Entscheidungsstichwort (Thema)

Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht. Schadenregulierungsbeauftragter. Passive Zustellungsvollmacht für gerichtliche Schriftstücke. Nationale Regelung, die die Wirksamkeit der Zustellung vom Vorliegen einer ausdrücklichen Zustellungsbevollmächtigung abhängig macht. Richtlinienkonforme Auslegung

 

Normenkette

Richtlinie 2009/103/EG Art. 21 Abs. 5

 

Beteiligte

Spedition Welter

Spedition Welter GmbH

Avanssur SA

 

Tenor

1. Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht ist dahin auszulegen, dass zu den ausreichenden Befugnissen, über die der Schadenregulierungsbeauftragte verfügen muss, die Vollmacht gehört, die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke, die für die Einleitung eines Verfahrens zur Regulierung eines Unfallschadens vor dem zuständigen Gericht erforderlich sind, rechtswirksam entgegenzunehmen.

2. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen die nationalen Rechtsvorschriften die Bestimmungen von Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103 quasi wörtlich übernommen haben, ist das vorlegende Gericht verpflichtet, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden das nationale Recht so auszulegen, dass es mit der Auslegung dieser Richtlinie durch den Gerichtshof der Europäischen Union vereinbar ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Saarbrücken (Deutschland) mit Entscheidung vom 1. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juni 2012, in dem Verfahren

Spedition Welter GmbH

gegen

Avanssur SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Avanssur SA, vertreten durch Rechtsanwalt M. Müller-Trawinski,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und E. Pedrosa als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und K.-P. Wojcik als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Mai 2013

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 263, S. 11).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Spedition Welter GmbH (im Folgenden: Spedition Welter), einem Transportunternehmen mit Sitz in Deutschland, und der Avanssur SA (im Folgenden: Avanssur), einer Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Frankreich, wegen der Regulierung eines Unfallschadens.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Die Richtlinie 2009/103 enthält folgende Erwägungsgründe:

„…

(20) Den bei Kraftfahrzeug-Verkehrsunfällen Geschädigten sollte unabhängig davon, in welchem Land der Gemeinschaft sich der Unfall ereignet, eine vergleichbare Behandlung garantiert werden.

(34) Derjenige, der in einem anderen Staat als seinem Wohnsitzstaat bei einem Kraftfahrzeug-Verkehrsunfall im Sinne dieser Richtlinie einen Sach- oder Personenschaden erleidet, sollte seinen Schadenersatzanspruch in seinem Wohnsitzmitgliedstaat gegenüber einem dort bestellten Schadenregulierungsbeauftragten des Versicherungsunternehmens der haftpflichtigen Partei geltend machen können. Diese Lösung würde es ermöglichen, dass ein Schaden, der außerhalb des Wohnsitzmitgliedstaats des Geschädigten eintritt, in einer Weise abgewickelt wird, die dem Geschädigten vertraut ist.

(35) Durch dieses System eines Schadenregulierungsbeauftragten im Wohnsitzmitgliedstaat des Geschädigten wird weder das im konkreten Fall anzuwendende materielle Recht geändert noch die gerichtliche Zuständigkeit berührt.

(37) Es sollte vorgesehen werden, dass der Mitgliedstaat, in dem das Versicherungsunternehmen zugelassen ist, von diesem verlangt, in den anderen Mitgliedstaaten ansässige oder niedergelassene Schadenregulierungsbeauftragte zu benennen, die alle erforderlichen Informationen über Schadensfälle zusammentragen, die auf solche Unfälle zurückgehen, und geeignete Maßnahmen zur Schadenregulierung im Namen und für Rechnung des Versicherungsunternehmens, einschließlich einer entsprechenden Entschädigungszahlung, ergreifen. Schadenregulierungsbeauftragte sollten über ausreichende Befugnisse verfügen, um das Versicherungsunternehmen gegenüber den Geschädigten zu vertreten und es ...

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