist, beurteilt sich nach dem deutschen Zivilprozessrecht. Denn das deutsche Recht bestimmt autonom, unter welchen tatsächlichen Umständen eine Auslandszustellung notwendig ist oder ob die Inlandszustellung genügt. Das gilt grds. auch für die Zustellung von den Prozess einleitenden Schriftstücken (BGH, Urt. v. 7.12.2010 a.a.O.; Geimer, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 183 Rn 14, 18 und 21; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009, Rn 2080 m.w.N.).

[13] b) Die Zustellung der Klageschrift an die … Versicherungs AG genügt nach deutschem Recht allen Anforderungen an eine wirksame Zustellung bis auf die Auswahl des richtigen Zustellungsadressaten. Zur wirksamen Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses muss die Klageschrift dem richtigen Zustellungsadressaten zugestellt werden (vgl. etwa BGHZ 61, 308; BGH v. 28.11.2006 – VIII ZB 52/06, MDR 2007, 479 f.; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl. 2011, Vorbem. § 166 Rn 18). Richtiger Zustellungsadressat ist grds. die beklagte Partei. Eine Ausnahme, wonach eine Klageschrift dem Schadensregulierungsbeauftragten als Vertreter des Versicherungsunternehmens mit Wirkung gegen dieses zugestellt werden könnte, enthalten weder die Zivilprozessordnung noch das zur Umsetzung der Richtlinie 2000/26/EG (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie) ergangene Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften v. 10.7.2002 (BGBI. I, S. 2586). Eine Heilung der an den falschen Zustellungsadressaten vorgenommenen Zustellung scheidet nach § 189 ZPO aus, wenn das zuzustellende Dokument – wie hier – dem richtigen Zustellungsadressaten nicht zugegangen ist.

[14] c) Dem deutschen Recht kann eine passive Zustellungsvollmacht des Schadensregulierungsbeauftragten auch nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung entnommen werden. Zwar muss das nationale Gericht seine Auslegung des nationalen Rechts soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der einschlägigen Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. Gerichtshof, Urt. v. 13.11.1990 – C-106/89, Marleasing. Slg. 1990, I-4135; Urt. v. 16.12.1993 – C-334/92, Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911; Urt. v. 14.7.1994 – C-91/92, Paola Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325; Urt. v. 5.10.2004 – C-397/01-403/01, Pfeiffer u.a., Slg. 2004 I-8878; Urt. v. 4.7.2006 – C-212/04, Adeneler u.a., Slg. 2006, I-6057; Urt. v. 22.12.2008 – C-414/07, Magoora, Slg. 2008, I-10921). Auch kennt das deutsche Recht in §§ 170 ff. ZPO Ausnahmen vom Grundsatz der Zustellung an die beklagte Partei. Das deutsche Zivilprozessrecht steht einer sich aus anderen Rechtsquellen ergebenden Zustellungsvollmacht deshalb nicht grds. entgegen. Die gesetzlich geregelten Ausnahmen sind jedoch abschließend und lassen nach ihrer Formulierung keinen Raum für die Einbeziehung des Schadensregulierungsbeauftragten im Wege der richtlinienkonformen Auslegung.

[15] d) Danach wäre die hier zu beurteilende Zustellung nur wirksam, wenn der Regulierungsbeauftragte gem. Art. ...

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