Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit der Zustellung eines Urteils an den als Terminsvertreter anzusehenden Unterbevollmächtigten der Partei

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zustellung eines Urteils an einen lediglich als Terminsvertreter anzusehenden Unterbevollmächtigten ist unwirksam und setzt Rechtsmittelfristen nicht in Lauf.

 

Normenkette

ZPO § 172 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Hof (Beschluss vom 25.04.2006; Aktenzeichen 22 S 8/06)

AG Wunsiedel (Entscheidung vom 13.01.2006; Aktenzeichen 1 C 89/05)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Hof vom 25.4.2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 1.490,37 EUR

 

Gründe

I.

[1] Das Endurteil des AG, mit dem der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 1.490,37 EUR nebst Zinsen zu zahlen, ist der Hauptbevollmächtigten des Beklagten am 23.1.2006 und den Unterbevollmächtigten, die für den Beklagten und dessen Hauptbevollmächtigte die Termine zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme vor dem AG wahrgenommen hatten, am 17.1.2006 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte mit einem am 20.2.2006 eingegangenen Schriftsatz seiner Hauptbevollmächtigten Berufung eingelegt.

[2] Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen und hat zur Begründung ausgeführt: Bei den Unterbevollmächtigten habe es sich nach dem Vorbringen des Beklagten nicht ausschließlich um Terminsvertreter gehandelt. Sie seien daher zur Entgegennahme des ihnen am 17.1.2006 zugestellten Urteils bevollmächtigt gewesen. Die von der Hauptbevollmächtigten am 20.2.2006 eingelegte Berufung sei demnach verspätet.

II.

[3] Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

[4] 1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen und den Beklagten dadurch in seinem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 (LS) = NJW 2004, 367 unter II 1bb m.w.N.). Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

[5] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zu Unrecht gem. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung des Beklagten nicht verspätet, sondern fristgerecht.

[6] Die Zustellung des Urteils an die Unterbevollmächtigten des Beklagten am 17.1.2006 hat die Berufungsfrist nicht in Gang gesetzt. Die Zustellung in einem anhängigen Verfahren hat nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Zustellungen unter Verstoß gegen diese Vorschrift sind unwirksam und setzen Rechtsmittelfristen nicht in Lauf (vgl. BGHZ 61, 308, 310 f.; BGH, Beschl. v. 29.9.1993 - XII ZB 49/93, NJW-RR 1994, 127, unter II 1a; MünchKomm/ZPO/Aktualisierungsband/Wenzel, 2. Aufl., § 172 Rz. 19; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 172 Rz. 23; Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 172 Rz. 23). So liegt es hier, da die Unterbevollmächtigten des Beklagten nicht zu Prozessbevollmächtigten bestellt waren.

[7] Prozessbevollmächtigter i.S.d. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist diejenige Person, der die Partei eine Prozessvollmacht erteilt hat, die nach § 81 ZPO zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen ermächtigt; die Bestellung zum Prozessbevollmächtigten geschieht dadurch, dass dem Gericht die Bevollmächtigung ausdrücklich oder schlüssig zur Kenntnis gebracht wird (vgl. BGHZ 61, 308, 310 f.; MünchKomm/ZPO/Aktualisierungsband/Wenzel, a.a.O., Rz. 19 und 5; Stein/Jonas/Roth, a.a.O., Rz. 7 und 9; Zöller/Stöber, a.a.O., Rz. 4 und 6). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Unterbevollmächtigten des Beklagten nicht erfüllt.

[8] Eine Vollmachtsurkunde haben die Unterbevollmächtigten nicht vorgelegt. Die Unterbevollmächtigten sind ggü. dem AG auch nicht in einer Weise aufgetreten, die den Schluss auf eine den gesamten Rechtszug umfassende Vertretungsmacht des Beklagten zugelassen hätte (vgl. dazu BGHZ 61, 308, 311). Sie haben den Beklagten lediglich in der mündlichen Verhandlung und den Beweisaufnahmen vertreten, wobei die Protokolle ausdrücklich vermerken, dass sie in Untervollmacht für den Beklagten und dessen Hauptbevollmächtigte erschienen seien, die sämtliche Schriftsätze für den Beklagten eingereicht hatte. Bei dieser Sachlage waren die Unterbevollmächtigten lediglich als Terminsvertreter anzusehen (vgl. BGH, Beschl. v. 29.9.1993, a.a.O.). Auch der Beklagte hat, entgegen der Darstellung des Berufungsgerichts, nicht behauptet, dass es sich bei den Unterbevollmächtigten nicht ausschließlich um Terminsvertreter gehandelt habe.

[9] Die einmonatige Berufungsfrist des § 517 ZPO begann demnach erst mit der Zustellung des Urteils an die Hauptbevollmächtigte des Beklagten am 23.1.2006. Die am 20.2.2006 eingelegte Berufung ist somit fristgerecht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1678552

BB 2007, 182

HFR 2007, 508

NJW 2007, 1366

BGHR 2007, 268

FamRZ 2007, 390

NJW-RR 2007, 356

MDR 2007, 479

Rpfleger 2007, 153

WuM 2007, 82

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