Besonders problematisch ist die dritte Stufe des Modells, bei der die Reparaturkosten und die Wertminderung den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs um bis zu 30 % übersteigen (sog. 130 %-Grenze). Keine Besonderheiten ergeben sich allerdings bei fiktiver Schadensabrechnung. Hier gelten vielmehr die gleichen Grundsätze wie im 100 %-Bereich. Nutzt der Geschädigte das Fahrzeug nicht mindestens sechs Monate weiter, bleibt der Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten also auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Sofern der Geschädigte das Fahrzeug wenigstens sechs Monate weiter nutzt und es zu diesem Zweck – soweit erforderlich – in einen verkehrstauglichen Zustand versetzt, kann er dagegen auch bei fiktiver Abrechnung bis zur 100 %-Grenze den Ersatz der vollen Netto-Reparaturkosten verlangen. Die weiteren 30 % bleiben bei fiktiver Abrechnung aber stets außer Betracht.[33]

Rechnet der Geschädigte die Reparaturkosten auf der dritten Stufe konkret ab, so billigt die Rechtsprechung ihm einen Integritätszuschlag von 30 % zu. Lässt der Geschädigte das Fahrzeug vollständig, fachgerecht und in einer dem Sachverständigengutachten entsprechenden Weise reparieren, so kann er daher bis zu der 130 %-Grenze den Ersatz der gesamten Reparaturkosten verlangen. Die Rechtsprechung rechtfertigt diese Ausweitung der "Opfergrenze" des Schädigers mit dem Interesse des Geschädigten, sein vertrautes Fahrzeug weiterbenutzen zu können.[34] Denn der Geschädigte wisse, wie sein Fahrzeug ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden sei.[35] Der Erwerb eines Ersatzfahrzeugs auf dem Gebrauchtwagenmarkt sei dagegen mit unkalkulierbaren Risiken verbunden.[36] Da der Geschädigte sein Interesse an der Weiternutzung des Fahrzeugs manifestieren muss, setzt der Anspruch weiter voraus, dass der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur weder verkauft noch verschrottet, sondern für einen längeren Zeitraum (mindestens sechs Monate) tatsächlich weiter nutzt.

[33] Näher dazu MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, § 249 Rn 375.
[34] Vgl. BGH v. 10.7.2007 – VI ZR 258/06, NJW 2007, 2917 Rn 8 = VersR 2007, 1244; Wellner NJW 2012, 7 (9) m.w.N.
[36] Vgl. BeckOGK/Brand, 1.3.2022, § 251 Rn 48.

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